Alternativer Weltgesundheitsbericht

Global Health Watch 2 fordert alternatives Entwicklungsmodell

19.11.2008   Lesezeit: 16 min

Der zweite alternative Weltgesundheitsbericht „Global Health Watch 2“, ist erschienen. Herausgegeben unter anderem vom People´s Health Movement und mitfinanziert von medico international. Der Bericht verfasst, bevor der globale Finanzcrash offenkundig wurde, beschäftigt sich wie schon in seiner ersten Ausgabe kritisch mit der globalen Gesundheitssituation, aber auch mit den Alternativen eines am Gemeinwohl orientierte globalen öffentlichen Handelns. Die globale Finanzkrise rückt diese nun in den Mittelpunkt der Debatte. Wie der Philosoph Jürgen Habermas in der „Zeit“ formulierte, verändern solche Gezeitenwechsel die Parameter der öffentlichen Diskussion: „Damit verschiebt sich das Spektrum der für möglich gehaltenen politischen Alternativen.“ Es gibt sie: Überlegungen, Ideen, Konzepte, wie ein gutes Leben – und darin bestmöglich Gesundheit - für alle möglich sein kann. Wir veröffentlichen Auszüge aus dem Einleitungskapitel:

Das gegenwärtig herrschende Entwicklungsmodell der radikalen Markt-Öffnung und Handelsliberalisierung ist deutlich gescheitert, wenn es um Gesundheit für alle geht. Die Kennziffern zur Gesundheitsverbesserungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern haben sich in den letzten 30 Jahren dramatisch verlangsamt. Wegen des Klimawandels stehen wir am Vorabend einer Umweltkatastrophe. In dem folgen Kapitel setzen wir uns kritisch mit dem gegenwärtigen Modell auseinander. Unser Maßstab sind dabei Armut, Gesundheit und Klimawandel. Außerdem umreißen wir Grundprinzipien eines alternativen Entwicklungsmodells.

Natürlich sind diese Ideen nur Entwürfe, die in der Praxis substantiell modifiziert und auf die jeweiligen ökonomischen, sozialen, geographischen, politischen und kulturellen Gegebenheiten eines jeden Landes angepasst werden müssen. Uns geht es jedoch um die Vision eines Entwicklungsmodells jenseits des gegenwärtigen ökonomischen Mainstreams, das in der Lage ist, Gesundheit und andere soziale Ziele effektiv zu verwirklichen.

Das gegenwärtige Entwicklungsmodell

Das gegenwärtige Entwicklungsmodell stützt sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern kurz zusammengefasst auf folgende Pfeiler : auf ein kleines oder kein Budget-Defizit, eine strenge Geldpolitik, um die Inflation niedrig zu halten, konkurrenzfähige Wechselkurse, auf die Privatisierung von staatlichen Unternehmen und öffentlichen Dienstleistungen, die Beseitigung von protektionistischen Maßnahmen zum Schutz von Landwirtschaft und Industrie, die Deregulierung der Märkte und Preise und auf eine streng limitierte Rolle des Staates.

Dieses marktliberale Wirtschaftsmodell hat erst in den letzten 30 Jahren seine zentrale Bedeutung gewonnen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es hingegen einen starken Konsens für eine proaktive Wirtschaftspolitik, die sich zur Aufgabe machte, Wirtschaftsentwicklung und Vollbeschäftigung mit sozialer Sicherheit und einem universellen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung zu verbinden. Die Gegenposition, damals formuliert von Friedrich Hayek, verteufelte die staatliche Absicherung sozialer Grundbedürfnisse und setzte einen unregulierten Markt mit Freiheit gleich. Seine Ansichten galten damals weithin als extremistisch.

Erst die Ölkrise von 1973 brachte den neoliberalen Durchbruch. In den USA übernahmen die Republikaner und in Großbritannien die Konservativen die Führung. Es begann die Ära der Reagonimcs – der Neoliberalismus war obenauf. Führende Vertreter des Neoliberalismus gelangten mit Hilfe dieser Regierungen in wichtige Positionen beim Internationalen Weltwährungsfonds und der Weltbank. So gelang es in den1980er Jahren den Neoliberalismus mit Unterstützung des IWF und der Weltbank zum vorherrschenden ökonomischen Paradigma machen.

