Politik der Feindschaft

Raus aus dem Status Quo

Nur wer den Raum jenseits der Feindschaft verteidigt, kann auf lange Sicht auch die gravierenden politischen Differenzen, die Wunden und die trennende Geschichte überwinden.

Von Katja Maurer

Vor vielen Jahren versuchte ein italienischer Spielfilm eine Parabel auf den israelisch-palästinensischen Konflikt zu zeigen. Er verdichtete die Lage auf ein Haus, in dem Palästinenser:innen lebten und das von israelischen Soldat:innen besetzt war. Der Film verhandelte nicht Recht oder Unrecht, Ursache und Wirkung. Es ging weder darum, warum die israelischen Soldat:innen das Haus besetzt hielten, noch warum die Palästinenser:innen dort lebten und welche Vorgeschichte sie jeweils hatten.

Der Ausgangspunkt der Geschichte war natürlich die Asymmetrie zwischen bewaffneten Soldat:innen, den Besatzer:innen, und der palästinensischen Familie, den unbewaffneten Besetzten. Die Frage war, wie gehen die hier Lebenden mit der Situation um? Gibt es die Möglichkeit eines autonomen Verhaltens, ja eine – wenn auch auf beiden Seiten eingeschränkte – freie Entscheidung? Zu Beginn des Filmes nutzen die Menschen im Haus diese Möglichkeiten vorsichtig. Sie beobachten sich gegenseitig, sie nähern sich an, sie werden Menschen statt geronnene Klischees der Feindseligkeit. Soweit, dass trotz der zu Grunde liegenden Gewalt der Besatzung eine Beziehung unter den eigentlich auf das Feindsein festgelegten Menschen entsteht, die ihre Individualität und ihre Lernfähigkeit zu Tage bringt.

Möglichkeit der Menschlichkeit

Fast scheint die Hoffnung auf, die Besatzer:innen und die Besetzten könnten erkennen, dass sie trotz der ungleichen Verteilung von Macht und Ohnmacht allein mittels Menschlichkeit die Situation aufbrechen und verändern könnten. Doch die Beziehung ist von kurzer Dauer. Beim turnusmäßigen Wechsel der Besatzer:innen werden die mühsam entstandenen Beziehungen zerstört und damit auch das Potential, an der Ausgangslage etwas Grundlegendes zu ändern. Die der Besatzung inhärente Eskalation beendet die Möglichkeit der Menschlichkeit. Eine jahrzehntelange Militärherrschaft unter Wahrung von Moral und Menschlichkeit ist unmöglich.

Die Wunden, die der Konflikt geschlagen hat, die daraus entstandenen Feindbilder, sind mittlerweile Legion. Wie im Film ist keine Lösung in Sicht, weil es nicht gelingt, die Besatzung zu beseitigen. Jeder und jede beruft sich auf die jeweils vom anderen geschlagenen Wunden, auf die eigene Geschichte aus Rassismus, Vertreibung und Vernichtung. Es ist nicht die Stunde der freien Entscheidung einer jeden. Es ist die Stunde der Vereinfacher:innen, der egomanischen Gestalten, der religiösen Fundamentalisten. Der Rest zieht sich in seine Schutzräume zurück, zum Teil sind sie in Israel direkt in die Wohnungen gebaut, oder hofft wie in Gaza, dass die israelischen Bombardierungen so zielgenau sind, wie die eine Stunde vorab erfolgte israelische Ankündigung. Die Zahlen der Opfer sind so asymmetrisch wie der Konflikt selbst, immer zahlen die Palästinenser:innen den höheren Preis. Es gewinnen die Hamas und die radikale israelische Rechte und Netanjahu. Sie alle sichern ihre Macht in der Eskalation des Status Quo. Die Politik der Feindschaft ist zurzeit die einzige Antwort auf seine permanente Krise.

Sicherung der Herrschaft

Die Politik der Feindschaft meint eine Politik, die im Zuge des „Krieges gegen den Terror“ zunehmend auf ein Regime der Trennung setzt, sich also auf einen zu bekämpfenden Feind stützt, dessen Existenz unabdingbar ist für die Aufrechterhaltung einer solchen Politik der Feindschaft, die einzig die Herrschaft sichert. Schaut man auf die Rhetorik der Hamas, des Islamischen Dschihad oder der radikalen Rechten in Israel wird man die wesentlichen Grundzüge dieser Feindschaft, den Hass und die Auslöschungsfantasien wiederfinden. Brennende israelische Fahnen vor Synagogen und geschwenkte israelische Fahnen vor geplünderten palästinensischen Geschäften mögen Symbole dafür sein.

