medico: Seit Jahren verfolgst Du als zivilgesellschaftliche Stimme die internationalen Klimaverhandlungen und warst schon auf mehreren COPs selbst anwesend. Wie nimmst Du die Klima-Konferenzen wahr?
Ivan Phell Enrile: Die Ergebnisse sind immer frustrierend. Der Prozess der Klimaverhandlungen ist sehr auf Regierungen fokussiert. Es gibt nicht viele Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft, die Ergebnisse der Verhandlungen radikal zu beeinflussen. Zudem wissen wir, dass viele Regierungen von den Interessen der großen Fossilindustrie geleitet sind. Wir erwarten also nicht, dass unsere Forderungen erfüllt werden. Gleichzeitig ist die COP ein Ort, an dem verschiedene Bewegungen zusammenkommen, Strategien entwickeln und mobilisieren. Es ist auch eine Gelegenheit, einen Überblick über den Zustand der sozialen Bewegungen zu bekommen.
Die diesjährige COP28 gilt als besonders wichtig. Woran liegt das?
Tatsächlich betonen viele der Gastländer die Wichtigkeit der COP, die sie selber ausrichten. Es gibt aber viel Wirbel um die diesjährige COP, unter anderem, weil sie von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgerichtet wird. Ahmed Al Jaber, Präsident der diesjährigen COP, leitet Abu Dhabis nationales Ölunternehmen. Außerdem wird bei der diesjährigen COP das erste Mal evaluiert, inwieweit die Regierungen ihre Klimaziele erfüllt haben oder welche Änderungen vorgenommen werden müssen, damit sie ihre Klimapläne und -ziele in Einklang mit dem Pariser Abkommen des 1,5 Grad-Ziels einhalten können. In diesem Jahr wird es zudem ein hochrangiges Regierungstreffen geben, um die Architektur der Klimafinanzierung für die Zeit nach 2025 zu konzipieren. Aufmerksamkeit für die COP ist aber vor allem deshalb wichtig, weil uns die Zeit wegläuft.
Bei über 70.000 Teilnehmenden scheint das eine ziemlich partizipative Veranstaltung zu sein.
Es ist immer die Frage was man unter Partizipation versteht. Die Veranstaltung wird dominiert von großen Unternehmen und Vertreter:innen der Industrieländer. Es gibt auch einige zivilgesellschaftliche Organisationen, die an den COPs teilnehmen, dies ist aber recht voraussetzungsvoll und erfordert ein umfangreiches Budget. Das ermöglicht wiederum vor allem NGOs aus dem Globalen Norden bei der COP anwesend zu sein. Die meisten Organisationen im Globalen Süden verfügen nicht über die nötigen finanziellen Mittel. Viele Geber:innen reduzieren aktuell ihre Unterstützung. Das liegt an den Ereignissen in Europa und an den vielen rechten Regierungen, die an offizieller Entwicklungshilfe nicht wirklich interessiert sind. Selbst die Regierungen der Entwicklungsländer haben oft nicht die Mittel, für eine Teilnahme oder können keine Unterkunft finanzieren und schlafen dann zum Teil auf den Gängen des Konferenzgeländes. Die einzigen die nicht mit Hürden zu kämpfen haben, sind die Lobbyisten der Fossilindustrie und anderer Unternehmen.
Viele Akteure der Zivilgesellschaft sind darüber hinaus mit technischen Hürden konfrontiert. Zum Beispiel die Sprache. Gerade Vertreter:innen indigener Communities sind oft nicht in der Lage, den Diskussionen zu folgen. Manchmal nicht einmal in den separaten Räumen der NGOs.
Welche Rolle spielt Lobbyismus denn auf der COP?