Es war die Zeit dramatischer Wirtschaftskrisen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Ingridenzien dieser Krise bestanden aus wachsenden Energiepreisen und steigenden Zinssätzen, zusammenbrechenden Rohstoff-Exportpreisen und fast völliger versiegender externer Finanzierungen. Unter diesen Umständen hatten insbesondere die Länder des subsaharischen Afrikas und Lateinamerikas keine andere Wahl als die politischen Bedingungen des IWFs und der Weltbank zu akzeptieren. Neue Finanzierungen für die krisengeschüttelten Länder wurden an die Erfüllung von Strukturanpassungsprogrammen (SAP) gebunden.

Angesichts der verheerenden sozialen dieser SAPs wurde dieses Modell zwar modifiziert und soziale Fragen bekamen etwas mehr Aufmerksamkeit. Seit 1999 wurde die Strukturanpassung bei den einkommensschwachen Ländern durch „Armutsbekämpfungsmaßnahmen“ ersetzt. Diese sollten Entwicklung durch Einbindung der Zivilgesellschaft in den jeweiligen Ländern gewährleisten.

Tatsächlich aber unterscheiden sich die heutigen Armutsbekämpfungsprogramme wenig von den Strukturanpassungsmaßnahmen zuvor. Die Beschäftigung mit sozialen Problemen begrenzt sich zumeist darauf, minimale soziale Netze zu fördern. Gesundheit und Bildung werden in den engen Grenzen eines öffentlichen Haushalts finanziert, der nach wie vor dem herrschenden ökonomischen Modell folgen muss. Die Handlungsmöglichkeiten nationaler Regierungen sind durch die strengen makroökonomischen Auflagen des IWF eingeschränkt, die zumeist in der Deckelung der öffentlichen Ausgaben bestehen. Außerdem haben Regierungen und Eliten der einkommensschwachen Länder die Werte der Strukturanpassungsprogramme selbst bereits verinnerlicht. So bleibt immer weniger Raum für alternative Herangehensweisen.

Erheblich eingeschränkt werden die Handlungsmöglichkeiten der Länder maßgeblich durch die Politik der Handelsliberalisierung und durch die Tatsache, das private Eigentumsrechte nun Gegenstand internationaler Abkommen sind, die durch die Welthandelsorganisation und bilaterale Handels- und Investitionsabkommen von reichen Ländern mit den Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen werden.

Die neoliberale Politik war angetreten, nach dem Niedergang der 1970er Jahre das Wirtschaftswachstum zu fördern. Doch die Wirtschaft in Lateinamerika entwickelte sich mehr als enttäuschend. Das subsaharische Afrika schlidderte gar in eine Katastrophe. In einem Satz: Die, die am stärksten Not litten und leiden, profitieren vom gegenwärtigen Modell am wenigsten.

Die wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Die Menschheit steht vor drei großen Herausforderungen: Die Beseitigung der Armut; die Verwirklichung des Rechtes aller Menschen auf gute Gesundheit; die Bewältigung des Klimawandels.

Diese Herausforderungen können gemeistert werden, wenn es gelingt die in der globalen politischen Ökonomie verwurzelten Probleme anzugehen. Die großen sozialen Probleme der Armut, die extreme Umwelt-Krise sowie die ungeheure Konzentration von Konsum können in ihrer Gleichzeitigkeit nur aus der ungleichen Verteilung der globalen Ressourcen erklärt werden. Schon allein diese Tatsache stellt die herrschende globale Wirtschaftspolitik und mit ihr die Liberalisierung und globale Kommerzialisierung fundamental in Frage.

