Interview

Klima der Verfolgung

01.04.2025   Lesezeit: 12 min  
#klimagerechtigkeit  #strategien gegen rechts 

Klimaaktivistin Carla Hinrichs und Rechtsanwalt Peer Stolle über die Anklage von fünf Mitgliedern der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung – und worauf es jetzt ankommt.

Die Klimakrise eskaliert und mit ihr die Repression gegen Klimaaktivist:innen. Die Ergebnisse einer jüngst von Global Witness veröffentlichten Studie zeigen, dass Morde und das Verschwinden von Klima- und Umweltaktivisten in vielen Ländern an der Tagesordnung sind. Brasilien hatte mit 401 Toten die höchste Opferzahl, gefolgt von 298 auf den Philippinen, 86 in Indien und 58 in Peru. Repression nimmt aber auch in den Ländern des globalen Nordens zu. Jeder fünfte verhaftete Klimaaktivist befand sich in Australien, gefolgt von Großbritannien.

Auch in Deutschland werden Berufsverbote gegen Lehramtsstudierende ausgesprochen, Präventivgewahrsam umgesetzt und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gegen Klimaaktivist:innen erhoben. Das am 24. März eröffnete Strafverfahren wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung gegen fünf Mitglieder der Letzten Generation bildet den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Wir haben mit Carla Hinrichs, Angeklagte und Sprecherin der Initiative Letzte Generation, und Peer Stolle, Vorsitzendem des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, gesprochen.

medico: Carla, die Anklage gegen dich und die Letzte Generation ist nach Paragraph 129 gestellt. Im März 2023 gab es bundesweite Razzien in 15 Objekten in sieben Bundesländern. Manche von euch wurden mit gezogener Waffe im WG-Flur gestellt, eure Website wurde temporär gesperrt und eine unklare Anzahl von Personen beschattet. Was bedeutet die Anklage?

Carla Hinrichs: Mir liegen 149 Seiten Anklageschrift vor, die krampfhaft wie ein Thriller formuliert wurden. Auf persönlicher Ebene ist es erst mal sehr beängstigend, mit einer Anklage nach § 129 StGB konfrontiert zu sein, die sonst vor allem für Organisierte Kriminalität genutzt wird. Auf einer nächsten Ebene betrifft es aber nicht nur uns fünf – für uns ist nicht zu erkennen, warum genau diese konkreten Personen angeklagt sind. Und das ist auch das Gefährliche: Es sollen nicht einzelne Taten bestraft werden, also nicht, dass ich mich mal in Frankfurt, mal in Berlin auf die Straße geklebt habe. Was bestraft werden soll, ist, dass wir uns zum protestieren zusammengetan haben sollen. Wir sehen das als generellen Angriff auf zivilgesellschaftliches Engagement, weil es Angst macht und Angst verbreitet. Muss ich mich jetzt zweimal fragen, ob ich an eine Klimabewegung 2, 3, 4, 5 Euro spende, weil ich damit eventuell an der Gründung einer kriminellen Vereinigung beteiligt sein könnte? Das schränkt Engagement und Solidarität gravierend ein. Wie können wir weiter protestieren, wenn schon gegen friedlichen Protest so radikal vom Staat vorgegangen wird?

Welche Geschichte hat der Paragraph im deutschen Strafgesetzbuch?

Peer Stolle: Der §129 stammt aus dem preußischen Strafgesetzbuch und wurde jetzt auch wieder in der Öffentlichkeit als Mafia-Paragraph bezeichnet. Das stimmt aber nur so halb. Geschichtlich wurden damit politische Einrichtungen der Arbeiter:innenbewegung und der Sozialdemokratie verfolgt. In Westdeutschland wurde der Paragraph in den 1950er Jahren „entpolitisiert“. Verfolgt wurden Vereinigungen, deren Zweck darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen. Nach dem Paragraphen besteht aber die besondere Gefährlichkeit einer Vereinigung darin, dass sich Leute mit einem Gesamtwillen zusammenfinden, aus dem heraus sich eine Dynamik entwickelt, in der auch jede Einzelne nach einem Leitbild handelt. Das ist ein Charakteristikum, was in aller Regel auf Top-Down organisierte kriminelle Vereinigungen nicht zutrifft, sondern eher bei politischen Gruppen zu finden ist.

