Die im Südosten Bangladeschs liegenden Chittagong Hill Tracts werden traditionell von indigenen Stämmen bewohnt. Ungefähr 600.000 Indigene leben heute in diesem Gebiet. Seit der Unabhängigkeit Bangladeschs schwelt dort jedoch ein Konflikt zwischen den indigenen Völkern und bengalischen Siedlern, der nun erneut eskalierte.
Mit Hilfsteams versucht unsere Partnerorganisation Gonoshasthaya Kendra die Opfer zu unterstützen. Medizinische Hilfe, Nahrungsmittel und Kleidung werden ungefähr 500 Familien, die aufgrund der Brände ihr Obdach verloren haben, zur Verfügung gestellt. Die Hauptaufgabe von GK besteht aber in der psychosozialen Betreuung dieser Familien, die ihr Hab und Gut an einen Konflikt verloren haben, der seit Jahrzehnten nicht lösbar zu sein scheint und bisher weit ab von der weltweiten Medienpräsenz stand
Hintergründe des Konflikts
Unter der britischen Kolonialherrschaft hatte das indigene Gebiet der Chittagong Hill Tracts einen Sonderstatus und genoss, wenn auch stark eingeschränkt, Selbstbestimmung. Mit der Unabhängigkeit von Großbritannien verloren diese Gebiete diesen Status. Um die landwirtschaftliche Nutzung im gesamten Staatsgebiet zu stärken, wurden von der Regierung mit Unterstützung der Armee bereits in den 70er Jahren bewusst Bengalen dort angesiedelt. Diese Ansiedlung führte zu Konflikten mit den dort lebenden Indigenen, denn im Zuge dieser Ansiedlung wurden gleichzeitig Indigene aus ihren Gebieten vertrieben, zur kulturellen und sozialen Assimilierung an die bengalische Lebensweise gezwungen und sozial unterdrückt.
Ein (Menschen-)rechtsfreies Gebiet
Seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten hielt diese konfliktintensive Situation an. Allein in den letzten 5 Jahren zogen mehrere 100.000 bengalische Siedler in die Hill Tracts und ließen den Konflikt nicht zur Ruhe kommen. Ebenso flohen in den letzten Jahren fast 60.000 Indigene nach Indien, mehrere Tausend ebenfalls in andere Teile Bangladeschs, was die demographische Transformation des Gebiets weiter verstärkte und zur Minoritisierung der indigenen Bevölkerungsgruppen beitrug. Fast 70 % der Indigenen wurden innerhalb der Hill Tracts umgesiedelt und damit enteignet.
Die Region wurde durch die Aufstockung von Armeestützpunkten stark militarisiert und Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Siedler und der Armee wurden immer wieder beobachtet. Massaker an indigenen Zivilisten, das Anzünden ihrer Häuser, Verhaftungen ohne Rechtsgültigkeit, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen prägten lange Jahre die Lebenssituation der indigenen Bevölkerung in den Hill Tracts.
Durch die jahrelange Gewalt und Missachtung der Menschenrechte konnte sich eine Gewaltkultur entwickeln, die nicht nur die Straflosigkeit von Tätern rechtfertigte, sondern zudem die indigenen Bevölkerungen in einer permanenten Situation physischer und psychischer Unterdrückung hielt. Die Unterstützung der Siedler durch die Armee erzeugte die Schaffung einer bewaffneten indigenen Opposition, die die konfliktive Situation noch verstärkte.
Bestehende Autonomiebestrebungen wurden von den Regierungen bisher strikt abgelehnt Ebenso konnten zahlreiche Friedensinitiativen und –prozesse bisher nicht zum Erfolg führen. Auch der 1997 unterzeichnete Friedensvertrag zwischen der Regierung Bangladeschs und indigenen Stammesvertretern wurde bisher nicht eingehalten: Die Rehabilitation von Vertriebenen, die Rückgabe von enteignetem Land von Seiten der Siedler und der Rückzug von Armeestützpunkten wurden bisher nicht umgesetzt.
Die erneute Eskalation des Konflikts
Ende Januar eskalierte der Konflikt erneut und befindet sich in seinem extremsten Stadium seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1997. Indigene vom Stamm der Jumma überreichten der Lokalregierung am 10.01.2010 ein Memorandum, mit der Forderung, die Abmachungen des Friedensvertrages einzuhalten. Sie forderten die Lokalregierung dazu auf bis zum 16.01.2010 dafür zu sorgen, dass sie Ihr Land wieder in Besitz nehmen können, weitere bengalische Ansiedlungen in der Region zu stoppen und die Siedlungen zu räumen. Daraufhin legten bengalische Siedler in den indigenen Dörfern Feuer und brannten Häuser nieder: Ungefähr 1500 Menschen verloren ihr Zuhause und mussten fliehen. Bisher werden weiterhin Menschen vermisst, die vor den Bränden geflüchtet sind. Die genaue Zahl ist unbekannt. Menschenrechtsgruppen sprechen zusätzlich von sechs Todesopfern.
