Die Regenzeit bringt Schauer auf Schauer. Aber niemand der Guardians of the Lake, der „Wächter des Sees“, hat es eilig zu gehen. Am Ufer des Poso-Sees im idyllisch gelegenen Institut Mosintuwu sitzen die Aktivist:innen aus den Dörfern der Gegend zusammen. Mit ihren schwarzen T-Shirts, Mützen und dunklen Regenjacken, bedruckt mit Logos und Slogans der letzten Demonstrationen, wirken sie wie eine in die Jahre gekommene, aber gut gelaunte Untergrundgruppe. Es wird viel gelacht an diesem Abend, aber auch mit großem Ernst und noch größerer Sorge diskutiert. Im Zentrum steht ihr Widerstand gegen ein Mammutprojekt. Der im Bau befindliche Staudamm PLTA-Poso bedroht den See – den drittgrößten des Landes – und seine einzigartige Artenvielfalt. Damit gefährdet er auch die Lebensgrundlage und Kultur der Menschen in den Anrainer-Dörfern. Yombu Wuri, einer der Wortführer, muss schmunzeln, als er sagt, sie seien doch keine Rebellen. Der Bau des Staudamms habe sie faktisch gezwungen, sich zu organisieren. Seit 2019 kämpfen sie. „Die Betreiber sagen, der See sei nur Wasser“, erklärt Wuri. „Er ist aber keine Ware. Er ist unser Leben.“
Als die erste Staustufe des Wasserkraftwerks am Ablauf des Sees fertiggestellt war, begannen die Probleme für die Menschen in der Region: Ohne Vorwarnung stieg das Wasser. Reisfelder wurden überschwemmt und Ernten vernichtet. Büffel drängten sich auf letzten trockenen Flecken Erde, viele verhungerten. Um mehr Druck auf die Turbinen zu erzeugen, wird der See dennoch weiter ausgebaggert. Das einzigartige Ökosystem des Sees, zwei Millionen Jahre alt, und mit ihm die Fischerei, von der die Menschen hier leben, werden zerstört.
Kleine Siege
Einige der überschwemmten Reisfelder gehören Mama Ayu und ihrem Mann. Wir treffen sie einige Kilometer weiter südlich am Ufer des Sees. Die Demonstrationen gegen den Staudamm haben sie hoffen lassen, das Unternehmen würde dem Druck nachgeben, erzählt Mama Ayu. Vergeblich. Der Wasserpegel sank nicht, es folgten zwei Jahre ohne Ernte. Ihre Schulden wuchsen. So sei es vielen in den betroffenen Dörfern ergangen. Angesichts der finanziellen Nöte wandelte sich der Protest: Es ging für die Bäuer:innen und Viehhalter:innen nun auch um Entschädigungen und deren Höhe. Nach zwei Jahren des Protests zahlte das Unternehmen sogar – nur war es viel zu wenig. Mama Ayu konnte nicht mal ihre Schulden begleichen, geschweige denn neu anfangen. „Wir sind Reisbauern und mussten uns verschulden, um etwas Reis auf dem Tisch zu haben.“
Inzwischen sind zwei der geplanten vier Staustufen des Wasserkraftwerkes errichtet, aller Gegenwehr der Anwohner:innen zum Trotz. Aber die Guardians haben auch kleine Siege errungen. Neben einer Erhöhung der Entschädigungen haben sie erreicht, dass der See nicht ganz so weiträumig ausgebaggert wird wie ursprünglich geplant. Vor allem aber ist es ihnen gelungen, in einer Region, die um die Jahrtausendwende von einem Konflikt zerrissen wurde, der über Tausend Menschen das Leben gekostet hat, die Dörfer zu organisieren und im Widerstand gegen das Megaprojekt zusammenzubringen. Einer Meinung sind jedoch auch heute nicht alle. Gerade junge Menschen erhoffen sich von Infrastrukturprojekten Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten. Unermüdlich weisen die Guardians auf die massiven Konsequenzen des Staudamms hin und setzen sich für gerechte Lösungen ein. Dafür ist noch viel zu tun: Während die betroffenen Dörfer mit billigen Entschädigungen abgespeist werden, gehen die Gewinne der Energieerzeugung am See an das private Unternehmen PT Poso Energy, das einem der reichsten Unternehmer des Landes gehört. Die Wächter des Sees müssen sich dabei auch gegen den Vorwurf wehren, sie stellten sich dem Fortschritt mit grüner, sauberer Energie in den Weg. „Wie kann diese Energie grün sein, wenn ihre Erzeugung den See zerstört, Lebensgrundlagen vernichtet und Ungerechtigkeit produziert?“, fragt Yombu Wuri und betont: „Wir sind keine Trottel, die sich per se gegen jede Entwicklung stellen. Wir sorgen uns um die Balance des Lebens.”
