20.11.2024 | Kassel

Erased Memories, Disrupted Futures

Filmscreening und Gespräch an der Uni Kassel

1893. Weithin sind die Flammen sichtbar, als deutsche Soldaten die Gemeinde Hendrik Witboois abbrennen. Als die Kämpfer der Nama zu Hilfe eilen, finden sie nur noch Leichen. Die Deutschen haben alle ermordet: Kinder, Frauen und Alte.

1905. Ein Dampfer der Woermann-Linie nähert sich. An Bord hat es Soldaten, Pferde, Waffen. Nachschub für den Krieg gegen die OvaHerero und Nama. Bezahlt von Steuergeldern. Woermann reicht das nicht, er lässt in Swakopmund ein Lager bauen. Überlebende müssen als Sklavenarbeit Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnlinien bauen.

1907. Das deutsche Konzentrationslager auf ‚Shark Island‘, der Halbinsel am südlichen Zipfel von „Deutsch-Südwestafrika“ wird geschlossen. Tausende Nama und OvaHerero wurden auf der Insel getötet. Die Gebeine von Getöteten lagern noch heute in deutschen Forschungsinstituten und Museen.

Drei Filmproduktionen erzählen die dichte und wenig beachtete Geschichte des grausamen kolonialen Erbes, das Deutschland, Namibia und die Völker der OvaHerero und Nama miteinander verbindet. In einer einzigartigen Ästhetik verbinden sie naturwissenschaftliche Messungen, historische Dokumente und mündliche Zeugnisse der Nachfahren der Überlebenden des deutschen Völkermords zu digitalen Rekonstruktionen der kolonialen Umwelt. Sie erwecken die Landschaften zum Leben und Zeichnen den Schrecken nach, der bis heute anhält. Die Filme geben den Nachfahren eine Stimmgewalt erhalten, die andernorts versucht wurde, ihnen zu verwehren. Auch erzählen die Filme von den Bedingungen, die das koloniale Erbe für immer auszulöschen drohen.

Es ist 2024. Deutschland hat den Genozid nicht als solchen anerkannt. Stattdessen erstarkt die extreme Rechte und mit ihr eine einst vergessen geglaubte Kolonialromantik. Im Süden Namibias wird indes ein neues Energie-Megaprojekt gebaut. Der Traum: Die deutsche Wirtschaft mit grünem Wasserstoff zu dekarbonisieren. Doch dessen Export droht die Insel ‚Shark Island‘ als Gedenkstätte und Erinnerungsort zu vernichten.

In den letzten Jahren hat es eine rapide Entwicklung der Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte gegeben. Doch sie hat eklatante Leerstellen und wird zugleich von einer aufgerüsteten Staatsräson und rechten Narrativen angegriffen.

Jetzt erst recht: Das Wissen über das traumatische Kapitel der verflochtenen Geschichten muss weitergetragen werden. Wir zeigen in verschiedenen Städten in Deutschland und Namibia die filmischen Dokumentationen der deutschen Kolonialverbrechen „damals“ und heute.

In einer einzigartigen Ästhetik rekonstruiert das Forschungskollektiv Forensic Architecture/Forensis Menschenrechtsverbrechen und ausbleibende Gerechtigkeit. Im Dezember 2024 wird ihnen dafür der alternative Nobelpreis verliehen.

Nach dem Filmscreening kommen wir mit Aktivist:innen ins Gespräch, die zwischen Namibia und Deutschland für Gerechtigkeit angesichts der deutschen kolonialen Verbrechen kämpfen, darunter auch von Forensic Architecture selbst.