Klimagerechtigkeit

Aufgerüstet für die Zukunft

15.02.2024   Lesezeit: 5 min

Wie die Klimakrise zu einer Frage militärischer Sicherheit umgedeutet wird.

Von Karin Zennig

Die Berichte von Klimaforschungsinstituten stimmen mit denen von Militär- und Sicherheitsbeauftragten der NATO-Staaten überein: Mit fortschreitender Erderwärmung werden sich Ausmaß und Frequenz von klimakriseninduzierten Katastrophen erhöhen und zusammen mit geopolitischen Verschiebungen, demografischer Entwicklung und Energiewende eine Welt des Mangels und der Instabilität schaffen. Die extremen Hitzewellen in Südasien und dem Nahen Osten, aber auch die Überschwemmungen in Pakistan, Griechenland, auf den Philippinen und in Libyen geben einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Die Auswirkungen der Zerstörung von Ernten, Häusern, Straßen, Industrieanlagen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen sind nur bedingt quantifizierbar. Klar ist, dass sinkende landwirtschaftliche Produktivität und Wirtschaftsleistung nicht nur die Ressourcen der betroffenen Länder stark einschränken und die Abhängigkeit von internationaler Hilfe vergrößern. Auch das Konfliktpotenzial zwischen Ländern wächst. Die Zerstörung der gesellschaftlichen Infrastruktur trifft diejenigen am stärksten, die am meisten auf diese angewiesen sind. Sie verstärkt Verschuldung und Abhängigkeit und wirkt als Katalysator von Ungleichheit und Gewalt.

Vor diesem Hintergrund scheint nichts naheliegender, als dass Fragen der Klimakrise als Fragen globaler Sicherheit buchstabiert werden: Sicherheit im Sinne von Gesundheit und Versorgung, Schutz von Lebensgrundlagen und -räumen, als Abfederung von Schadenswirkungen. Doch obwohl sich die gravierendsten Folgen der Klimakrise bereits jetzt vor allem in den Ländern des Globalen Südens abspielen, sind es insbesondere reiche Industrieländer, die in „Klimasicherheit“ investieren: in nachrichtendienstliche Einschätzungen, in Verteidigungspläne und militärische Szenarien. Bereits 2003 hat die Europäische Union den Klimawandel in ihrer Sicherheitsstrategie als zentral eingestuft und damit begonnen, den Umgang mit Risiken und Bedrohungslagen in verschiedenen Varianten des Temperaturanstiegs durchzuspielen.

Zeitenwende statt Klimapolitik

Als die neue Bundesregierung Ende 2021 ihre Arbeit aufnahm und auch ehemalige Klimaaktivist:innen einband, war dies seitens der Klimabewegung durchaus mit Hoffnung verbunden. In seiner Amtsantrittsrede kündigte der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck die Transformation Deutschlands zu einer „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“ an: Umbau von Industrie und Energieproduktion, Umverteilung von Subventionen und Investitionen, die Verbindung von Klimaschutz und Wirtschaftswachstum. Dass unter eben dieser Bundesregierung erst kürzlich der Bundesnachrichtendienst und die Bundeswehr mit der Erarbeitung einer „Klimasicherheitsstrategie“ beauftragt wurden, markiert einen Wandel in der Bearbeitung aufkommender globaler Konflikte. Transformatorische Politik ist der Logik von Versicherheitlichung gewichen. Die Wende in der Klimapolitik ist der Zeitenwende zum Opfer gefallen.

Angesichts der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise schloss Habeck Gaslieferverträge mit den Emiraten und wurde klimaschädliche Energiegewinnung in Hochgeschwindigkeit ausgebaut. Unter dem ideologischen Druck der Schuldenbremse verteilte die Bundesregierung den Haushalt um: Sondervermögen für die Bundeswehr statt Klimatransformationsfonds und Klimageld. Anstatt für klimapolitische Umsteuerung zu werben und diese materiell abzufedern, wurde die ohnehin brüchige gesellschaftliche Akzeptanz staatlicher Interventionen zugunsten des Klimas weiter verspielt. Gleichzeitig wurden Aktionen der Letzten Generation, die lediglich an die Einhaltung von Transformationszielen erinnerten, denunziert und nur noch polizeilich behandelt.

