Vom Ende eines vernünftigen Projekts

21.11.2012   Lesezeit: 8 min

Nicaragua: In Palmerita haben die meisten Bewohner ihr Land verkauft. Ein Interview mit Dieter Müller, Repräsentant von medico in Zentralamerika.

Dass das integrierte Ansiedlungsprojekt in La Palmerita viele Risiken barg, war medico von vornherein klar. Als sich die protestierenden Landarbeiter, die in einem Aufsehen erregenden Hungermarsch auf Managua die Zusage von Land erhielten, an uns wandten, sie beim Aufbau eines Dorfes und einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu unterstützen, gab es großes Zögern. Eine Machbarkeitsstudie hielt das Projekt für durchführbar. Das größte Problem: Alle 150 Familien waren Tagelöhnerfamilien, die auf Plantagen gearbeitet hatten. Sie besaßen keinerlei Erfahrung als Kleinbauern und ihre Biographien waren allesamt von erheblichen Gewalterfahrungen geprägt. Ende vergangenen Jahres erhielten die Bewohner die Landtitel vom Staat und damit auch das Recht das Land zu verkaufen. Die meisten hielten dem verlockenden Druck eines Agrarunternehmens aus der Region nicht stand – und verkauften.

Dieter Müller hat als medico-Vertreter in Mittelamerika das Projekt gemeinsam mit den lokalen Projektpartnern, die Frauenorganisation MEC (Bewegung Maria Elena Cuadra) und die Agrargenossenschaft aus El Tanque (COOPCOVE), die vergangenen fünf Jahre betreut und schildert die aktuelle Situation sowie die Ursachen für diese Entwicklung.

Wie ist die aktuelle Situation vor Ort?

Dieter Müller: Es gibt knapp 20 Familien, die noch in Palmerita leben und einige bewirtschaften auch ihre Felder. Der Rest der einst 150 Familien hat den Ort verlassen und ihre Ländereien verkauft. Das waren etwa 400 Manzanas (1 Manzana = ca. 0,75 Hektar). Anfang September hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. 50 Personen, zumeist ehemalige Bewohner von Palmerita, haben das Versammlungshaus besetzt und erheben weitere Ansprüche. Sie fordern die Aufteilung der restlichen Grünflächen und des Gemeindelandes, um auch diese zu verkaufen und die Erlöse aufzuteilen. Das Agrarunternehmen, das inzwischen über 80 % der Flächen aufgekauft hat, unterstützt die Besetzer mit Lebensmitteln und stellt ihnen gut bezahlte Anwälte zur Verfügung.

Was bedeutet das für die verbliebenen Familien in Palmerita?

Der Druck auf sie, ihr Land zu verkaufen, wird sich erhöhen. Sie sind eingekreist von den Ländereien des Agrarunternehmens. Ihre Felder liegen verstreut inmitten der Großplantage. Dort werden massiv Pestizide eingesetzt. Das Unternehmen hat auf seinen Flächen alle Bäume, die im Rahmen des Projekts aufgeforstet wurden, mehr als 45.000, roden lassen. Palmerita war ein blühendes Dorf, man sah viele der Häuser schon nicht mehr hinter den Bäumen. Nun ist die Unwirtlichkeit zurückgekehrt. Es läuft eine Klage wegen Umweltverschmutzung gegen das Unternehmen, die zu erwartende Geldstrafe bewegt sich zwar im fünfstelligen Dollar-Bereich, was das Unternehmen aber nicht empfindlich trifft, angesichts der zu erwartenden Gewinne.

Wie lukrativ ist der Landverkauf?