Voraussetzungen für ein Alternativ-Modell

Viele Kritiker des gegenwärtigen Entwicklungsmodells gehen offen oder insgeheim davon aus, dass die Alternative darin bestünde, zu einem der beiden zuvor erfolgreichen Modelle zurückzukehren: Zum ostasiatischen Modell, das ebenfalls auf Export setzte, aber mit einer viel aktiveren interventionistischen Rolle des Staates; oder zum Import-substituierenden Industrialisierungs-Modell, das in vielen lateinamerikanischen Ländern bis zu den 1970er Jahren gepflegt wurde.

Was das Wirtschaftswachstum anbetrifft waren beide Modelle wesentlich erfolgreicher als das jetzige, aber beide haben einen fundamentalen Nachteil: Auch sie setzen darauf, dass die Reichen reicher werden, um die Armen weniger arm werden zu lassen. In einer Welt aber, in der die Co2-Emissionen entschieden verringert werden müssen, ist jedes Modell, das auf wachsenden Konsum setzt, angesichts fehlender ökologischer Nachhaltigkeit in Frage zu stellen. Eine Alternative mit sinkenden CO2- Emissionen ist notwendig.

Die Paramater unseres Vorschlages basieren auf vier Grundprinzipien:

  1. Ein Alternative muss als zentrale gesellschaftliche Ziele Armutsreduzierung, Gesundheit, Bildung und ökologische Nachhaltigkeit umfassen.
  2. Die vorgeschlagenen Politiken, Programme und Projekte sollten diese Ziele auf lokaler Ebene erreichen. Nationale Politiken sollten dazu dienen diese lokale Veränderung zu unterstützen, zu fördern und zu erleichtern und globale Systeme müssten wiederum vorrangig diese nationalen Strategien absichern und stärken. Diese Orientierung von „unten nach oben“ ist genau das Gegenteil vom gegenwärtigen Prozess, in dem nationale Politik auf extreme Weise von globalen ökonomischen Bedingungen abhängt.
  3. Es geht darum, die Synergien zwischen Entwicklung, Umwelt, Gesundheit und Bildung bestmöglich zu verstärken. Das bedeutet, die sozialen und Umweltfaktoren der Gesundheit und die Gesundheitsversorgungssysteme als ein miteinander verwobenes holistisches Bezugssystem zu begreifen.
  4. Ein alternatives Modell sollte auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz und auf einem effektiven System globalen Regierens (gobal governance) beruhen, das in der Lage ist einen demokratischen Entscheidungsprozess mit einem langfristigen Horizont zu organisieren.

Maßnahmen zur Armutsreduzierung

Um soziale und ökologische Ziele zu erreichen, bedarf es eines alternativen Modells, das die Existenzgrundlage der Armen verbessert. Dazu könnte gehören: die Vergabe von Mikrokrediten und einkommensschaffende Maßnahmen; öffentliche Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen im Infrastrukturbereich, die den Nöten und den Prioritäten der armen Haushalte Rechnung tragen; eine öffentliche Förderpolitik, die sich gezielt an mittlere, kleine und Kleinstunternehmen richtet; landwirtschaftliche Förderprogramme für kleine Bauern, soziale Unterstützungsnetze; Existenzgeld-Programme.

Dort, wo Landbesitz in wenigen Händen konzentriert ist, könnte eine Landreform entscheidende Impulse zur Armutsreduzierung und Entwicklung in den ländlichen Regionen liefern. Verbesserte Landrechte hätten auch positive Auswirkungen auf die informellen Siedlungen in den städtischen Räumen.

Manche Ansätze werden einzelnen Programmen bereits durchgeführt. Wir schlagen aber zwei grundsätzliche Änderungen vor. Die erste besteht darin, dass die nationale Wirtschaftspolitik diese Programme in den Mittelpunkt rückt und so zu ihrer Effektivität beiträgt. Außerdem sollen diese Ansätze dazu genutzt werden, die armen Haushalte in die Erzeugung der Güter einzubeziehen, deren Bedarf in dem Maße steigen wird, wie Armut sich reduziert. Wenn arme Haushalte mit steigendem Einkommen in der Lage sind mehr Gemüse, Fleisch und Kleidung zu kaufen, dann sollte die Politik dafür sorgen, dass diese Güter auch in armen Haushalten produziert werden.

