Mpox-Ausbruch

Wieder nix gelernt

04.09.2024   Lesezeit: 4 min

Erfahrungen aus der Corona-Pandemie werden ignoriert.

Von Anne Jung

Im August hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach dem massiven Ausbruch des Mpox-Virus in mehreren afrikanischen Staaten die höchste Alarmstufe ausgerufen – eine „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“. Das Wort international verweist darauf, dass die Weltgemeinschaft zum Handeln aufgerufen ist. Beim Mpox-Virus handelt es sich um eine Zoonose, eine von Tieren auf den Menschen übertragene Viruserkrankung, deren neue Unterlinie sich in der Demokratischen Republik Kongo schneller ausbreitet und häufiger schwere Krankheitsverläufe verursacht als jene Variante, die bereits 2022 global kursierte. Typische Symptome sind hohes Fieber und schmerzhafte Pusteln, die Sterblichkeit ist bei Kindern besonders hoch. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt über engen Körperkontakt. Sie wird derzeit vor allem dort registriert, wo Menschen arm sind, auf engstem Raum leben und durch andere armutsbedingte Krankheiten geschwächt sind – wie in den Flüchtlingslagern des kriegsverheerten Kongo. Auch Menschen in Kenia, Uganda, Ruanda und Burundi sind bereits betroffen.

Als Antwort auf die Covid-19-Pandemie wird bei der WHO aktuell kontrovers über einen Pandemievertrag verhandelt. Die Idee ist großartig: Ein verbindliches Abkommen könnte normative Maßstäbe setzen, um weltweit stärker in die Vorbereitung und Überwachung von Infektionskrankheiten zu investieren. Und es könnte endlich die Ungerechtigkeit im Zugang zu Impfstoffen überwinden, die die Welt eklatant spaltet: Auch in der Corona-Pandemie waren sie dort zuerst und dann in ausreichendem Maße verfügbar, wo dafür bezahlt werden konnte, nicht aber dort, wo sie am dringendsten benötigt wurden. Der Vertrag könnte auch die „Impfstoffdiplomatie“ beenden, bei der reiche Länder überschüssige Dosen im Gestus der Wohltätigkeit an (bevorzugt strategisch wichtige) Länder spenden.

Gäbe es also ein völkerrechtlich bindendes Werkzeug, das klare Empfehlungen für eine Aussetzung des Patentschutzes und wechselseitige Unterstützung im globalen Krisenfall vorsieht, könnten im Weltinteresse Pandemien besser eingedämmt und mehr globale Gerechtigkeit verwirklicht werden. Gibt es aber nicht. Die Verhandlungen stocken. Streit gibt es vor allem über die Frage, wie verbindlich ein Abkommen sein darf – bzw. notwendig sein muss. Schon bei Corona gehörte Deutschland zu den Ländern, die gegen den Willen der Mehrheit der Länder und internationalen zivilgesellschaftlichen Protest dafür gesorgt haben, dass die Impfstoffpatente nicht freigegeben wurden. Auch jetzt gehört Deutschland zu den größten Bremsern.

Dian Maria Blandina und Lauren Paremoer vom medico-Partnernetzwerk People’s Health Movement sprechen von einer „tiefen Kluft zwischen dem Fokus des globalen Nordens auf Gesundheitssicherheit und industriellen Interessen auf der einen Seite und dem Drängen des globalen Südens auf einen gerechten Zugang zu Gesundheitsprodukten und eine verstärkte lokale Produktion auf der anderen“. Eine Impfung mit dem einzigen zugelassenen Impfstoff kostet 100 US-Dollar – unerschwinglich für krisen- und kriegsgeschüttelte Länder. Gleichzeitig legten die Aktien des – einzigen – Herstellers Bavarian Nordic aus Dänemark infolge des aktuellen Ausbruchs um mehr als 40 Prozent zu.

Auf Spendenbasis will die EU den betroffenen Ländern nun Impfstoffe gegen die neue Variante des Mpox-Virus zur Verfügung stellen. Die zugesicherten 215.000 Dosen sind allerdings nur rund ein Zehntel dessen, was allein in den afrikanischen Staaten bis Ende des Jahres benötigt wird, erklärte das Center for Disease Control der Afrikanischen Union. Philanthropie kann die grundlegende Kluft zwischen dem monopolistischen Modell der Pharmaindustrie mit dem strikten Patentsystem und der Notwendigkeit lokaler Produktion nicht lösen.

Wie schon während der Corona-Pandemie wird den Ländern des globalen Südens in neokolonialer Manier die Fähigkeit abgesprochen, die Impfstoffe selbst zu produzieren. „Eine lokale afrikanische Produktion des Impfstoffs sei aus technologischer Sicht nicht realisierbar“, heißt es von Bavarian Nordic. Eine Schutzbehauptung. Die alternative Lobbygruppe Public Citizen hat schon vor über zwei Jahren recherchiert, dass die für die Mpox-Impfstoffproduktion benötigte Technologie bereits in mehreren Ländern des globalen Südens bei Masern-Impfstoffen eingesetzt wird und die Kosten bei nur vier US-Dollar pro Dosis liegen könnten. Voraussetzung wäre ein Technologietransfer und das Teilen geistiger Eigentumsrechte, wie dies mit offenen WHO-Lizenzen ermöglicht würde. Derzeit wird aber lediglich ein Modell diskutiert, in dem Impfstoffe in afrikanischen Ländern abgefüllt werden. Ayoade Alakija, Sonderbeauftragte der WHO, kritisierte dies schon während der Covid-Pandemie. „Diskutiert werden sollte nicht die Infantilisierung Afrikas, sondern seine Dekolonisierung.“

„Kein Land kann eine Insel für sich sein“, stellten die Länder Asiens und Afrikas schon bei der ersten postkolonialen Konferenz im indonesischen Bandung vor 70 Jahren fest. Als Antwort schlossen sich die Länder Europas zusammen und machten ihre Ausbeutungs- und Abschottungspolitik zum Programm. Der Mpox-Ausbruch böte für Deutschland und Europa die Möglichkeit, zumindest im Bereich der Gesundheitspolitik auf Augenhöhe zu agieren und das Wissen zur Produktion der Impfstoffe bereitzustellen. Verlorenes Vertrauen könnte wieder wettgemacht werden, indem sie über einen Pandemievertrag ein solidarisches, international koordiniertes Handeln bei Gesundheitskrisen ermöglichen. Viren kennen keine Grenzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Anne Jung (Foto: medico)

Anne Jung leitet die Öffentlichkeitsarbeit bei medico international. Die Politikwissenschaftlerin ist außerdem zuständig für das Thema Globale Gesundheit sowie Entschädigungsdebatten, internationale Handelsbeziehungen und Rohstoffe.

Twitter: @annejung_mi


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