Das Projekt: ri’spekt - Basisgesundheit und AIDS

Eine medico-Kampagne

01.11.2000   Lesezeit: 7 min

Die Welt-AIDS-Konferenz im Juli im südafrikanischen Durban hat die erschreckende Dimension der HIV/AIDS-Epidemie in weiten Teilen Afrikas, Asiens und auch Lateinamerikas an die Öffentlichkeit gebracht, die gewöhnlich hinter den akuten Katastrophen, durch Menschen- und Naturgewalt hervorgerufenen Desastern verborgen bleibt. Besonders aus dem südlichen Afrika gab es Zahlen und Berichte, die das Ausmaß dieser auch in den betroffenen Ländern allzulang verschwiegenen Katastrophe ahnen lassen: Bis zu 25% der Bevölkerung Südafrikas sind mit dem Humanen Immundefizienz Virus (HIV) infiziert, in Botswana wird damit gerechnet, daß bis zu 50% der Menschen, jetzt 15 bis 30 Jahre alt sind, in den nächsten Jahren erkranken und sterben werden, in vielen Ländern sind mehr als die Hälfte aller Krankenhausbetten mit AIDS-Patienten belegt. Die Hälfte des verfügbaren Gesundheitsbudgets muß für die Behandlung und Pflege von ihnen aufgewendet werden. Aber es gibt auch Hoffnungsvolles: In Uganda wurde ein deutlicher Rückgang der Infektionszahlen durch mehrjährige, intensive Kampagnen und vielfältige Initiativen erreicht, die sich für und mit den Betroffenen auf lokaler Ebene wie landesweit organisieren. In Zimbabwe sichern auf lokaler Ebene tausende ehrenamtlicher Helfer Unterstützung und Pflege für AIDS-Kranke, wenn es auch an medizinischem Material und Medikamenten mangelt und deshalb weitergehende Behandlungen selten möglich sind.

Auch die medico-Projektpartner in den betroffenen Ländern sind mit dieser Situation konfrontiert, obwohl sie nicht als spezifische AIDS-Projekte arbeiten: Das Children’s Resource Center in Kapstadt beginnt aktuell damit, die Gesundheitserziehung über den Grundschulbereich auch in die Highschools auszudehnen. Themen wie Geschlechterrollen, Liebe und Beziehung, Sexualität und Schutz vor Infektionen und ungewollter Schwangerschaft rücken damit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. In den Khulumani Support Groups gewinnt auch für die älteren Opfer des Apartheidregiemes das Thema an Bedeutung, weil Familienmitglieder erkranken oder die Großmütter bereits für Enkel sorgen müssen, die AIDS-Waisen geworden sind. Im KwaZulu-Natal Survivor of Violence Programme engagieren sich die Youth Peer Counceller nicht nur in der Versöhnung von Jugendlichen aus verfeindeten schwarzen Gemeinden sondern führen auch Aufklärung in Schulen über die Infektion und ihre Verhütung durch – weil diese Provinz den traurigen Rekord der höchsten Infektionsrate in Südafrika hält: fast 50% der Frauen, die zur Geburt eines Kindes ins Krankenhaus kommen, sind HIV-positiv. Auch in der psychosozialen Arbeit unseres Projektpartners Reconstruindo a Esperanza in Mosambik wird das Thema HIV/AIDS ebenso wie innerfamiliäre und sexuelle Gewalt einen wichtigen Platz einnehmen, weil sich ihre Folgen zunehmend lähmend auf das Leben der Gemeinden auf der Ilha Josina Machel auswirken.

Auch in Lateinamerika sind die medico Partner am Kampf gegen die Seuche und für die Rechte der Betroffenen beteiligt; beispielsweise die chilenische Menschenrechtsorganisation CODEPU, die den HIV/AIDS-Selbsthilfeorganisationen beim Aufbau der eigenen Rechtsberatung und ebenso im Kampf gegen staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung zur Seite steht. Oder die nicaraguanische Organisation Puntos de Encuentro para Transformar la Vida Cotidiana, deren geschlechtsspezifische Männerarbeit zu den wenigen Initiativen gehört, die den lateinamerikanischen Machismo als eine wesentliche Ursache von sexueller und innerfamiliärer Gewalt zu verändern versuchen. Diese vielfältigen Bemühungen der Betroffenen, die Sorge um das Wohlergehen im umfassenden Sinn, die Förderung der Gesundheit und die Sorge um die Erkrankten im weiteren Rahmen gesellschaftlicher Solidarität und Emanzipation gilt es zu verstärken. Dem wichtigen Grundthema von medico: »Basisgesundheit für alle« wollen wir einen neuen Fokus geben, der zunächst die HIV/AIDS-Epidemie in den Blick nimmt, aber darüber hinaus auch auf die anderen Bedingungen und Krankheiten hinweist, die längst nicht mehr »Geißeln der Menschheit« sein müßten, und vielfach Verbindungen zu HIV/AIDS haben, wie Tuberkulose oder Malaria.

respect! – Basisgesundheit und AIDS

Respect! meint Achtung: Selbstachtung vor dem eigenen Leben und Körper ebenso wie der Gesundheit und dem Leben der anderen Menschen. Als sexuell übertragbare Krankheit verweist die AIDS-Epidemie auf die ungleichen Geschlechterverhältnisse in den betroffenen Ländern und Gemeinschaften. respect! unterstützt Frauen, Kinder und Jugendliche dabei, ihre Rechte wahrzunehmen, sich gegen soziale Zwänge zur Wehr zu setzen und die Unverletzbarkeit ihrer Körper zu behaupten, in ihren Beziehungen und Familien und in der Gesellschaft. respect! meint das Recht auf Information über die Krankheit, aber auch die Anerkennung und Berücksichtigung der Lebensbedingungen, in denen Menschen sich tagtäglich durchs Leben schlagen müssen. respect! bricht die Tabus und hilft den Betroffenen, sich auszutauschen: konkrete Informationen weiterzugeben, die Mythen zu entmachten, über Ängste und Unwissenheit zu reden sowie über Infektionsrisiken, Verhütungsmittel, sexuelle Praktiken. An Prävention zu denken und Vorsorge zu treffen, auch wenn jeden Tag aufs neue unklar ist, woher das Geld für Essen und die Miete kommt.