Aus der Balance
Die Konsequenzen dieser Entwicklung werden im Dorf Kurisa an der Ostküste Sulawesis besonders deutlich. Von dem kleinen Fischerdorf, das Kurisa einmal war, ist nichts mehr übrig. Statt seiner wurde ein gigantischer Industrie-park , der Indonesia Morowali Industrial Park (IMIP), aus dem Boden gestampft. Gegründet wurde er vor zehn Jahren, vor allem mit Hilfe chinesischer Investitionen. Heute befindet sich hier der größte Abbau- und Umschlagplatz von Nickel in Indonesien. Die Ausmaße der Anlagen sind gewaltig: Förderbänder, Schlote, Walzen, Hafenanlagen mit unzähligen Kränen so weit das Auge reicht, überall quillt Rauch aus Schornsteinen. Es ist sehr laut und extrem heiß. Auf den staubigen Straßen schlängeln sich Tausende Arbeiter:innen in beigen Overalls und gelben Bauhelmen auf Motorrollern durch den Verkehr. Überall werden Masken gegen den heimtückischen Kohlestaub verkauft. Auf dem Meer vor dem Industriekomplex schaukelt eine Jacht sanft im Wasser. Weiter draußen, auf einer vorgelagerten Insel, ist ein Luxusresort entstanden. Hier residiert das obere Management von IMIP, der Blick geht aufs Meer, weg von den Umweltbelastungen und den gefährlichen Arbeitsbedingungen im Industriepark und den umliegenden Abbaugebieten.
Mit diesen ist die kleine NGO Yayasan Tanah Merdeka (YTM) tagtäglich konfrontiert, wie ihr Direktor Richard Fernandes Labiro berichtet. YTM unterstützt sowohl die Dorfbewohner:innen, die unter der angesiedelten Industrie leiden, als auch die Arbeiter:innen in den Schmelzen und Minen, legale wie illegale. Fast jeden Tag ereignen sich im IMIP Unfälle. Allein im vergangenen Jahr starben 36 Menschen, sagt er. Gewerkschaftliche Organisierung ist aufgrund von Einschüchterungen und Polizeigewalt schwierig. Unternehmen wie Politiker:innen seien daran interessiert, dass die Räder sich möglichst ohne Reibung weiterdrehen. Als es Anfang 2023 Proteste gegen die Arbeitsbedingungen gab, wurden diese von Hunderten Sicherheitskräften beendet, zwei Arbeiter kamen ums Leben. Selbst Staatspräsident Jokowi sah sich zu der Forderung genötigt, dass der Vorfall aufgeklärt werden müsse. Die Produktion aber läuft und läuft und läuft weiter – auf Kosten von Mensch und Natur.
Die Rückseite der Energiewende
Wir sprechen mit Azlin, einem jungen Mann, der in Kurisa aufgewachsen ist. Er steuert sein Boot durch den Hafen und deutet auf ein Stück Küste: Hier habe er als Kind mit seinen Freunden getaucht, das Wasser war klar und reich an Fischen. Später habe er als Fischer Geld verdient, erst nahe der Küste, dann immer weiter draußen. Doch selbst dort lohne es sich nicht mehr. Mit der Verschmutzung verschwänden auch die Fische. „Ich will, dass die Unternehmen endlich Verantwortung übernehmen“, sagt Azlin. „Wir wollen keine Kompensation, sondern frische Luft und sauberes Wasser.“ Keine Entschädigung ohne Gerechtigkeit, auch hier. Nachdem seine junge Familie vor ein paar Jahren ein schlichtes Haus am Rand von Kurisa gebaut hatte, entstand keine zehn Meter entfernt eine neue Baustelle. Heute produziert hier ein Kohlekraftwerk Energie für die Nickelproduktion. Der Kohlestaub legt sich auf alles in der Umgebung.