Die Preise haben sich in anderthalb Jahren verdoppelt. Für zwei Manzanas konnten die Bewohner zuletzt 3.000 Dollar erzielen. Für einen nicaraguanischen Landarbeiter ist das bar auf die Hand sehr viel Geld. Der Indikator für Armut liegt in Nicaragua bei zwei Dollar pro Tag. Eine andere Frage ist, was die Menschen mit dem Geld wirklich anfangen können. Sehr viel geht in den Konsum von Waren, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Dann schmilzt das Geld so schnell wie Eis in der Sonne. Tragisch ist, dass mit dem Verkauf und der Umsetzung des Geldes in schnellen Konsum nichts bleibt, was der nächsten Generation dienen könnte. Die meisten arbeiten wieder als Tagelöhner. Das ist das Schicksal, das sie wahrscheinlich auch an ihre Kinder vererben werden.
Was ist der Grund für das Scheitern?

Die Mehrheit der ehemaligen Bewohner hat sich trotz aller Bemühungen im Bereich von Fort- und Ausbildung sowie der psychosozialen Arbeit nicht mit der Perspektive einer kleinbäuerlichen Existenz anfreunden können. Sie waren Landarbeiter und gewohnt ihren kleinen Lohn tage- oder wochenweise ausbezahlt zu bekommen. Ein Kleinbauer muss dagegen in Perioden von drei Monaten bis zu einem halben Jahr denken. Man muss relativ viel investieren, bevor man ein Ergebnis und Einkünfte erzielt. Deshalb haben viele Bewohner schon lange ihre Einkünfte wieder über Tagelöhnerjobs bei den umliegenden Großbauern erzielt und ihre Landflächen verpachtet.

Ist Palmerita also auch an globalen Entwicklungen gescheitert?

Ja. Seit zwei Jahren sind Großbauern und Agrarunternehmen in ganz Nicaragua auf der Suche nach Land. Das hat mit den globalen Agrarspekulationen und dem weltweiten Energiehunger zu tun. Dabei setzen diese Unternehmen verschiedenste Druckmittel ein, um die Leute zum Verkauf ihres Landes zu bewegen. In Palmerita haben einzelne Bewohner nachweislich Provisionen dafür erhalten, dass sie die Nachbarn zum Verkauf überredeten. Damit wurden die ohnehin labilen sozialen Beziehungen im Dorf weiter geschwächt. Statt eine Dorfgemeinschaft zu entwickeln, ging es nur noch darum, wer in diesem Geschäft den besten Schnitt macht. Das Schicksal von Palmerita war besiegelt, als es gelang zwei historische Führer des Hungermarschs auf Managua für dieses Geschäft zu gewinnen. Sie verkauften nicht nur ihr eigenes Land, sondern haben auch Provision für die Vermittlung weiterer Landkäufe erhalten. Sie haben letztlich das Ganze mit dem Agrarunternehmen unter Dach und Fach gebracht.

Bevor medico Spendengelder einsetzte und Mittel für das Projekt in Palmerita beim BMZ beantragte, wurde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Manche Schwierigkeiten waren medico durchaus bekannt. Welches Resümee würdest Du heute ziehen?

Ich habe mir nach der Eskalation im Dorf die Machbarkeitsstudie von damals noch einmal durchgelesen. Mich hat die durchgehende Rhetorik der Bewohner und insbesondere der Führer überrascht, mit der sie begründeten, dass sie nach ihren Erfahrungen als Landarbeiter nur eines wollten: unabhängig werden von den Konjunkturen der Plantagenwirtschaft, Herr sein über eigenes Land und die eigene Subsistenz. In der Studie erzählen sie von den elenden Arbeitsbedingungen in den Kaffeeplantagen, sie sind voller Hass auf die Reichen, die ihr Schicksal bestimmen. Deshalb wollten sie unbedingt eigenen Boden haben und wendeten sich an medico, weil sie den erfolgreichen Wiederaufbau in El Tanque kannten, dem neuangesiedelten Dorf von Kleinbauern, deren Existenz durch einen Wirbelsturm vernichtet worden war. Ihr Wille, sich ein neues anderes Leben aufzubauen, war real.

