Als 2023 in El Salvador der selbsternannte „coolste Präsident der Welt“ mit Basecap und Jeans vor die Presse trat, um das „größte und modernste Mega-Gefängnis Lateinamerikas“ zu eröffnen, genoss er bereits breiten Rückhalt in der Gesellschaft. Die Ansprache im Superlativ verfängt bis heute: El Salvador ist endlich wer. Nicht mehr Bandenkriminalität und Armut schaffen es in die internationale Presse, sondern Stärke und Aufbruch – personifiziert durch Präsident Nayib Bukele. Er hat die Mehrheit der Bevölkerung im „Kampf des Staates gegen kriminelle Banden“ hinter sich – obwohl Abertausende ohne rechtliche Grundlage inhaftiert wurden.
Der „strafende Populismus“ in El Salvador ist längst Teil des autoritären Playbooks der globalen Rechten. Das geht so weit, dass Bukele nur wenige Tage nach dem Amtsantritt von Donald Trump anbot, nicht nur die Abschiebung eigener Staatsbürger:innen aus den USA zu akzeptieren, sondern auch Schwerverbrecher – egal ob US-Bürger:innen oder nicht – in salvadorianischen Gefängnissen aufzunehmen. Die US-Administration zeigte sich geschmeichelt: „In a heartbeat“ würden Trump und Außenminister Marco Rubio das Angebot annehmen, gäbe es keine legalen Hürden.
Den Strafvollzug auszulagern passt in die Logik der US-Regierung. Berichte über Massenabschiebungen und Videos von Bürgerwehren, die Migrant:innen ohne Papiere denunzieren, erzeugen Bilder der Grausamkeit und nähren die Fantasie einer Allmacht des repressiven Staates. Auch in El Salvador wurde die Eröffnung des „Mega-Gefängnisses“ durch eine mediale Kampagne begleitet. Ihr Kern: demütigende, entmenschlichende Bilder der Inhaftierten. Eine Zurschaustellung, fast schon eine Pädagogik der Gewalt, die in der Bevölkerung breiten Zu- und nur wenig Widerspruch findet. Wie lässt sich dieser Enthusiasmus für Bestrafung und Demütigung erklären?
Konjunktur der toxischen Männlichkeit
Trump und Bukele befreien ihre Anhänger:innen vom Gefühl, nicht wirksam, nicht relevant zu sein. Sie vermitteln den Menschen den Eindruck, (wieder) die Plätze in den ersten Reihen gesellschaftlicher Zugehörigkeit zu erobern, die ihnen zuvor andere – wahlweise Migrant:innen, Sozialhilfeempfänger:innen oder Frauen – angeblich weggenommen hatten. Hier zeigt sich ein Autoritarismus von unten, der vom Wunsch nach Rache getragen ist. Der Hass auf die eigene Ohnmacht und das Gefühl, in der Gesellschaft nicht mehr wichtig zu sein, findet in der öffentlichen Demütigung anderer ein Ventil.
Nicht zufällig fühlen sich vor allem junge weiße Männer von diesen Affekten abgeholt. Das Suggerieren von Stärke und hartem Durchgreifen befreit sie von der Last des Gefühls, ihre Vormachtstellung könnte bedroht sein. Heterosexistische bis toxische Männlichkeitsideale erleben in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Geraten patriarchale Vorstellungen einer männlichen Überlegenheit ins Wanken, nehmen Misogynie ebenso zu wie die Feindschaft gegenüber all jenen, die diese Vorstellungen infrage stellen – vor allem Frauen und Queers. Es ist die Rache des gekränkten Machos, der sich einzig und allein seiner Fantasie eines starken Oberhaupts zu unterwerfen vermag.
Das Beispiel zeigt, dass mehr Zwang oftmals nicht weniger Konsens bedeutet – im Gegenteil, der autoritäre Umbau von Staat und Gesellschaft erfreut sich enormer, wachsender Popularität. Spinozas Frage, warum die Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen, als ob sie ihr Heil wäre, erscheint heute dringender denn je: Weltweit expandieren reaktionäre Diskurse und Ideologien der Ungleichheit, die antidemokratischen Merkmale der neoliberalen Staaten und Gesellschaften treten immer offener zutage, Herrschaft und Ausbeutung werden zusehends brutaler. Das zeigt der strafende Populismus El Salvadors ebenso wie die Pädagogik der Gewalt in den USA.