Die praktische Besonderheit des §129 liegt zudem in der ihm innewohnenden Eskalationsdynamik. Weder die Ermittlungsschritte in einem solchen Verfahren noch die Sachverhalte sind begrenzt. Ermittelt wird nicht wegen einer konkreten Tat, sondern gegen eine Struktur und man weiß nie, wo sie anfängt und wo sie aufhört, wer Mitglied, Unterstützer:in sein könnte oder unbeteiligte Dritte. Deswegen können die Ermittlungen immer wieder ins Uferlose ausgedehnt werden. Betroffen von den Maßnahmen, wie Telefonüberwachung und Observationen können selbst weiter entfernte Kontaktpersonen sein.

Geleitet wird die Ermittlung gegen die Letzte Generation unter Federführung der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Hat der Staat bei der Bekämpfung der Klimabewegung in den Aufstandsbekämpfungsmodus geschaltet?

Peer Stolle: Es ist sinnvoll, die Logik und den Zweck des §129 genauer zu betrachten: Man muss gar nicht selber an Straftaten beteiligt gewesen sein, es muss auch nicht mal überhaupt zu Straftaten gekommen sein, es reicht die Zwecksetzung aus, um sich im Sinne des §129 strafbar zu machen. Der Hauptzweck besteht in der Verunsicherung von Milieus: Mache ich mich schon strafbar, wenn ich denen Geld oder ein Interview gebe? Das Ziel ist, dass sich Leute von den Beschuldigten abwenden und nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen. Es geht darum, die Beschuldigten gesellschaftlich zu isolieren.

Carla Hinrichs: Das kann auch erreicht werden, wenn uns das Gericht am Ende freispricht – der Schaden an der Klimabewegung ist trotzdem bereits entstanden. Die Angst in der Gesellschaft wurde ja schon verbreitet. Es ist deswegen ein Fehler, jetzt erst mal zu schauen, was die Gerichte so machen. Sondern wir müssen sagen, so ein Verfahren darf vom Gericht gar nicht eröffnet werden, weil es der Zivilgesellschaft substanziell schadet. Ich schließe nicht aus, am Ende vor Gericht zu stehen für das, was ich getan habe. Wir gehen ja überall mit unserem Namen und Gesicht hin. Aber nun werden plötzlich Handlungen, die eigentlich komplett straffrei sind, wie das Spenden an eine Organisation oder das Bereitstellen von Räumen und Ressourcen in diesen strafbaren Raum gesetzt.

Die Anklage verändert auch begrifflich etwas, Klimakriminalität wird neu definiert. Eigentlich bezeichnet der Begriff ja Verbrechen von Unternehmen oder Staaten: das widerrechtliche Einleiten von Gift ins Grundwasser oder Böden, die Ignoranz von Abgasgrenzwerten, der Einsatz von lebensgefährlichen Pestiziden, das bewusste Einkalkulieren von Unfällen und großflächigen Verschmutzungen und Gesundheitsschädigungen. Mittlerweile assoziiert man damit aber etwas anderes. Wie bewertet ihr vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Repression gegenüber Klimaaktivist:innen?

Peer Stolle: Also ich wäre vorsichtig, darin eine neue Qualität zu sehen. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, wurde soziale und politische Opposition immer mit staatlicher, auch harter Repression überzogen. Das ist grundsätzlich nichts Neues. Bei der Strafverfolgung geht es neben einer persönlichen Schuldfeststellung auch um eine soziale Positionszuweisung. Welche Handlungen, welche Personengruppen sollen marginalisiert, gesellschaftlich ausgeschlossen werden. Das ist eindrücklich bei der Unterstützung von Migration aufzeigbar. In Polen oder auch in Italien werden Fluchthelfende mit fünf Jahren Haft dafür bestraft, Menschen Unterkunft gegeben zu haben. 2015, im Sommer der Willkommenskultur, galt dieselbe Handlung als zivilgesellschaftliches Engagement, das alle unterstützt haben. Damals wäre ein solches Verfahren vollkommen undenkbar gewesen. Jetzt sollen solche Handlungen sozial geächtet werden.

Auch bei Klimakämpfen gibt es diese Entwicklung. Noch vor kurzem gingen Hunderttausende auf die Straße und eigentlich alle wollten Klimaschutz betreiben. Dann wurde klar: So einfach ist das nicht und eigentlich nur möglich mit enormen Einschränkungen unseres Lebensstils. Es ist klar, dass Politik und Wirtschaft das nicht durchsetzen wollen. Und jetzt wird das Strafrecht als Mittel benutzt, um mit dem Stigma der kriminellen Vereinigung die Kritik an der Klimapolitik aus dem gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen.

