Nicaragua/Guatemala: Biodiesel als Entwicklungshindernis

Über Segen und Fluch natürlichen Reichtums und einen Wald vieler neuer Möglichkeiten. Von Dieter Müller

17.11.2008   Lesezeit: 9 min

Die Wirtschaftsinteressen an einem großflächigen Anbau von Zuckerrohr und Ölpalmen zur Gewinnung von Bioenergie treffen auch die Kooperativen der medico-Partner in Nicaragua und Guatemala. Äthanol und Biodiesel sind längst hochspekulative Güter geworden, die märchenhafte Renditen versprechen: George Soros, der Hedge-Fonds-Guru, besitzt Äthanol-Unternehmen in Brasilien und Guatemala, Bill Gates ist einer der größten Biodiesel-Produzenten überhaupt, und Google investiert in Agrarspritproduktions- und Technologie-Ventures. Dieter Müller berichtet von medico-Partnern, die mit ihrem Überlebenswillen versuchen, den Titanen der Globalisierung zu widerstehen.

Nicaragua, El Tanque – 10. Jahrestag.

Die Erinnerung an die über 2.500 Angehörigen, die in der Schlammlawine, ausgelöst durch den Hurrikan Mitch Ende Oktober 1998, ihr Leben verloren haben, ist noch immer lebendig. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Genauso präsent aber ist den Menschen in El Tanque die Gewissheit, es geschafft zu haben.

Die kleine Erinnerungsbroschüre, die medico anlässlich des 10. Jahrestages der Mitch-Katastrophe in Nicaragua publizierte, macht es deutlich: Einhellig sind die Tanqueños der Meinung, dass es die waghalsige Entscheidung für die Landnahme war, die ein besseres Leben ermöglichte. Der Bau menschenwürdiger Häuser, die Gründung der Kooperative, die Alphabetisierungskurse und Fortbildungen, schließlich die Landtitel, die aus verfemten Besetzern Besitzer machten.

Heute verfügt das Dorf der Katastrophen-Überlebenden über eine weitgehend selbstbestimmte Ökonomie. Die Bauern haben den Anbau von Feldfrüchten diversifiziert und damit ertragreicher gemacht. Erdnuss, Soja und Reis, die von der Genossenschaft in diesem Jahr großflächig gesät wurden, stehen kurz vor der Ernte. Dank eines Kreditfonds können die Bauern seit einigen Jahren auch Produkte anbauen, die zwar höhere Investitionen verlangen, aber aufgrund der Nachfrage auch höhere Erlöse erzielen. Insbesondere die nicaraguanische Erdnuss, die von besonderer Qualität ist und sich in vielen unserer Schokoriegel wieder findet, boomt auf den internationalen Märkten. In El Tanque sind Männer und Frauen sich einig: "Wir haben es geschafft".

Auch die resolute Doña Luisa, die lange im Vorstand der Kooperative war und erst mit über 40 Lesen und Schreiben lernte, hat kürzlich einen Kredit aufgenommen, um ca. 20 Hektar Land zu kaufen. Der Boden ist für ihre Söhne bestimmt. Denn die Parzellen in El Tanque garantieren zwar ihr ein erträgliches Auskommen, ermöglichten den Kindern den Schulbesuch und manchem auch die Universität, für eine eigenständige Zukunft der Kinder aber sind sie zu klein. Erneut ist es die Landfrage, die über die Perspektiven entscheidet. Umso erfreulicher, dass die Tanqueños, die vor 10 Jahren alles verloren haben, heute in der Lage sind, zusätzlichen Boden zu kaufen und nicht verkaufen müssen. "Heute ist El Tanque das erfolgreichste Dorf hier in der Gegend, und wir sind für niemanden eine Last", so das Resumée von Doña Luisa.

Die zusätzlichen zwanzig Hektar aber konnte Doña Luisa nur "am Berg" erwerben. Die Preise für das fruchtbare Land der Küstenebene haben sich unerschwinglich erhöht, seitdem Erdnüsse, Soja und pflanzliche Treibstoffe, wie Zuckerrohr, zu Exportschlagern wurden. Großbauern bzw. ihre Mittelsmänner pachten oder kaufen jeden Hektar anbaufähigen Landes. Da können die örtlichen Kleinbauern nicht mithalten, schon gar nicht, wenn sie keinen Zugang zu Krediten und zu landwirtschaftlicher Beratung haben, wenn sie nicht zusammengeschlossen sind, um beim Einkauf von Düngemitteln etc. und beim Verkauf ihrer Produkte für sie günstige Preise auszuhandeln. Nicaragua birgt ein enormes landwirtschaftliches Potential, aber vielerorts fehlt es an genau jenen Voraussetzungen und Faktoren, die El Tanque zum Erfolgsmodell werden ließen.

