Liebe Leser:innen,
vor knapp einem Jahr reisten mein medico-Kollege Till Küster und ich nach Beirut. Einige Tage zuvor hatte sich die Explosion im Hafen ereignet. Wir waren uns damals mit allen Gesprächspartner:innen vor Ort einig: Dies müsse der Tiefpunkt und das Ende der libanesischen Katastrophe sein. Doch wir irrten uns: Seit dem 4. August 2020 reißen die Hiobsbotschaften unserer Partnerorganisationen nicht ab. Der Libanon befindet sich im freien Fall. Das gilt für die soziale Situation, die von der Weltbank jüngst als eine der zehn heftigsten Krisen seit Mitte des 19. Jahrhunderts eingestuft wurde. Im Verlauf dieses Krisengeschehens verlor die libanesische Währung 90% ihres Wertes und über 60% der Bevölkerung lebt nun in Armut und Hunger. Es gilt aber auch für die menschenrechtliche Situation. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind auf dem Nullpunkt und die Aufklärung der Explosion im Hafen stockt ebenso wie die Aufklärung des Mordes an unserem medico-Partner und langjährigem politischen Weggefährten Lokman Slim. Die Aussicht auf bessere Lebensbedingungen ist ebenso schwach wie die auf Gerechtigkeit und Aufklärung. Trotzdem kämpfen unsere Partnerorganisationen in Beirut und im ganzen Land weiter. Sie setzen sich für die Rechte von Flüchtlingen ein, stehen an der Seite der von der Explosion betroffenen Nachbarschaften und ihrer Forderung nach einem sozial gerechten Wiederaufbau. Und natürlich stehen sie auch an der Seite der Protestbewegung, die für den heutigen Tag zu Demonstrationen aufruft. |