Zu den Stärksten gehören
Autoritarismus ist ein Projekt von oben. Seine Maßnahmen werden jedoch begleitet und ermöglicht von unten: durch den Ruf nach Ordnung und einer „harten Hand“. In Argentinien führen die durch Präsident Javier Milei um fast ein Drittel gekürzten Sozialausgaben zu Höchstwerten in der Armutsrate. Dennoch hält sich die Zustimmung für seine Politik stabil bei mindestens 40 Prozent – die Stigmatisierung von Armut wirkt. Hinzu kommt die Vorstellung einer totalen individuellen Freiheit ohne Gesellschaft ebenso wie die Angst, etwas von anderen Gruppen weggenommen zu bekommen.
Milei demonstriert, dass Politik unter radikal neoliberalen Vorzeichen zur reinen Durchsetzung von Interessen verkommt und nicht mehr als Raum zur Aushandlung ebenjener verstanden wird. Das befördert den Wunsch, zu den Stärksten zu gehören, zu denen, die ihre Agenda mit größtmöglicher Härte durchsetzen können, auch wenn sie nicht notwendigerweise die unmittelbar gleichen Interessen vertreten.
Schwindet die demokratische Praxis der Aushandlung, führt das zu einem weiteren Problem: Wenn die subjektiven Erfahrungen der Menschen von Unrecht oder Benachteiligung keinen Wiederhall in öffentlichen Debatten oder politischem Handeln finden, wächst das Gefühl von Ohnmacht. An die Stelle von Argumenten treten Affekte. So bleibt der rechte Backlash zwar ein Projekt von oben. Er wird jedoch über soziale Spektren hinweg von einem autoritären Begehren getragen, das rassistische, anti-feministische und anti-egalitäre Antworten auf soziale Probleme sucht und fordert.
Woher kommt der Ruf nach Ordnung?
Autoritäres Begehren ist geprägt von einem Wunsch nach Ordnung. Die amerikanische Anthropologin Arlie Hochschild zeichnet in diesem Sinne das Bild einer Warteschlange: Die Menschen stehen an, um ihre Träume zu verwirklichen. Doch sie haben nicht das Gefühl, dem Traum näher zu kommen, obwohl sie sich durch ihr Leben gekämpft haben. Schuld daran sind die Vordrängler:innen: Migrant:innen, Frauen und queere Menschen, Schwarze, „Klimaterroristen“ und Sozialhilfeempfänger:innen. Je nach Kontext werden sie für wirtschaftliche Krisen, vermeintliche Sicherheitsprobleme oder sinkende Geburtenraten verantwortlich gemacht. Das Bild zeigt, dass das neoliberale Versprechen von Wohlstand für alle, wenn sie sich denn nur individuell anstrengen, nie eingelöst werden konnte. Gleichzeitig ist es naheliegender, die Vordrängelnden dafür verantwortlich zu machen, anstatt zu erkennen, dass das Versprechen selbst immer schon faul war.
Ungleichheit wächst und die Prekarisierung im Alltag, wie steigende Mieten, Verschuldung für Schulgebühren oder teure Lebensmittelpreise, nimmt eklatant zu. Öffentliche Infrastrukturen der sozialen Reproduktion stehen unter massivem Druck: Einsparungen im Gesundheitsbereich, Rentenreformen, kaputtgesparte Schulen, Kitas und Beratungsangebote kennzeichnen die Aushöhlung der Daseinsvorsorge. All diese Leistungen sind jedoch essentiell, denn sie umfassen die Befriedung sozialer und affektiver Bedürfnisse und halten eine Gesellschaft zusammen. Gleichzeitig steigen Mieten und Lebenshaltungskosten, Einkommen aber werden von der Inflation gekappt. Geraten die Infrastrukturen der sozialen Reproduktion in die Krise, verschärfen sich gesellschaftliche Konflikte. Der Versuch, die entstehenden Lücken zu kompensieren, führt zu Erschöpfung, Krankheit, Überlastung, zu einem Verlust an Qualität der Versorgung oder dazu, dass neue Lücken entstehen.