Nicaragua, La Palmerita: Das umkämpfte Land der Landlosen

Die Palmeriteños feierten am 11. Oktober, wenige Tage vor den Bewohnern El Tanques, den siebten Jahrestag ihrer Ankunft. Auch sie haben sich ihr Land erstritten. Als sie im Zuge der Kaffeekrise im Norden Nicaraguas arbeitslos geworden waren, zogen sie im Protest nach Managua. Der damalige Präsident Alemán reagierte, wies ihnen einen Flecken Erde zu und vergaß jede weitere Unterstützung.

Nach einem Besuch in El Tanque stand für die Leute von Palmerita fest: "Das wollen wir auch haben." Vor drei Jahren gründete medico mit den Neusiedlern eine Kooperative. Im Gegensatz zu El Tanque sind die Bewohner von Palmerita Tagelöhner und müssen nun in einem schwierigen Prozess das Leben eines Kleinbauern erlernen. Kein leichtes Unterfangen, zumal die Landfrage immer noch viel Konfliktstoff birgt. Weil es unmittelbar Geld brachte, haben die Palmeriteños viel Land an Großbauern verpachtet. Ein Drittel der Anbaufläche sicherte sich allein ein guatemaltekischer Erdnussfarmer. Viele Bewohner in La Palmerita verharren in der Logik ihrer alten Überlebensstrategie als Tagelöhner und können sich nicht mit der Perspektive des Kleinbauers identifizieren. So sind sie leichte Beute der großen Agrarproduzenten, deren Landhunger wegen der hohen Nachfrage nach Nahrungsmitteln und pflanzlichen Treibstoffen, sog. "Biodiesel", förmlich unersättlich geworden ist. Dass Anfang 2009 in La Palmerita die Landtitel ausgehändigt werden, heizt den Kampf um den Boden zusätzlich an. Denn auch das Verkaufsverbot der Parzellen in den ersten 10 Jahren ist für die gerissenen Anwälte der Großbauern keine ernsthafte Hürde.

Die am Ort neu gegründete Genossenschaft und einzelne Bauern hingegen haben gute Aussichten auf die erste erfolgreiche Soja- und Hirse-Ernte nach zwei miserablen Jahren – wenn nicht doch wieder ein Hurrikan Nicaragua heimsucht. Ein Erfolgserlebnis aber ist dringend erforderlich, auch wenn keiner widersprach, als Valentin, einer der historischen Führer des damaligen Hungermarsches der Kaffeearbeiter, in einer der Koordinationssitzungen feststellte: "Hier stirbt keiner mehr an Hunger. Erinnert euch doch daran, wie es uns noch vor drei Jahren ging und wo wir heute stehen." Solche Worte machen Mut und stärken jene, die wie Valentin ihre Zukunft und die ihrer Kinder in La Palmerita sehen.

Zum Zeitpunkt der Kooperativengründung haben wir mit den Palmeriteños viele der möglichen Entwicklungen erwogen und analysiert. Die enorme Nachfrage nach Land für Exportprodukte war jedoch nicht absehbar. Es ist eine neue Herausforderung für die ehemaligen Kaffeearbeiter. Projekte entwickeln sich eben nicht linear, wie Walter Schütz, mein Vorgänger in Nicaragua, immer wieder betonte. Vor allem brauchen Veränderungen Zeit. Mit den Mitarbeiterinnen des MEC (Movimiento de Mujeres María Eléna Cuadra), die sich in Palmerita beratend engagieren, haben wir deshalb beschlossen, stärker mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins Gespräch zu kommen. Darunter nicht wenige, die in Palmerita Familien gegründet haben, oftmals mit Partnerinnen und Partnern aus benachbarten Dörfern.

Guatemala, Ixcán: Der Fluch des "Biodiesel"

Auch in Guatemala, nicht zuletzt im Ixcán, hat die Landfrage durch den Boom im Agrobusiness an Brisanz gewonnen. Längst sind die "remesas", die Rücküberweisungen der in den Vereinigten Staaten schuftenden Angehörigen, zur Haupteinnahmequelle die meisten Campesino-Familien geworden. Wie lange dies angesichts des zunehmenden Drucks auf die meist illegalen Migranten noch möglich sein wird, bleibt offen. Fernando, der früher als Gesundheitspromotor beim medico-Partner ACCSS, tätig war, ist bereits zurückgekommen. Er hat es nicht mehr ausgehalten: "Wir konnten an unserem freien Tag die Wohnung nicht mehr verlassen, aus Angst von der Einwanderungsbehörde aufgegriffen zu werden. Ich wollte mich nicht mit Alkohol oder Drogen zudröhnen, um das Eingesperrtsein zu ertragen."