Es gibt doppelt so viele Vertreter:innen großer Lobbygruppen und der Industrie wie der Regierungen der Entwicklungsländer auf der COP. Es ist ein Skandal. Im Gegensatz zu uns haben die Unternehmen direkten und unbeschränkten Zugang zu den Regierungsvertreter:innen. Sie haben das Geld, um große Pavillons auf der COP zu organisieren. Dort sprechen sie mit den Verhandlungsführer:innen der Delegationen und halten Treffen und Veranstaltungen ab. Oft sind diese gar nicht öffentlich zugänglich, sondern funktionieren nur auf Einladung. Mit etwas Vergleichbarem kann die Zivilgesellschaft schwerlich aufwarten. In der Vergangenheit wurden von den Lobbygruppen sogar Einzelpersonen finanziert, die als „Beobachter:innen“ an den Klimaverhandlungen teilgenommen haben und sich als Akteure der Zivilgesellschaft ausgaben. Immerhin konnten wir eine neue Regel durchsetzen, nach der die Teilnehmenden ihre Verbindungen zur Industrie offenlegen müssen.
Die meisten Leser:innen dieses Interview waren selbst wohl noch nie auf einer COP oder einer vergleichbaren Konferenz. Kannst Du uns den Modus vor Ort beschreiben?
Etwas einzubringen benötigt einen langen Vorlauf. Eigentlich beginnt das Ringen um die Agenda ein Jahr davor und ist mit der Teilnahme an ressourcenintensiven Vorbereitungstreffen und Konferenzen verknüpft. Das limitiert unsere Möglichkeiten.
Bei den Klimaverhandlungen kommen die Länder dann im Wesentlichen durch ein Konsensverfahren zu einer Entscheidung, nicht durch Abstimmung. Daher dauert es manchmal zwei Wochen, bis eine Verhandlung abgeschlossen ist und ein Ergebnisdokument vorgelegt werden kann. Indem die Zivilgesellschaft ihre eigenen Regierungen durch politischen Druck in die Pflicht nimmt, können wir über die nationale Ebene in begrenztem Maße Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Das ist eine wichtige Strategie, insbesondere für die Zivilgesellschaft im Globalen Norden. Jenseits dessen und auch auf der COP selbst gibt es kaum noch Raum, Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen.
Bei der COP gibt es zudem ein Nord-Süd-Gefälle. Die Kluft zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern ist wirklich groß. Bei den Verhandlungen über den Loss-and-Damage-Fund in Ägypten haben die Industrieländer beispielsweise versucht, die AOSIS-Gruppe (die Allianz der kleinen Inselstaaten) unter Druck zu setzen oder mit kleinen Zugeständnissen einzukaufen. So sah eine Bestimmung vor, dass nur die am stärksten gefährdeten Länder Zugang zu den Fonds erhalten sollten, wodurch viele Länder des Globalen Südens keine Hilfe bekommen hätten. Das haben wir verhindern können.
Aber sie haben auch dem Drängen der Industrieländer nachgegeben, den Fonds bei der Weltbank anzusiedeln, die wiederum eine Geschichte der Ausbeutung fossiler Brennstoffe und Unternehmen mit negativer Menschrechtsbilanz unterstützt hat. Zudem ist sie profitorientiert. Es geht ihr darum, den privaten Sektor zu mobilisieren, damit er mehr Geld in den Fonds einzahlt, anstatt dass die Industrieländer und die Regierungen des Nordens als Ausdruck ihrer historischen Verantwortung und Verpflichtung einen Beitrag leisten.
Du hast die Architektur der Klimafinanzierung angesprochen. Worum geht es da genau?
Das Hauptproblem der derzeitigen Struktur der Klimafinanzierung ist, dass die Zusagen nicht auf der Grundlage der tatsächlichen Bedarfe der Entwicklungsländer gemacht werden, sondern das Ergebnis politischer Verhandlungen sind, die von Ländern des Globalen Nordens dominiert sind. Ein weiteres Problem ist, dass es derzeit keine klare Definition dafür gibt, was Klimafinanzierung eigentlich bedeutet. Aufgrund dessen zählen die Regierungen des Nordens ihre Entwicklungshilfebeiträge auch als Klimabeiträge. Das gleiche gilt für Kredite, die sie den Entwicklungsländern gewähren. Außerdem gibt es für die Regierungen der Industrieländer keine wirklichen Konsequenzen, wenn sie ihre Versprechen zur Klimafinanzierung nicht einhalten.
