Ivan Phell Enrile von der philippinischen medico-Partnerorganisation IBON International ist selbst vor Ort und hat seine Perspektive mit uns geteilt.
medico: Während wir dieses Gespräch führen, habt ihr auf den Philippinen erneut mit extremen Regenfällen zu kämpfen. Der Weltrisikobericht erklärt die Region aufgrund der Klimakrise zu einer permanenten Notstandszone. Was bedeutet das für euch?
IvanPhell Enrile: Diesen Sommer hatten wir zuerst den Taifun, dann extreme Dürren, extreme Hitzewellen und jetzt einen tödlichen Tropensturm. Besonders betroffen sind die Bäuer:innen, deren Ernten und Lebensgrundlagen durch die Wassermassen und die Dürren stark dezimiert wurden. Aufgrund der sehr unvorhersehbaren Wetterbedingungen können sie ihre Saat nicht nach ihrem Zeitplan anbauen und ernten. Das bedeutet auch steigende Kosten für Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und Fisch. Wenn das Geld schon für die Grundbedürfnisse fehlt, dann fehlt es natürlich auch dafür, sich an die veränderten Wetterbedingungen anzupassen oder zu schützen. Die betroffenen Familien sind dabei auf sich alleine gestellt. Seitens der Regierung gibt es im Grunde überhaupt keine verfügbare Hilfe für die Betroffenen und auch keine Kapazitäten, ihnen beseite zu stehen.
Bei einem früheren Gespräch anlässlich der letzten Weltklimakonferenz hast du erwähnt, dass diese ein guter Gratmesser für den aktuellen Stand der Auseinandersetzung sei.Wo stehen wir gerade?
Die bisherigen 28 Konferenzen haben nur sehr wenig erreicht. Mittlerweile hält eine Reihe wichtiger Staatschefs die COPs sogar nicht mehr für wichtig genug, um dort persönlich zu erscheinen. Die Regierungspolitiken tragen weder zur Reduzierung von Emissionen bei, noch verändert sich substanziell etwas in Bezug auf die primäre Ursache des Klimawandels, nämlich fossile Brennstoffe. Außerdem hat es nur wenig finanzielle Unterstützung für die Menschen und Gemeinden in den betroffenen Ländern des globalen Südens gegeben, damit sie sich an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen und die Verluste und Schäden bewältigen können, die ihnen bei Extremereignissen entstehen.
Was die Bewegung betrifft, so steigt von Konferenz zu Konferenz die Anzahl der Vertreter:innen der Zivilgesellschaft an. Ich glaube das liegt daran, dass der Klimawandel in ihrer Arbeit und ihrem Leben immer bestimmender wird. Auch auf den Philippinen beobachten wir bei immer mehr Gruppen, wie sie sich mit der Klimakonferenz beschäftigen und darin immer fordernder auftreten. In der Vergangenheit war der gesellschaftliche und mediale Diskurs auf den Philippinen von Resilienz und Bewältigungsstrategien der Katastrophen geprägt. Aber jetzt wird offensiver formuliert: Wir können nur bis zu einem gewissen Punkt resilient gegen diese Katastrophen sein. Wir sind nicht diejenigen, die die Atmosphäre verschmutzt haben und wir wollen nicht um Wohltätigkeit bitten. Es geht darum, dass wir Entschädigungen für die Extremwetter erhalten und zwar von denjenigen, die dafür verantwortlich sind.
Klimafinanzierung, und wer für diese aufkommen soll, wird auch ein zentrales Thema der nun stattfindenden Weltklimakonferenz in Baku sein.
Noch sträuben sich die westlichen Industrieländer sehr gegen eine Definition von Klimafinanzierung, um zu vermeiden, dass sie rechtlich für deren Bereitstellung zur Rechenschaft gezogen werden können. Zudem bevorzugen sie einen breiteren Begriff und wollen auch private Investitionen oder Kredite unter Klimafinanzierung subsumieren – allesamt Vorschläge, die die Lage der betroffenen Länder nicht erleichtert. Aufgrund der fehlenden Definition von Klimafinanzierung berechnen die zahlenden Länder ihre offiziellen Entwicklungs- und Hilfsgelder, die ausschließlich für die Bewältigung von Entwicklungsfragen wie Armutsbekämpfung, Verringerung der Analphabetenquote und den Bau von Krankenhäusern in ländlichen Gebieten bereitgestellt werden sollen, als Beitrag zu ihren Klimafinanzierungsverpflichtungen. Klimaschutzmaßnahmen, wie die Eindämmung von Klimafolgen und Anpassung an Klimaveränderungen, sowie die finanzielle Deckelung der Schäden und Verluste, sind dadurch aber noch nicht bezahlt.