Respect! meint die Solidarität mit den Betroffenen. respect! tritt an gegen die alltägliche Diskriminierung der mit dem Virus Infizierten und Erkrankten, unterstützt sie in ihrer Selbstorganisation und im Einfordern ihrer Rechte auf medizinische und soziale Versorgung und Betreuung durch die Gesellschaft. respect! tritt an gegen repressive Maßnahmen zur Kontrolle der Seuche, gegen Zwangstestungen und Stigmatisierung der Betroffenen. Schutz vor der Epidemie und Prävention sind Aufgabe der gesamten Gesellschaft und jedes Einzelnen. Verantwortliches Verhalten darf nicht nur an die Infizierten delegiert werden.

respect! fördert Initiativen von Betroffenen, ihre soziale Situation zu verbessern. respect! meint das Recht auf Gesundheit, also keine Almosen für die Betroffenen. respect! fordert die Verbesserung der Gesundheitsversorgung vor Ort, damit möglichst weitgehende Behandlungsoptionen für AIDS-Kranke realisiert werden können. Die Basisgesundheitsdienste müssen ausgebaut werden. Für die ärmsten Länder sind zusätzliche Mittel durch die internationale Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. respect! fordert die Gewährleistung der Behandlung opportunistischer Infektionen (wie Tuberkulose, Lungenentzündungen und verschiedene Pilz- und Parasitenerkrankungen) mit den bereits verfügbaren Basismedikamenten. Die neuen antiretroviralen Medikamente müssen schnellstmöglich verfügbar gemacht werden. Dabei dürfen kommerzielle (Patentschutz-)Interessen der multinationalen Pharmafirmen keine Rolle spielen. respect! fordert angesichts der Verwüstungen, welche die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF in den sozialen Diensten der armgehaltenen Länder während der letzten 20 Jahre angerichtet haben und angesichts der laufenden Schuldendienste dieser Länder einen sofortigen Schuldenerlaß zugunsten von Basisgesundheitsdiensten.

respect! fordert die Unterstützung der sozialen Netze, traditionelle und neue solidarische Formen, die AIDS-Kranke und ihre Familienangehörige betreuen.

respect! verlangt von den Menschen des privilegierten Nordens, die Belange und das Aufbegehren, den Protest und die Rechte der Menschen im Süden zu vergegenwärtigen. Sie brauchen kein Mitleid, sondern Respekt und Unterstützung.

Respect! – was tut medico konkret?

  • medico fördert intensiv die Aktionen der Projektpartner, die mit der Epidemie konfrontiert sind und sich mit ihr auseinandersetzen. Dazu gehören konkrete Schritte gegen die Verbreitung der Seuche ebenso wie das Eintreten für die Rechte der Betroffenen in ihren jeweiligen Gemeinden und ihre Unterstützung für menschenwürdige Gesundheits- und Lebensbedingungen.
  • Als Teil des internationalen pharmakritischen Netzwerkes Health Action International unterstützt medico den Zugang der Betroffenen zu den notwendigen Medikamenten. Besonders auf die Verfügbarkeit neuerer Präparate gegen opportunistische Infektionen und vor allem die antiretroviralen Medikamente wirken sich die Patentrechte, die noch einmal durch die neuen Welthandelsabkommen verschärft werden sollen, fatal aus: sie sichern den Pharmamultis die Monopole und damit Verkaufspreise, die weit jenseits der Finanzierbarkeit für die einzelnen Patienten und die öffentlichen Gesundheitssysteme liegen.
  • medico beteiligt sich auch an der Jubilee-South-Kampagne zur radikalen Schuldenstreichung. Nur dadurch können die durch Strukturanpassungsmaßnahmen finanziell ausgebluteten Gesundheitssysteme der ärmsten Länder substantiell verstärkt werden. Ebenso fördert medico eine kritische Beobachtung von Ressourcenverwendung innerhalb der betroffenen Länder: etwa wenn mit deutschen Waffenexporten die Republik Südafrika zur regionalen Ordnungsmacht aufgebaut werden soll.
  • Im eigenen Land suchen wir neue Partner & schließen neue Bündnisse für das Projekt respect! Am 28. November werden wir auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin mit der Deutschen AIDS Hilfe zum Welt-AIDS-Tag (1. Dezember) die Notwendigkeit einer weltweiten solidarischen Anstrengung hervorheben, um die Epidemie zu bekämpfen. In Planung befindet sich ein gemeinsames Seminar mit Vertretern aus dem Südlichen Afrika und AIDS-Aufklärungs-Projekten in Deutschland zur Diskussion von Präventionsstrategien im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext.
  • Weitere Aktionen sind in Planung: Straßenaktionen, Kinospots, Vorträge und Veranstaltungen. Informieren Sie sich über den aktuellen Stand auf der medico homepage www.medico.de. Bei Interesse schicken wir ihnen gerne Material: Projekt- und Hintergrundinformationen – und unterstützen Sie auch bei eigenen Veranstaltungen zum Thema mit Vortrag und Infotisch.

Es geht jetzt um das Projekt respekt! Spendenstichwort: »respect!«


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