Anstatt uns die notwendigen Wiedergutmachungen für die Auswirkungen einer Klimakrise zu gewähren, die wir nicht verursacht haben, erhalten wir Kredite, also Schulden anstatt Reparationen. Viele der besonders betroffenen Länder sind bereits hoch verschuldet, das verschlimmert die Anfälligkeit nur noch weiter.
Bei einem Blick in die Berichterstattung hört sich das ein bisschen anders an.
Das ist ein zusätzliches Problem. Es gibt eine ausgeprägte Praxis der narrativen Umdeutung. Was wir beispielsweise beobachten können, ist, dass in Fragen der Eindämmung des Klimawandels von den Industrieländern auf die so genannten Schwellenländer fokussiert wird. Wir sprechen viel über China, Indien, Indonesien, Brasilien. Länder, die eine Menge Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben. Sie wollen sich auf diese Länder konzentrieren und deren Klimaambitionen erhöhen.
Aber wenn man sich die historischen Daten ansieht, dann waren sie nicht diejenigen, die den größeren Teil der Treibhausgasemissionen verursachten. Und wenn man sich die Pro-Kopf-Emissionen ansieht, sind sie wiederum nicht mit denen der Entwicklungsländer vergleichbar. Die Debatte wird umgestaltet. Sie vermeiden den Begriff "Entwicklungsländer" und verwenden stattdessen "Schwellenländer". Also eine Menge sprachlichen Revisionismus. Außerdem sprechen sie nicht mehr von "gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortung", sondern von "gemeinsamen Verpflichtungen". Wir erwarten von den Industrieländern, dass sie aufhören, die Sprache zu verändern und die Bedingungen der Debatte zu kontrollieren.
Was könnt ihr als zivilgesellschaftliche Akteure denn unter diesen Bedingungen überhaupt einbringen?
Als Zivilgesellschaft organisieren wir Nebenveranstaltungen. Normalerweise müssen wir mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten, um uns für Nebenveranstaltungen zu bewerben. Denn es gibt einfach wenig Platz für uns. Während der Verhandlungen gibt es dann immer wieder Momente, in denen die Zivilgesellschaft das Wort ergreift, aber das ist eher die Ausnahme und hängt auch vom Wohlwollen der Verhandlungsführenden ab, denn es gibt nur ein eingeschränktes Rederecht. Während der Plenarsitzungen hat die Zivilgesellschaft 3 bis 5 Minuten Zeit, um einen Beitrag zu leisten. Das ist der einzige Moment, in dem sie tatsächlich etwas sagen und gehört werden kann. Diese Interventionen haben keinen Einfluss auf die Ergebnisse, aber sie werden im Protokoll festgehalten. Wenn man so will, sind wir da, damit unser Widerspruch nicht aus dem Protokoll gestrichen werden kann.
Die COP-Treffen sind stark kommerzialisiert. Es geht nicht mehr wirklich um die Klimaverhandlungen. In Wirklichkeit geht es darum, dass beispielsweise Coca-Cola seine Praktiken bei diesen Klimaverhandlungen greenwashen kann. Aus sehr verständlichen Gründen weigert sich deshalb ein Flügel der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung, an der COP teilzunehmen. Wir als IBON international sind da pragmatisch. Die COP bekommt so viel Aufmerksamkeit, wir wollen die Chance, auch dort unsere Stimmen hörbar zu machen nutzen.
Unabhängig davon, ob wir in den Verhandlungen ein konkretes Ergebnis erzielen können oder nicht, besteht ein wichtiger Wert der Anwesenheit zivilgesellschaftlicher Organisationen darin, dass wir auch in der Lage sind, bestimmte problematische Entwicklungen zu behindern, gerade die der Industrieländer. Da sie wissen, dass es eine Zivilgesellschaft gibt, sind sie etwas vorsichtiger, was ihre Aktionen und Entscheidungen angehen. Das ist nicht viel, aber ohne uns und viele andere, wäre bisher gar nichts passiert.
Das Interview führte Karin Zennig. Übersetzt von Mathis Wilk.