Ein solches Herangehen hätte wichtige Vorteile.

Ein Dollar mehr Einkommen bei den Ärmsten bewirkt weitaus mehr als bei den reicheren Schichten (und wäre wahrscheinlich weitaus umweltschonender).

Die ärmsten Haushalte geben ihre zusätzlichen Einkommen eher in notwendige Güter und Dienstleistungen aus, die lokal durch andere arme Haushalte hergestellt werde können. Im Ergebnis wird mehr Extra-Geld unter den Armen kursieren als je durch den „Trickle Down“-Effekt von den Reichen zu den Armen herabfließen wird.

Der Ansatz die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum durch wachsenden Konsum bei den besser gestellten Schichten zu reduzieren könnte auch den überproportional großen politischen Einfluss der Reichen betreffen, der einer der größten Hindernisse für fortschrittliche politische Veränderungen darstellt.

Energie-Management

Es gibt große Besorgnis über die wachsenden Co2 –Emissionen von China, Indien oder Brasilien. Allerdings sind die Pro-Kopf-Emissionen im Norden weitaus höher.

Nichtsdestotrotz ist es wichtig die Co2-Emissionen des Südens, die durch zusätzlichen Konsum im Ergebnis von Armutsbekämpfung entstehen, zu minimieren, wenn nicht gar umzukehren. Das erfordert einen entschlossen Wende weg von der fossilen zu erneuerbaren Energiegewinnung.

Bislang ist die Installierung von kleinen erneuerbaren Energiesystemen zu teuer. Das könnte sich schlagartig ändern, wenn solche Technologien für alle unterentwickelten ländlichen Regionen der Länder niedrigen und mittleren Einkommens angewandt würden. Würden globale Einrichtungen zu diesem Zweck geschaffen, finanziert durch Hilfsgelder oder andere internationale Ressourcen, hätte das enorme Wirtschafts- und Lern-Effekte. Das könnte vielleicht auch die reichen Länder dazu bewegen, endlich die Energiewende in Angriff zu nehmen.

Öffentliche Haushalte, Dienstleistungen und Infrastruktur

In allen Entwicklungsländern ist der öffentliche Sektor erheblich eingeschränkt und unterminiert worden. Die Rolle des Staates wurde zurückgefahren und staatliche Ausgaben maßgeblich reduziert. Verschärft wurde das Ganze noch durch fortgesetzte Einschränkung der administrativen Möglichkeiten zur Steuererhebung. Der staatliche Einkommensverlust konnte durch die Einführung von Mehrwertsteuern, eine beliebte neoliberale Alternative zu Steuern auf Einkommen und Gewinne, kaum aufgefangen werden. Das betrifft insbesondere die ärmsten Länder.

Die Rehabilitierung des öffentlichen Sektors und der öffentlichen Dienste ist dringend notwendig. Starke, gut- ausgestattete und effektive Regierungen waren von zentraler Bedeutung im Entwicklungsprozess aller reichen Länder und in den erfolgreichsten Schwellenländer. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Entwicklung in anderen Ländern ohne diese Voraussetzung funktionieren kann. Erforderlich ist also die Stärkung der Regierungsfähigkeit und die Förderung von Demokratie und Rechenschaftspflicht so, dass lokale soziale und kulturelle Kontexte einbezogen werden. Dazu gehört aber auch, dass die administrativen Fähigkeiten durch institutionelle Reformen, Bildung und Fortbildung, höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen entwickelt werden müssen.

In vielen Ländern ist es dringend notwendig, die Infrastruktur zu erhalten, zu erneuern und auszubauen. Aus gesundheitlicher Sicht genießen Wasser und sanitäre Anlagen dabei höchste Priorität. Der Zugang zu Wasser könnte durch eine entsprechende Tarifstruktur gesichert werden, die kostenlose Wassernutzung für lebensnotwendigen Grundbedarf zulässt, währen kommerzielle oder zusätzliche Nutzung (Swimming Pools etc). Besserer Zugang zu sauberem Wasser ist insbesondere Mädchen, die für das Wasserholen zuständig sind, ein Zeitgewinn, der sich für Bildung nutzen lässt. Infrastruktur für Transport, der Ausbau der Kommunikationswege – all das erfordert eine substantielle Erhöhung der öffentlichen Ressourcen in den meisten einkommensschwachen Ländern.

