Wege zur Befreiung

Die medico-Themen und -Kooperationen in Lateinamerika

Über Jahrzehnte galt Lateinamerika als Kontinent der Befreiung, als Fluchtpunkt demokratischer Träume, als Wiege neuer gesellschaftlicher Ideen. Das war auch bei medico international so. Nicht immer stimmten die Vorstellungen mit der komplexen Realität der lateinamerikanischen Gesellschaften überein, und doch wussten viele: Eine andere Welt ist möglich!

Schienen die gewaltvollen Erfahrungen der Militärdiktaturen des vergangenen Jahrhunderts als überwunden, sind in vielen Ländern der Region inzwischen wieder autoritäre Entwicklungen zu beobachten. Soziale und demokratische Errungenschaften, die als sicher galten, werden von alten und neuen Eliten infrage gestellt oder umfassend abgebaut. Dieser Autoritarismus ist nicht mehr eindeutig einem politischen Lager zuzuordnen, er bahnt sich unverhohlen wie in Nicaragua oder auch unter vermeintlich progressiven Vorzeichen wie in Mexiko, Brasilien und Chile seinen Weg.

Doch autoritäre Maßnahmen werden nicht nur von oben diktiert. Der Ruf nach Ordnung und einer „harten Hand“ kommt auch von unten: Über soziale Spektren hinweg äußert sich ein autoritäres Begehren, das rassistische, anti-feministische und anti-egalitäre Antworten auf soziale Probleme sucht und fordert. So erfährt El Salvadors Präsident Nayib Bukele große Zustimmung aus der eigenen Bevölkerung für den proklamierten „Kampf des Staates gegen kriminelle Banden“ – obwohl Abertausende ohne rechtliche Grundlage inhaftiert wurden. Hier zeigt sich ein Autoritarismus von unten, der nicht Gerechtigkeit zum Ziel hat, sondern vom Wunsch nach Rache getragen ist. Die Entwicklung in Lateinamerika ist damit unter spezifischen regionalen Vorzeichen Teil einer globalen Tendenz. In mancherlei Hinsicht war sie sogar einer ihrer Vorläufer.

Nicht alles an der Situation ist neu. Der Extraktivismus zum Beispiel wird allerorten weiter vorangetrieben. Indes, die Dramatik nimmt zu: Einem eindimensionalen Fortschrittsnarrativ werden nahezu ungebremst Wälder, Gewässer und Biodiversitäten geopfert. Zumeist christlich geprägte Familien- und Rollenbilder geben Antifeminismus und Queerfeindlichkeit „Rückendeckung“ und normalisieren geschlechtsspezifische Gewalt. Das gesellschaftliche Gefüge beruht – trotz einem 500 Jahre währenden Widerstand durch indigene Gemeinden und Schwarze Bewegungen – noch immer auf kolonialen Kontinuitäten und einem tiefsitzenden Rassismus.

Der fundamentale Unterschied zwischen der Gewalt der Militärregime des letzten Jahrhunderts und jener Gewalt, die heute so endemisch geworden ist, liegt in der tiefgreifenden Ökonomisierung aller öffentlichen und privaten Lebensbereiche. Nicht alle Orte sind davon durchdrungen, nicht alle Menschen kämpfen nur ums Überleben. Dennoch haben Entwurzelung und Individualisierung, Profitmaximierung und Ausbeutung, Kämpfe um Märkte, Vormachtstellungen und die Kontrolle über Transportwege für Drogen, Waffen und Migrant:innen in weiten Teilen Lateinamerikas ein Klima großer Unsicherheit geschaffen. Die lateinamerikanische Gegenwart ist Ausdruck einer Herrschaftslogik, die jedes Streben nach Demokratie, Selbstbestimmung und Befreiung untergräbt. Die Gewalt ist auch zu verstehen als Reaktion auf die Ausweitung sozialer Konflikte. Denn der Gewalt, der Kolonisierung und dem Tod stehen unzählige Kämpfe für das Offene, das Gemeinsame, gegenüber – kurzum: für die Zukunft. Diese Kämpfe verändern sich fortlaufend und erproben neue Strategien. Neue Akteur:innen treten auf den Plan, neue Orte gewinnen an Bedeutung.

medico international steht an der Seite dieser Kämpfe, die auch von unseren Partnerorganisationen geführt, begleitet oder unterstützt werden. Es bleibt gewiss, dass auch in Zukunft radikale Veränderungen nur aus den Gesellschaften selbst heraus entstehen können. Zusammen können wir diese Bestrebungen nachhaltig unterstützen.

Brasilien

Kampf um soziale Rechte. Die medico-Kooperationen und -Themen in Brasilien.

Chile

Neoliberalismus oder Demokratie. Die medico-Kooperationen und -Themen in Chile

El Salvador

Für das Recht auf bestmöglichen Zugang zu Gesundheit. Die medico-Kooperationen und -Themen in El Salvador

Guatemala

Wider die Straflosigkeit. Die medico-Kooperationen und -Themen in Guatemala

Haiti

Die Abhängigkeit verringern. Die medico-Kooperationen und -Themen in Haiti

Aktivist:innen und Angehörige von Verschwundenen durchkämmen ein Wüstenstück im Norden von Mexiko. (Foto: Favia Lucero)

Mexiko

Das Ende der Gewalt. Die medico-Kooperationen und -Themen in Mexiko

Nicaragua

Die Revolution frisst ihre Enkel. Die medico-Kooperationen und Themen in Nicaragua