Den meisten Kleinbauern im Ixcán fehlt es an Geld und Beratung, um ihre landwirtschaftliche Produktion umzustellen. Hinzu kommt, dass die Märkte weit entfernt und Benzinpreise hoch sind. Auch mit dem traditionellen Anbau von Kardamom lässt sich kein Einkommen mehr erwirtschaften, seit die Weltmarktpreise eingebrochen sind. "Ich habe meine Felder dieses Jahr erst gar nicht bestellt", klagt Santos Chen, einer der Bauernzahnärzte bei ACCSS. "Die Preise sind gefallen, die Produktionskosten gestiegen. Die Erntehelfer sind nicht mehr zu bezahlen." Auf die verwunderte Nachfrage, ob es denn angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation nicht ein großes Angebot an Arbeitskräften gebe, sagt Santos: "Die meisten von hier gehen zum Arbeiten in den Norden, in die USA oder nach Mexiko, und mit den Löhnen, die in den neuen Palma-Africana-Plantagen gezahlt werden, kann ich nicht konkurrieren."

Seit die Nachfrage nach Palmöl gestiegen ist, versuchen viele der Plantagenbesitzer, den Kleinbauern ihr Land abzukaufen. Andere bieten finanzielle Unterstützung bei der Umstellung auf den Anbau von Ölpalmen. Gelockt wird mit Arbeitsplätzen, nebst Kredit- und Sozialprogrammen für die Subsistenzbauern der Region. Auslöser für diesen Boom ist die enorme internationale Nachfrage nach pflanzlichen Treibstoffen. Die riesigen Monokulturen, die sich im Süden des Petén und in den angrenzenden Regionen des Ixcán und im Alta Verapaz, alles Projektregionen von ACCSS und medico, ausbreiten, werden von internationalen Firmen betrieben: so von der texanischen Green Fuels Earth bzw. von deren 2007 gegründete Tochterfirma Palmas Ixcán.

In den nächsten 5 Jahren sollen 4,5 Millionen Palmen gepflanzt werden. Zur Grundsteinlegung der neuen Palmölverarbeitungsanlage, die in 2009 ihre Arbeit aufnehmen soll, machte sich gar der US-Botschafter auf den beschwerlichen Weg.

Elizabeth, Projektkoordinatorin unseres Partners ACCSS, ist über diese Entwicklung sehr besorgt. "Einmal mehr steigt unsere Abhängigkeit von Monokulturen, die von transnationalen Unternehmen und Guatemalteken betrieben werden, die allein internationalen Marktinteressen folgen. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen auf die Menschen hier werden mittel- und langfristig fatal sein und sich auch auf unsere Arbeit auswirken."

Guatemala – Bosque Los Cimientos: Der Wald der Möglichkeiten

Eine Alternative zum pflanzlichen Treibstoffbusiness ist die Initiative des neuen medico-Partners FUNCEDESCRI. Dessen Bemühen um Erhalt und Rekonstruktion von Waldbeständen überzeugt aufgrund eines großen Engagements, das selbst noch den chronischen Mangel an finanziellen Mitteln wettmacht. Das Ziel ist gezielte Wiederaufforstung und eine angepasste, behutsam wirtschaftliche Nutzung der Bestände. Der subtropische Bergnebelwald Guatemalas birgt eine immense Biodiversität.

Leider aber haben nur kleine Waldflächen die sich ausbreitende extensive Viehhaltung überlebt. Dort, wo es den Wald noch gibt, wurden bislang über 500 Arten gefunden: darunter 150 Baumarten, von denen einige sehr selten und in ihrem Bestand extrem gefährdet sind, über 100 Orchideenarten sowie ca. 250 Pflanzen- und Straucharten. Die Zahl der vorhandenen Arten ist noch größer, da viele noch gar nicht erfasst werden konnten. Ausgehend von diesen "Wald-Inseln" soll der Bestand ausgeweitet werden. 15 Hektar konnten bereits mit Setzlingen wiederaufgeforstet werden, 30 Hektar stehen noch aus. Eine weitere Komponente des Projekts ist die Nutzung von Derivaten, vor allem von Harz, ätherischen Ölen und Farbstoffen, die aus der vorhandenen Flora gewonnen werden. FUNCEDESCRI hat dazu eine kleine Werkstatt mit Pressen, Destillationsanlagen, Öfen und anderen Gerätschaften ausgestattet. Diese dienen einerseits der Erwirtschaftung von Einnahmen, um die laufenden Kosten zu decken, und andererseits als Ausbildungszentrum.

Projektstichwort

In Nicaragua und Guatemala ist für die medico-Partner die Möglichkeit eigener Entwicklung eng mit der Landfrage verknüpft. Früher brach liegende Flächen werden vom internationalen Agrarbusiness für die "Biodiesel"-Produktion genutzt. medico wird den Kooperativen von El Tanque und La Palmerita, den Bauernzahnärzten im Ixcán und den Aktivisten der guatemaltekischen Nebelwälder weiter zur Seite stehen. Spendenstichworte: Nicaragua und Guatemala.

 


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