Indonesien besitzt die weltweit größten Nickelvorkommen. Vom Industriepark aus wird das begehrte Metall auf die globalen Märkte gebracht. Verstärkt aber setzte man in Südostasien darauf, die Wertschöpfung im Land zu behalten. So wurde der Export von Roherzen bereits 2014 verboten. Seitdem haben sich diverse Unternehmen auf Sulawesi und im weiteren Archipel angesiedelt. Ziel ist es, nicht mehr nur für den Weltmarkt zu produzieren, sondern bis 2030 auch eigene Elektroautos herzustellen. Damit setzt das Land um, was vom Globalen Süden seit Jahrzehnten angestrebt wird: Nicht mehr nur Lieferant von Rohstoffen für die Industrienationen zu sein, sondern diese selbst in Wert zu setzen. In Kurisa aber wird deutlich, dass das der Abbauregion und der breiten Bevölkerung nicht automatisch hilft. Im Gegenteil: Quasi der gesamte Gewinn fließt in die Hauptstadt Jakarta, den Profit streichen große Konzerne und Investoren ein.
Grüner Kapitalismus?
Nickel ist unabdingbar für das, was weltweit als klimafreundliche Mobilität verkauft wird: Es wird für die Batterien von Elektroautos benötigt und damit für das Versprechen, individuelle Freiheit und Luxus erhalten und gleichzeitig die Welt retten zu können. In Kurisa aber zeigt sich, wie trügerisch diese Rechnung ist. Die Nickelindustrie verbraucht enorme Mengen an Energie. Und diese wird im IMIP wie in ganz Indonesien maximal klimaschädlich aus Kohle gewonnen. Arianto Sangadji, der seit Jahren zu Minen in Indonesien forscht, macht die Größenordnung deutlich: Allein die Nickelindustrie im IMIP verbrennt ein Drittel der Menge an Kohle, die in ganz Deutschland verfeuert wird. Arianto Sangadji kann nur den Kopf darüber schütteln, dass der indonesische Staat und die Investor:innen zukünftig angeblich verstärkt klimafreundliche Energie nutzen und damit die Industrie und das Nickel grüner machen wollen. Der Wissenschaftler glaubt nicht daran, zumal der Nickel-Boom nicht von Dauer sein wird.
Außerhalb des Industriegebietes und an vielen anderen Orten auf Sulawesi prägen riesige Tagebaue die hügelige Landschaft. Wälder werden gerodet, Böden umgewälzt und das Nickel aus der Erde geholt. Die Szenerie erinnert an die Mondlandschaften von Garzweiler. Wie bei Kohle lassen sich auch mit dem Abbau von Nickel schnell Profite machen. Die Auswirkungen des Tagebaus aber sind langfristig: Erdrutsche und Überschwemmungen nehmen zu, die Region kann sich zusehends weniger vor Extremwetter schützen. Das Gegenteil von Klimaanpassung. Auch deshalb verlangt das Mining Advocacy Network JATAM eine umfassende Überprüfung des IMIP durch unabhängige Stellen. So könne gezeigt werden, dass die hier entstandene Industrie viel höhere Kosten verursacht, als in den Bilanzen der Unternehmen auftauchen. „Die wahren Kosten werden von den Menschen getragen, die hier leben“, unterstreicht Imam Shofwan von JATAM. Seine Forderung ist unmissverständlich: „Lasst das Zeug im Boden, es ist zu teuer!“
Solange das nicht passiert, versuchen kleine Organisationen wie YTM oder JATAM gemeinsam mit den Dorfbewohner:innen und Arbeiter:innen dafür zu sorgen, dass die Vernutzung von Mensch und Umwelt aufgehalten oder – sie sind realistisch – wenigstens verlangsamt wird. Yombu Wuri von den Guardians of the Lake am Poso-See sagt es so: „Wir kämpfen nicht für das Ergebnis. Wir wissen, wie mächtig die andere Seite ist. Wir kämpfen, um zu zeigen: Wir sind hier, wir existieren!“
Am stärksten betroffen und am wenigsten verantwortlich: Die medico-Partner:innen in Indonesien kämpfen mit den Auswirkungen der Klimakrise, wie zuletzt bei den Überflutungen in Sulawesi, als sie Hilfe für Betroffene organisierten. Außerdem organisieren sie Proteste gegen zerstörerische Großprojekte und für eine demokratische Nutzung natürlicher Ressourcen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 2/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!