Strittig ist zudem das zur Verfügung gestellte Geldvolumen. Die Industrieländer wollen sich nicht auf einen konkreten Betrag festlegen und haben 100 Milliarden US-Dollar als Verhandlungsziel in den Raum gestellt. Die Länder des globalen Südens plädieren dagegen dafür, dass der Betrag mit dem übereinstimmt, was seitens der Wissenschaft ausgerechnet wurde. Aktuelle Studien sprechen von etwa 2,5 Billionen US-Dollar jährlich zu deckenden Kosten. Wenn man sich die nationalen Verteidigungshaushalte ansieht oder sich vor Augen führt, wie sehr die Unternehmen für fossile Brennstoffe subventioniert werden, dann sieht man, dass die finanziellen Kapazitäten für diese Kostendeckung durchaus vorhanden sind. Die Erfahrungen in der Covid19-Pandemie haben zudem gezeigt, dass es durchaus möglich ist, diese Summen als Reaktion auf ein globales Phänomen aufzubringen.
Vielleicht kannst du uns noch mal die Konsequenzen der Auseinandersetzung um die Klimafinanzierung erklären.
In den letzten zehn Jahren haben wir gesehen, dass die Klimafinanzierung von den Industrieländern in erster Linie über ihre multilateralen Entwicklungsbanken in Form von Darlehen und Krediten bereitgestellt wurden. Das bedeutet, dass sie von den jeweiligen Ländern zu marktüblichen Zinssätzen zurückgezahlt werden müssen. Sie helfen den betroffenen Ländern also in keiner Weise. Ganz im Gegenteil, viele Länder des globalen Südens stehen aufgrund der zunehmenden Verschuldung kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Sie leiden unter Klimakrise und Verschuldung.
Von den Industrieländern werden die Instrumente der Klimafinanzierung als Möglichkeit für neue profitable Investitionen genutzt. Es gibt eine Vorliebe für große Infrastrukturprojekte wie etwa Solar- und Windparks, Wasserstoffprojekte, geothermische Anlagen, etc. Unsere Erfahrung zeigt, dass diese Projekte an Unternehmen der Industrieländer vergeben werden. Wenn Japan den Philippinen öffentliche finanzielle Hilfe für den Bau von Brücken oder Autobahnen gewährt, sind die Auftragnehmer immer noch japanische Firmen. Dadurch werden die obligatorischen Finanzhilfen zur CO2-Reduzierung in ein Profitmodell für ihre eigene Volkswirtschaft verwandelt. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss zwar auch in den Ländern des globalen Südens vollzogen werden, wir brauchen aber dringend Finanzmittel zur Anpassung und zum Schutz vor Katastrophen. Die sind wiederrum für Investoren wenig lukrativ. Das aktuelle System führt dazu, dass die Klimafinanzierung nach Profit und nicht nach den Bedürfnissen der betroffenen Bevölkerung und Regionen ausgerichtet wird. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.
In vielen Ländern ist ein Schwung zum Nationalismus und Abschottung zur Welt zu beobachten. Hat die Zunahme an rechten Regierungen Auswirkungen für die Verhandlungen um eine gerechte Klimapolitik?
Auf jeden Fall. Nur zwei Beispiele: In der ersten Regierungszeit von Donald Trump sind die Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen, haben die Finanzierungszusage für den Grünen Klimafonds zurückgenommen und mehr Subventionen für Unternehmen genehmigt, die fossile Brennstoffe nutzen. Sie erlaubten mehr Fracking und vergaben mehr Lizenzen zur Förderung fossiler Brennstoffe. Für seine zweite Amtszeit hat Trump bereits eine grundsätzliche Abkehr von einer klimaschützenden Politik angekündigt.
Schweden galt bisher zumindest in dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit als ein Land, das in Bezug auf die öffentliche Entwicklungshilfe engagiert ist. Über viele Jahre hinweg haben sie konsequent mehr als die üblichen 0,7 Prozent des BIP dafür bereitgestellt. Mit der Rechtsregierung hat der Klimaschutz ab- und die die Zusammenarbeit im Freihandel zugenommen.