Bis heute sprechen alle gegenwärtigen und ehemaligen Bewohner von Palmerita von ihrem Recht. Aus ihrer Sicht haben sie sich dieses Land durch ihren Protest und durch ihr langes Leiden erkämpft. Auf eine bestimmte Weise gibt es eine hohe Identifikation mit der eigenen Leistung, dieses Land und die Häuser erstritten zu haben. Ob die psychosoziale Arbeit, die medico mit finanziert hat, Ideen und Wege gefunden hat, diese Form der Identifikation zu stärken und zugunsten eines kommunalen, gemeinsamen Projektes zu entwickeln, frage ich mich. Es gab viele, zum Teil sehr heftige Alltagskonflikte, die durch die psychosoziale Arbeit bewältigt werden mussten. Damit wurde das Gewaltpotenzial im Dorf erheblich reduziert. Aber möglicherweise wurde deshalb wichtigen Fragen nach der Denkweise der Menschen, nach ihren Lebensprojekten zu wenig Beachtung geschenkt. Auch nach El Tanque kommen ständig Landkäufer. Die werden regelmäßig abgeschmettert. Hier unterscheidet sich Nicaragua auch von den anderen zentralamerikanischen Ländern. Da werden die Kleinbauern häufig entschädigungslos vertrieben.

Wie geht ihr mit dem aktuellen Konflikt um. Gibt es irgendeine Kompromissmöglichkeit mit den Besetzern?

Die rechtliche Situation ist eindeutig. Sie haben ihr Land verkauft und wohnen auch nicht mehr in dem Landkreis. Sie haben keinerlei Ansprüche. Es ist ganz klar, dass sie im Interesse des Agrarunternehmers agieren, der das Land will. Unsere Strategie besteht darin, die zu unterstützen, die nach wie vor in Palmerita leben. Das haben wir auch mit dem Bürgermeister vereinbart. Er wird sich hoffentlich so mit dem Agrarunternehmen verständigen, dass die Ausgangsbedingungen für die verbliebenen Bewohner sich nicht weiter verschlechtern.

Was bedeutet diese Erfahrung für die medico-Idee mit solchen Projekten, Inseln der Vernunft zu schaffen? Sind die externen Faktoren zu stark?

Die externen Ausgangsbedingungen für Palmerita haben sich in einer solchen Geschwindigkeit verändert, dass es für uns unmöglich war, das Projekt darauf auszurichten. Deutlich ist aber auch erneut geworden, dass soziales Handeln nicht in allen Facetten berechenbar ist. Wir haben dieses Projekt trotz vieler Unwägbarkeiten, die uns bekannt waren, begonnen. Und ich bleibe dabei, solche Projekte müssen immer wieder versucht werden. Wenn wir nur noch Projekte durchführen mit Menschen, die schon einen gewissen Bildungs-und Organisationsgrad haben, damit wir sicher sein können, dass sie nicht misslingen, dann schließen wir die Allerärmsten und diejenigen, die am meisten ausgegrenzt werden, aus der Entwicklungsarbeit aus. Für sie bliebe nur noch Barmherzigkeit. In Nicaragua zählen 40 % der Bevölkerung zu den extrem Armen. Ich glaube, dass medico solche Projekte immer wieder wagen sollte. Wenn wir nur noch „risikoarme“ Projekte machen, dann beteiligen wir uns an der weiteren Marginalisierung derer, die ohnehin außen vor sind.

Das Interview führte Katja Maurer

Projektstichwort

Ein Erfolg des Palmerita-Projektes bleibt, dass es gelungen ist, über Jahre den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Viele haben in dieser Zeit ihren Schulabschluss gemacht, einige wenige studieren sogar. In Verteidigung der 20 Familien werden medico und MEC weiterhin Präsenz zeigen und alles tun, damit die Armen eine Chance haben. Unterstützen Sie diese risikoreiche Arbeit, die nicht immer von Erfolg gekrönt ist – aber notwendig bleibt. Das Stichwort dafür lautet: Nicaragua.


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