Die Zeit des Friedens ist vorbei

Das Bild auf internationaler Bühne ist ähnlich frustrierend. Von den Weltklimaklimakonferenzen geht kein Impuls für Veränderung aus. Die Verweigerung des Ausstiegs aus fossilen Energien hat die Hoffnung auf Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und damit auch die Perspektive transformatorischer Politik beerdigt. Stattdessen wird global mehr Geld für Sicherheit ausgegeben als für Maßnahmen, die einen katastrophalen Klimawandel verhindern könnten oder Hilfe für die Betroffenen leisten.Der Umsatz der Rüstungsindustrie steigt rasant, auch die Grenzschutzbranche verzeichnet satte Gewinne.

Die Rückkehr des Krieges hat aber nicht nur die haushaltspolitischen Bedingungen für transformatorische Politik eingeschränkt. Sie hat auch die Logik der Konfliktbearbeitung verschoben. Zweck und Aufgabe des Militärs und nationaler Geheimdienste besteht darin, die Sicherheit des eigenen Landes und seiner Interessen zu sichern. Das schließt den Grenzschutz ebenso ein wie Schutz und Durchsetzung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft, den Zugang zu strategischen Ressourcen und die Absicherung von Lieferketten. Klimasicherheit wird so zur Absicherung des bestehenden, ungerechten Status quo. Und Klimapolitik reduziert sich auf die Anpassung an durch die Klimakrise verursachte soziale und politische Verheerungen.

Bewegt man sich in der Logik des Militärischen, so wird die Klimakrise nur noch in der Binarität von Bedrohung und Sicherheit gesehen – das Symptom wird zur Ursache gemacht. Menschen, die unter meist verzweifelten Umständen zu überleben versuchen, werden spätestens dann zum Sicherheitsrisiko erklärt, wenn sie sich aus ihren zerstörten Lebensräumen auf den Weg in Länder des Globalen Nordens machen. Gleichzeitig „sichern“ sich eben diese Länder bereits heute den Zugang zu Kohlereserven und für die industrielle Umrüstung auf „grüne“ Energie benötigte Metalle wie Nickel, Lithium oder Coltan. Dass dafür von Indonesien bis Chile und Ruanda bis Kolumbien indigene Gruppen enteignet und vertrieben werden, wird zum Kollateralschaden der Durchsetzung unserer „Sicherheit“.

So werden nicht nur die Ursachen des Klimawandels reproduziert, das Politische insgesamt wird verworfen: Die Sachzwanglogik der Verteidigung unterläuft die Demokratie und rechtfertigt gleichermaßen Aufrüstung und Abschottung. Die Vision einer friedlichen Welt, auf die sich die EU rhetorisch allen gegenteiligen Handelns zum Trotz beruft, ist der rigorosen Durchsetzung nationaler und europäischer Interessen gewichen. Die Überwindung von Krieg wird nicht mehr angestrebt, vielmehr wird dessen Allgegenwärtigkeit fatalistisch akzeptiert.

Angesichts dieser Prognose braucht es weit mehr als die bessere Verteilung von Haushaltsmitteln. Es geht darum, Sicherheit neu zu denken: als globale Gerechtigkeit, Durchsetzung der Menschenrechte und Voraussetzung für Frieden. Dafür braucht es auch eine Veränderung der Debatte hierzulande. Aktuell legitimieren Weltvergessenheit und Krisenangst, die reflexhafte Verteidigung der eigenen Interessen und unserer Lebensweise den staatlichen Rückgriff auf den sicherheitspolitischen Methodenkoffer.

Karin Zennig, bei medico für Klimagerechtigkeit zuständig, hat Ende letzten Jahres in Pakistan Menschen und Gemeinden besucht, die in der Flutkatastrophe 2022 alles verloren haben.

Die Klimakrise ist da, Gerechtigkeit abwesend. medico unterstützt den weltweiten Kampf dafür, dass sich das ändert: Unsere Partnerorganisationen helfen beim Katastrophenschutz, bei der Umstellung auf eine klimaangepasste Landwirtschaft, fördern den Aufbau von Kooperativen und die Wissensvermittlung in bäuerlichen Gemeinden. Und wir unterstützen Initiativen aus den besonders von der Klimakrise betroffenen Ländern beim Aufbau globaler Netzwerke zur Vertretung ihrer Interessen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Karin Zennig

Karin Zennig ist bei medico in der Öffentlichkeitsabteilung für die Region Südasien und das Thema Klimagerechtigkeit zuständig. 

Twitter: @KarinZennig


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