Auch internationale Institutionen werden - vor allem in den letzten Jahren – delegitimiert und in Frage gestellt.
Wir sehen, wie die Idee des Multilateralismus, globale Problemlagen auch durch globale Zusammenarbeit zu lösen, immer wieder untergraben wird. Ein Beispiel im Klimabereich sind die CBAM, der Carbon Border Adjustment Mechanism. Dabei handelt es sich um einen Steuermechanismus: Waren, die aus den Entwicklungsländern in die Europäische Union kommen, werden auf der Grundlage ihres Kohlenstoff-Fußabdrucks besteuert. Das hört sich natürlich gut an, denn es geht um die Umwelt und es soll sicherstellen, dass die Waren aus den Exportländern unter gleichen Bedingungen mit den Herstellern in der Europäischen Union konkurrieren können.
Tatsächlich aber zwingt die Europäische Union den Ländern des globalen Südens im Grunde genommen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels auf, die nicht mit den Prinzipien der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung und den jeweiligen Kapazitäten in Einklang stehen. Für uns gelten die gleichen Standards wie für die Produzenten in der Europäischen Union. Wenn wir jedoch die Geschichte der weltweiten Treibhausgasemissionen betrachten und prüfen, wer am meisten zur Verschmutzung der Atmosphäre beigetragen hat, und wenn wir auch die Tatsache berücksichtigen, dass die Regierungen der Industrieländer nicht ihren gerechten Anteil an der Klimafinanzierung für die Länder des globalen Südens leisten, kommen wir zu dem Schluss, dass wir doppelt bestraft werden - in Bezug auf das Klima und in Bezug auf die Handelspolitik. Es sind keine gleichberechtigten Konsense, die in der WTO getroffen werden. Die Industrieländer bringen ihre Vorstellung des Konsenses ein, der allen WTO-Mitgliedsländern mehr oder weniger aufgezwungen wird. Und natürlich sehen wir das auch bei den UNFCCC, dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen. Das ist nichts anderes als die Unterminierung des globalen multilateralen Regierungssystems.
Trotz all der Kritik sind die multilateralen Institutionen Räume, in denen wir, wenn auch oft nur fürs Protokoll, die Möglichkeit haben, unsere Stimme zu erheben, um zu sagen: Nein, wir sind nicht einverstanden!
Drehen wir mal die Frage um: Was wären für dich notwendige nächste Schritte auf dem Weg zu einer klimagerechten Welt?
Die Länder des globalen Nordens müssen ihrer historischen Verpflichtung nachkommen und Treibhausgasemissionen reduzieren. Nur so kann weitere Zerstörung begrenzt werden. Die Klimafinanzierung kann nur einen Teil zur Anpassung und finanziellen Absicherung vor Klimafolgeschäden leisten. Wenn wir das Problem der Klimakrise nicht an der Wurzel packen, werden wir auch nichts lösen. Ein weiterer Aspekt der Klimagerechtigkeit ist, dass viele Länder des globalen Südens immer noch dabei sind, ihre Wirtschaft aufzubauen, die Armut zu bekämpfen, Ungleichheiten zu beseitigen und ihre Landwirtschaft und nationalen Industrien zu modernisieren. Wir brauchen also unsere CO2-Kontingente, um die Bedürfnisse der Menschen im globalen Süden zu befriedigen und natürlich auch, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Wenn sich die Länder des globalen Nordens jedoch weiterhin die CO2-Kontingente aneignen, die den Ländern des globalen Südens zustehen, dann verdammen wir unsere Bevölkerungen nicht nur zu schwereren Wetterextremen, und zu einem nicht enden wollenden Zyklus der Klimakrise, sondern lassen auch die jahrhundertelange Armut und Ungleichheit im globalen Süden unbeantwortet.
Wir brauchen Klimamaßnahmen, die weder auf den kolonialen Verhältnissen der Vergangenheit beruhen noch diese zu wiederholen beabsichtigen. Wir brauchen keine Extraktion unserer Ressourcen, unserer Mineralien, unserer Flüsse und unseres Landes unter dem Deckmantel des Klimaschutzes.
Das Interview führte Karin Zennig. Übersetzung Gunnar Bantz.