In Großbritannien ist das drastisch eskaliert. Die Verschwörung zur Erregung öffentlichen Ärgernisses soll dort jetzt mit fünf Jahren Haft belegt werden. Das ist natürlich gravierend und für die Klimabewegung neu, aber für den Umgang mit sozialer Opposition, würde ich sagen, nicht.

Carla Hinrichs: Gut kann man das auch an den Bauernprotesten zeigen, die letztes Jahr alles in unserem Land lahmgelegt haben. Angeblich alles vom Versammlungsrecht gedeckt. Und die haben nicht Kleber an ihre Hand geschmiert und sich friedlich mit ihren Körpern eingesetzt, sondern riesige, gefährliche Geräte bewegt und Gülle auf die Autobahngekippt, wobei sogar Menschen zu schaden kamen. Trotzdem wurde das ganz anderes eingeordnet. Dabei ist ja nicht unser Protest die schlechte Nachricht. Wir sind nur der Bote der schlechten Nachrichten, dass hier gerade alles auf dem Spiel steht – aber es wird lieber der Bote erschossen, statt endlich etwas gegen die eskalierende Klimakatastrophe zu tun. Das ist sehr bezeichnend für eine Gesellschaft im Jahr 2025.

Die Kriminalisierung, so wie ihr sie beschreibt, ist nicht nur eine Frage des Rechts, sondern auch eine der Demokratie und gesellschaftlichen Teilhabe. Amnesty, Brot für die Welt oder Green Legal Spaces haben in einer Reihe von Studien zum Zustand der Zivilgesellschaft genau das bestätigt gefunden: die Teilhaberechte der Klimabewegung in Deutschland sind bedroht. Auch ein Zeichen des globalen Rechtsrucks, der sich bis ins Recht auswirkt.

Carla Hinrichs: Ich sehe darin definitiv eine neue Qualität. Dass sich Friedrich Merz schon auf dem Weg ins Kanzleramt traut, mit seinem riesigen Fragenkatalog, zivilgesellschaftliche Akteure anzugreifen, spielt den Rechten unglaublich gut in die Karten. Ich denke mir immer, für wen macht die Staatsanwaltschaft eigentlich gerade die Arbeit? Für eine Regierung, die in ein paar Jahren vielleicht AfD-geführt ist. Dann haben die das alles auf dem Tisch liegen. Das ist es, was mir Angst macht. In einem Rechtsstaat, der noch funktioniert, vor Gericht zu stehen und im Gefängnis zu sitzen, das ist nicht schön. Aber wenn der Rechtsstaat auf dem Spiel steht, ist die Perspektive eine ganz andere. Wenn wir in die USA, nach Argentinien usw. schauen, dann ist absehbar, dass sich so eine Entwicklung auch in Deutschland abspielen könnte. Dann politisch aktiv zu sein, dann vor Gericht zu stehen und im Gefängnis zu sitzen, das ist etwas anderes.

Peer Stolle: Die Gerichte setzen nicht immer das um, was Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik wollen. Das liegt an der relativen Autonomie der Justiz. Was wir aber jetzt erleben, ist ja, dass diese Institutionen viel stärker unter Druck geraten und ihre Grundlagen geschliffen werden. Man sieht in den USA, wie schnell das gehen kann, und dass da, da bin ich vollkommen bei dir, Carla, die große Gefahr besteht: in der gesellschaftlichen Entwicklung hin zum reaktionärem Autoritarismus. In dieser Entwicklung werden schützende Formen zerstört. Solche Verfahren wie gegen euch können schnell zum Teil dieser Dynamik werden und ihm eine neue Qualität geben. Wir sehen gerade in den USA, dass Proteste gegen Tesla als Terrorismus eingestuft und entsprechend rigoros gegen sie vorgegangen wird. Das ist ganz offensichtlich eine Form der politischen Inszenierung und der Instrumentalisierung von exekutivem Handeln.

Apropos gesellschaftliche Stimmung. Manche würden argumentieren, dass gerade die Letzte Generation mit ihren Aktionen zur Verringerung der Zustimmung zum Klimaschutz beigetragen hat.