Aufgrund der geltenden Anordnung 144 ist es den Indigenen untersagt, sich in Gruppen zu versammeln oder öffentlich zusammen zu kommen, was das Suchen nach Vermissten oder das Wiederauffinden von Hab und Gut fast unmöglich macht.
Beide Seiten geben sich die Schuld an der erneuten Eskalation. Fest steht allerdings, dass die Indigenen seit Jahrzehnten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Die aktuellen Geschehnisse reihen sich ein in eine Kette aus psychischer und physischer Gewalt, die ganze Generationen geprägt hat.
Friedens- und Protestmärsche gegen die Politik der Regierung führten bisher nicht zu einer Reaktion der Nationalregierung.
Dennoch zeugen die Märsche und Protestaktionen der Indigenen von dem bisher nicht gebrochenen Willen, ihre Menschenwürde einzufordern.
Unterstützung auf politischer Ebene
Menschenrechtsorganisationen und Regierungen weltweit, unter ihnen die Europäische Union, haben sich gegen die Verletzungen der Rechte der Indigenen ausgesprochen und die Regierung dazu aufgefordert, tragbare Friedensmaßnahmen zu ergreifen und den Friedensvertrag umzusetzen.
Die Chittagong Hill Tracts Commission, eine internationale Kommission die mit dem Ziel gegründet wurde, die Wahrung der Menschenrechte, die Einhaltung der Demokratie und die Widerherstellung der politischen Rechte in den Hill Tracts zu überwachen, hat sich ebenfalls bereits an die Premierministerin Bangladeschs gewandt.
Deutlich wird, dass die Situation der Indigenen von der internationalen Gemeinschaft zwar als untragbar angesehen wird, die Kommunikation mit der Regierung Bangladeschs und die Durchsetzung des Friedensvertrages aber weiterhin schwierig erscheint.
Auch ist die Nichteinhaltung des Friedensvertrags von Seiten der Regierung nicht nur als Nichtdurchsetzung von Menschenrechten zu werten, sondern verhindert auch die sozioökonomische Entwicklung in der Region. Denn die sozialen Determinanten, wie die Diskriminierung aufgrund von Religion und Sprache, denen die Indigenen ausgesetzt sind, verhindern die freie Entfaltung ihrer eigenen Gemeinschaft und eigenen administrativen Struktur.
Nothilfe als Hilfe in der Not
Aufgrund der drängenden Situation unter der die Indigenen seit der erneuten Eskalation leiden, kann die Hilfe zur Verbesserung ihrer Situtaion nicht nur langfristig auf politischer Ebene erfolgen, sondern muss auch aus direkten Sofortmaßnahmen bestehen.
Unsere langjährige Partnerorganisation Gonoshasthaya Kendra versucht nun den Menschen in der Region dabei zu helfen, die Lebensbedingungen in der Region zu verbessern.
Die Anordnung 144 und die geltende Sperrstunde müssen laut Gonoshasthaya Kendra durch Maßnahmen ersetzt werden, die auf konstruktive und integrative Weise die Situation beruhigen. Ebenso müssten in der Erfüllung des Friedensvertrages stärker lokale Nichtregierungsorganisationen und Basisgruppen eingebunden werden.
Mit sechs Hilfsteams, bestehend aus indigenen Studierenden und bengalischem GK Personal versucht die Organisation die Opfer zu unterstützen. Medizinische Hilfe, Nahrungsmittel und Kleidung werden ungefähr 500 Familien, die aufgrund der Brände ihr Obdach verloren haben, zur Verfügung gestellt. Die Hauptaufgabe von GK besteht aber in der psychosozialen Betreuung dieser Familien, die ihr Hab und Gut an einen Konflikt verloren haben, der seit Jahrzehnten nicht lösbar zu sein scheint und bisher weit ab von der weltweiten Medienpräsenz stand.
Obwohl das Konfliktgebiet sich auf die abgelegenen Chittagong Hill Tracts erstreckt, ist es doch eine Auseinandersetzung, die das gesamte Land betrifft. Wie eine Angehörige der ehemaligen Übergangregierung es ausdrückt: “It is an attack on democracy and humanity and also against the entire people of Bangladesh.“