Wenngleich Krisen an verschiedenen Orten der Welt für die Menschen sehr unterschiedliche Auswirkungen haben, lassen sich Muster erkennen, wenn Ungleichheit wächst und die Prekarisierung im Alltag zunimmt. Gefühle von Isolation, Angst, Stress und Ohnmacht werden stärker. Es entstehen Konflikte um Verteilung und Zugänge. Die gab es selbstverständlich schon vorher – schon immer. Sie dringen jedoch immer stärker in den Alltag ein, destabilisieren soziale Bande und treffen auf eine individualisierte Gesellschaft, in der sich nach 30 Jahren Neoliberalismus das Konzept der Selbstverantwortung durchgesetzt hat. Mit dem Ruf nach Ordnung, so die Soziologin Firoozeh Farvardin, wird der Versuch unternommen, das Versagen neoliberaler Regierungen zu überwinden, eine soziale Reproduktion zu gewährleisten. Die derzeitige globale autoritäre Zuspitzung sei somit eine „Krise des Krisenmanagements“.
Widerstand aus der Peripherie
Antworten auf die gegenwärtigen Krisen werden wir allein bei uns nicht finden. Es braucht eine Auseinandersetzung mit den Erfahrungen und Deutungen in denjenigen Weltregionen, in denen Autoritarismus, Gewalt und Unterdrückung viel weiter fortgeschritten sind. Von dort können wir viel darüber lernen, wie sich Menschen gegen die autoritären Angriffe auf demokratische und soziale Rechte engagieren und organisieren.
In Argentinien zum Beispiel schließen sich die Mütter, die ihre während der Militärdiktatur verschwundenen Kinder suchen, mit Kämpfen gegen patriarchale Gewalt um die Ni Una Menos-Bewegung zusammen. Gemeinsam organisierten sie maßgeblich die Generalstreiks der letzten Monate gegen die rechts-libertäre Regierungspolitik von Milei.
Auch in Kenia löste der Unmut über autokratische Tendenzen landesweite Proteste quer durch soziale Zugehörigkeiten aus. Im Sommer 2024 kam es aufgrund einer geplanten Steuerreform zu Massenprotesten. Kreditprogramme des IWF hatten bereits seit den 1980er Jahren zu einer massiven Verschuldung des Landes geführt. Strukturanpassungen verschärften die Folgen der dann auferlegten Sparpolitik, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 67 Prozent. In dieser Gemengelage erlebte Kenia zuletzt eine Welle femizidaler Gewalt, die für große Empörung sorgte und feministische Forderungen nährte: unter anderem Landrechte für Frauen und für die Einführung von Feminiziden als Straftatbestand. Die Proteste richteten sich gegen die Regierung, gegen den Westen und das Patriarchat gleichermaßen.
Die Ereignisse in Kenia reihen sich ein in politische Umbrüche der jüngsten Vergangenheit, die sich zumindest vorerst einer autoritären Zuspitzung entziehen: der überraschende Sieg des marxistischen Präsidentschaftskandidaten in Sri Lanka, die monatelangen Generalstreiks insbesondere indigener Bewegungen in Guatemala, die einen autoritären Putsch verhinderten und schließlich der Sturz Assads in Syrien. Gesellschaftliche Widersprüche entstehen selbst in scheinbar geschlossen und stabil erscheinenden autoritären Regimen. Das muss nicht zum Rechtsruck führen, sondern kann sich auch anti-autoritär entladen: Im Begehren, so nicht mehr regiert werden zu wollen. Die Beispiele zeigen: Fatalismus ob des Rechtsrucks und Autoritarismus von oben wie unten ist keinesfalls angebracht.
Während die Bedrohung des gegenwärtigen Rechtsrucks real ist, wird oft übersehen, dass überall auf der Welt Menschen nach Antworten auf die allgegenwärtigen Krisen um sie herum suchen und sich gegen die Angriffe von rechts wehren. Viele unserer Partnerorganisationen leben und arbeiten unter autoritären Regimen, vielfach werden sie selbst direkt angegriffen, immer sind sie solidarisch mit anderen Betroffenen und kämpfen mit ihnen für Gerechtigkeit und Menschenrechte, solidarisch und über Grenzen hinweg. Wir stehen an ihrer Seite.