Carla Hinrichs: Ich glaube, das ist ein Trugschluss. Es gab eine Studie vor der Bundestagswahl, die gesagt hat, Klima ist für viele das wichtigste Thema bei der Wahl. Aber wenn es zum Beispiel im Kanzlerduell keine einzige Frage zur Klimakrise gibt, dann wird natürlich auch nicht darüber geredet. Und wir dürfen nicht vergessen, welche Machtinteresse hinter dem Erhalt der fossilen Industrie- und Energiewirtschaft stehen. Merz selbst, will dass die Automobilindustrie die deutsche Leitindustrie bleiben soll. Alles andere, zum Beispiel die Klimaziele, muss sich dem dann unterordnen. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, von einem Desinteresse der Bevölkerung an Klimapolitik auszugehen. Wir erleben viel mehr ein Klima der Desinformation, Fakenews und des untern Tisch Kehrens einer Krise, die unser aller Lebensrealität massiv verändern wird.

Ihr habt im Gespräch beide darauf verwiesen, dass es jetzt darum geht, zu verhindern, dass diese Klage gegen euch überhaupt geführt wird. Was habt ihr damit gemeint?

Carla Hinrichs: Erst einmal gibt es nur eine Anklage der Staatsanwaltschaft. Das Gericht hat jetzt die Möglichkeit, den Prozess zu eröffnen oder nicht. Es kann sich auch dagegen entscheiden. Auch wenn das unwahrscheinlich ist, gibt es diese Option. Die Staatsanwaltschaft durfte jahrelang ermitteln. Jetzt kriegen wir die 149 Seiten Anklageschrift und Gigabytes an Akten und haben vier Wochen Zeit, dazu Stellung zu beziehen. Aber eigentlich sind es gar nicht wirklich wir, die Stellung beziehen müssen, sondern die Gesellschaft. Denn es geht um unser aller Zukunft. Deswegen haben wir eine Petition ins Leben gerufen, in der wir sagen, wenn euch das auch Angst macht und wenn ihr auch denkt, dass diese Verhandlung nicht eröffnet werden sollte, dann unterschreibt. Vor ein paar Tagen sind auch Luisa Neubauer, Christoph Bautz von Campact, Amnesty International und die Gesellschaft für Freiheitsrechte zusammengekommen, um die Anklageerhebung gegen uns zu kritisieren.

Peer Stolle: Weil die Terrorismusbekämpfungsabteilung und die Generalstaatsanwaltschaft mit dem Fall betraut sind, steht ein mögliches Verfahren quasi automatisch unter einem Terrorkennzeichen.Und so wird sich auch auf allen Ebenen verhalten: es wird nicht geklopft, sondern Türen aufgebrochen und mit gezogener Waffe die Leute bedroht. Ein solches Vorgehen ist gerade in Bezug auf die Letzte Generation vollkommen absurd: die Personen sind bekannt und man weiß, dass sie friedlich sind. Das SEK muss das nicht herausfinden. Aber die maßgebliche Logik des polizeilichen Handelns ist Terrorbekämpfung. Das zu durchbrechen – auch unabhängig davon, was in diesen Verfahren rauskommt – scheint mir zentral.

Außerdem: Verurteilungen können auch ihren Zweck verfehlen. Nämlich dann, wenn viele Leute sagen, dieser Prozess ist illegitim, er ist politisch motiviert, damit werden bestimmte Ziele verfolgt und wir finden das, was die Angeklagten gemacht haben, richtig und wir unterstützen das in der Öffentlichkeit. Erfolg besteht nicht notwendigerweise im Freispruch, sondern darin, die Logik umzudrehen: Die Notwendigkeit von Klimaprotesten ist der Kern. Dafür ist eine breite öffentliche Solidarisierung und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung wichtig. Meines Erachtens ist es noch nicht ausgemacht, ob die Anklage vom Gericht zugelassen wird. Und es ist auch nicht klar, ob es zu einer Verurteilung kommt. Aber man kann auch Verurteilungen ins Leere laufen lassen, wenn Leute sagen, das nehmen wir in Kauf, aber das, was wir gemacht haben, ist legitim.

Das Interview führte Karin Zennig

Projekte für Klimagerechtigkeit

medico unterstützt verschiedene klimapolitische Netzwerke und Initiativen aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika, die uns allen die Frage stellen, wer für die Zerstörung dieser Welt eigentlich Schuld und Verantwortung zu tragen hat – „wer eigentlich wem was schuldet“. Unsere Partner:innen fordern einen radikalen Schuldenschnitt, organisieren den tagtäglichen Kampf um lokale Ernährungssouveränität und streiten für die Anerkennung der ökologischen Schuld durch den Globalen Norden. Sie streiten um ihr und um unser Menschenrecht auf Leben, Selbstbestimmung und Würde. Nicht selten sind sie dabei von Kriminalisierung und Verfolgung bedroht. 


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