Portrait aus Gaza

Verstummte Helferin

06. Juni 2024   Lesezeit: 2 min

Über viele Jahre hat sich Majeda Al-Saqqa in Gaza um Gesundheits- und Bildungsangebote für Frauen, Kinder und Jugendliche gekümmert. Im laufenden Krieg versucht sie, Hilfe für Binnenvertriebene zu organisieren – und zu überleben.

Während der israelischen Militäroperation „Gegossenes Blei“ zum Jahreswechsel 2008/2009 beschrieb Majeda Al-Saqqa in einem Tagebuch für DIE ZEIT, wie sie den rund drei Wochen dauernden Krieg in Gaza erlebte. Sie schrieb Sätze wie: „Hunde fressen die Leichen von Menschen, die Tage zuvor umgekommen sind.“ Damals, dann 2012, dann 2014 und bei jedem der über die Jahre folgenden Angriffe auf Gaza blieb Majeda zu Hause in Khan Younis wohnen, mit ihrer Familie, mit Freunden und Kolleg:innen. Warum sich auf die Flucht begeben, wenn doch überall Bomben fallen? Dieses Mal ist es anders. Die Luftangriffe und der Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen infolge des 7. Oktobers machen ein Ausharren unmöglich. Der Krieg hat Majeda, wie so viele, wie die meisten, zu einer Obdachlosen gemacht. Ihre Nachbar:innen, elf Menschen, wurden bereits in den ersten Kriegswochen getötet.

Eigentlich kümmert sich CFTA in Gesundheitsprojekten, mit psychosozialen Angeboten und in Bildungsprogrammen um Frauen, Kinder und Jugendliche. Mit medico-Unterstützung betrieb die Organisation im Flüchtlingslager Al-Burej jahrelang ein Frauengesundheitszentrum. Nach Kriegsbeginn im Oktober 2023 fanden Hunderte Menschen Zuflucht in den CFTA-Zentren und den Wohnhäusern der Mitarbeiter:innen. Doch die intensivierten Angriffe auf Khan Younis haben auch hier die Situation unhaltbar gemacht. „Unser Hauptzentrum befindet sich neben dem Krankenhaus des Roten Halbmonds. Beide wurden tagelang beschossen, auch mein Haus“, berichtet Majeda. „In Rafah gab es keinen einzigen Zentimeter Platz. Die Menschen schliefen auf der Straße. Also mussten wir in die Dünen von Al-Mawasi.“ Dort versuchen Majeda und ihre Kolleg:innen seither unter schwierigsten Bedingungen zurechtzukommen, ohne fließendes Wasser, Toiletten oder gar Strom. Es ist nicht viel, was die Kolleg:innen von CFTA den Bedürftigen – vor allem den Frauen, Kindern und Jugendlichen aus ihren Projekten – mit medico-Mitteln an Hilfe zukommen lassen können. Lebensmittel und Medikamente sind knapp. Aber wenig ist mehr als nichts.

Im Jahr 2009 schrieb Majeda: „Je weiter wir in die Stadt kommen, desto größer ist die Zerstörung und desto unerträglicher wird der Geruch. Die Leute reden nicht und blicken nicht auf. Sie laufen durch die Straßen wie Roboter. In einem ganzen Wohngebiet steht kein Haus mehr. Stand hier nicht ein Gebäude, wo nun die Trümmer liegen? Ich bin nicht sicher.“ Wenn der aktuelle Krieg vorüber sein wird, werden sich Hunderttausende Menschen in Gaza die gleiche Frage stellen. Auch wenn die Waffen irgendwann schweigen, wird der Krieg für sie noch lange nicht vorbei sein. Eine Bevölkerung, in der jede:r Zweite jünger als 15 Jahre ist, wird über Jahrzehnte gezeichnet sein. In diesem Krieg gibt es kein Tagebuch von Majeda Al-Saqqa. Die Trauer und die Wut über die internationale Tatenlosigkeit angesichts des Ausmaßes der Verbrechen haben sie verstummen lassen.

Riad Othman

Zusätzlich zur Unterstützung des CFTA-Projekts zur Früherkennung von Brustkrebs hat medico nach Beginn des Gaza-Krieges kurzfristig die Nothilfe dieser Partnerorganisation für intern vertriebene Familien in Gaza mit 80.000 € gefördert.

Veröffentlicht am 06. Juni 2024

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