Ein Ende dieser konfrontativen Politik, die nicht nur die Region immer weiter spaltet und den gefährlichen radikalen Kräften Auftrieb gibt, sondern auch ernste Auswirkungen auf die sich formierenden Einwanderungsgesellschaften in Europa hat, kann nur mit einer Politik zur Beendigung des Status Quo einhergehen. Da allerdings sieht es düster aus. Hier stehen alle, die für sich beanspruchen im Sinne der Vernunft, der Demokratie und gleicher Bürger:innen- und Freiheitsrechte zu handeln vor der Aufgabe, ihre alten politischen Programmatiken, die mit zu diesem verheerenden Stillstand beigetragen haben, kritisch zu reflektieren und einen neuen politischen Horizont zu erarbeiten. Da sind jüdische Israelis mit linksliberalem und liberalem zionistischen Hintergrund,  deren Einfluss in Israel nie so gering war wie jetzt, genauso gefragt wie Palästinenser:innen mit unterschiedlichen politisch-säkularen Hintergründen, die glaubten, mit BDS einen politischen Weg gefunden zu haben, der sich nun auch als Teil der Sackgasse erweist. Deutschland mit seiner großen palästinensischen Gemeinde und den vielen israelischen Jüd:innen, die hier leben, könnte und müsste ein Ort sein, um dieses kritische Nachdenken jenseits der medialen Aufheizungen zu ermöglichen.

Raus aus der Falle des Status Quo

Doch die deutsche Politik mit ihren einseitigen Stellungnahmen zugunsten der israelischen Regierung – um nicht zu sagen auf Seiten eines Politikers, der zu jedem Spiel mit rassistischen Stimmungen bereit ist, um sich an die Macht zu klammern und vor der israelischen Justiz zu schützen – hat sich in die Falle des Status Quo begeben. Es fehlt nur noch, dass sie es dem österreichischen Möchtegern-Autokraten Kurz nach tut und den Bundestag mit der israelischen Fahne beflaggt. Diese Mischung aus Hilflosigkeit, Ohnmacht und Abschied von jeder Form politisch kluger Außenpolitik ist eine Verheerung an sich. Hier wiederholt sich ihr ohnmächtiges Zuschauen bei der syrischen Katastrophe, dem heillosen Abzug aus Afghanistan zugunsten der Taliban und ihrem Versagen bei einer fairen Verteilung des Impfstoffes. Es sind Formen, sich aus der Weltpolitik zu verabschieden, die sprachlos machen. Die Sehnsucht nach einfachen Leitlinien, wie der Merkel-Satz, das Existenzrecht Israels sei Staatsräson, rächt sich hier. Das Existenzrecht Israels geht nur im Verbund mit dem Existenzrecht Palästinas. Wenn die Waffen schweigen, und das werden sie tun, sollte sich eine künftige deutsche Außenpolitik das in ihre Grundprinzipien schreiben.

In Israel versuchen Abertausende Menschen unterschiedlicher Zugehörigkeiten, der Politik der Feindschaft etwas entgegen zu setzen. „Wir weigern uns Feinde zu sein“ ist ihre Losung, die auf den ersten Blick, angesichts der Asymmetrie der Macht und der Opferzahlen, naiv wirken mag. Wer aber genauer darüber nachdenkt, versteht die Bedeutung dieser Losung, weil sie sich jenseits nationaler Kollektive und Fahnen bewegt. Nur wer diesen Raum jenseits der Feindschaft verteidigt, kann auf lange Sicht auch die gravierenden politischen Differenzen, die Wunden und die trennende Geschichte überwinden. Das ist die einzige Option auf eine andere Zukunft gleicher Bürger:innen-Rechte. In welcher staatlichen Verfasstheit auch immer.

medico-Partnerorganisationen in Palästina und Israel verteidigen die Menschenrechte, leisten medizinische Nothilfe in Gaza, Rechtsbeistand in Israel und setzen sich für eine politische Perspektive ein, die allen Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer gleiche Rechte garantiert.

Spendenstichwort: Israel/Palästina

Veröffentlicht am 17. Mai 2021
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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