Den Unternehmens-Sektor verändern

In den vergangenen 25 Jahren lag der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik darauf, mehr und mehr Auslandsinvestitionen anzuziehen und nicht lokale Investitionen zu stimulieren. Auslandsinvestitionen haben gegenüber lokalen Maßnahmen erhebliche Nachteile.

Der anfängliche Vorteil von ausländischem Mittelzufluss wird mit der Zeit durch den kontinuierlichen Gewinnabfluss in sein Gegenteil verkehrt. Um den cashflow positiv zu halten, müssen zum Ausgleich des Gewinnabflusses im neuen Investitionen angeworben werde. Immer größere Teile des produktiven Sektors geraten so in ausländischen Besitz. Ausländische Investitionen schaffen häufig viel weniger Arbeitsplätze als lokale Investitionen. Außerdem bieten Auslandsinvestitionen viele Möglichkeiten Steuerschlupflöcher. Ein Konkurrenzvorteil für ausländische Unternehmen gegenüber einheimischen Produzenten. Aus diesen Gründen ist ein Politikwechsel zur Förderung von kleinen und mittleren lokalen Produzenten unabdingbar. Internationale Investitionen müssen künftig Regeln unterworfen werden, die nachprüfbare soziale und Umweltziele berücksichtigen.

Auf globaler Ebene: Armutsbeseitigung und Gesundheit für Alle

In einer globalisierten Welt können Länder schwachen und mittleren Einkommens nur begrenzt eigene Veränderungen vornehmen. Es ist ein Politikwechsel auch auf globaler Ebene nötig.

Globales Regieren und die Notwendigkeit für Reformen

Die gegenwärtigen Institutionen, in denen globales Regieren praktiziert wird, sind Belege ihrer kolonialen Wurzeln. Hier herrscht ein umfassender Mangel an Inklusion, Gleichheit der Stimme, Transparenz und Rechenschaftspflicht.

Das Abstimmungssystem nach ökonomischem Gewicht im Internationalen Währungssystem und in der Weltbank verschafft den reichen Ländern die Mehrheit der Stimmen (und die USA haben ein Veto-Recht bei allen wichtigen politischen Entscheidungen). Hinzu kommt noch die Vormachtsstellung im Weltsicherheitsrat. In der Welthandelsorganisation, WTO, gibt formal noch einigermaßen demokratischen Strukturen. Die zentralen Entscheidungen allerdings werden in einem intransparenten informellen Prozess getroffen, in dem Machtmissbrauch an der Tagesordnung ist.

Das 1944 etablierte globale Wirtschaftssystem besitzt keine Antwort auf die Fragen und Notwendigkeiten des frühen 21. Jahrhunderts. Es dient in keiner Weise den ökonomischen Interessen der Weltbevölkerungs-Mehrheit. Es reflektiert auch nicht die modernen Standards demokratischen Regierens. Hier gibt es enormen Handlungsbedarf für fundamentale Reformen

Internationale Finanzen: Krisenprävention und Lösungen

Es ist absolut notwendig, das verbliebene Schuldenproblem zu lösten. Die Kosten der Schuldenkrise für die Entwicklung, und ihre direkten und indirekten sozialen Folgen, sind unkalkulierbar geworden. Die Schulden der Länder sollten soweit reduziert werden, dass sie nicht ihre Fähigkeit zur Armutsbeseitigung, Gesundheitsversorgung und Bildung behindern.

Ein Wechsel ist auch deshalb nötig, um zu verhindern, dass Finanzkrisen, wie die, die in den 1990er Jahren die Schwellenländer erschütterten, vermieden und effektiver gelöst werden können. Zum Beispiel, in dem man die Entwicklungsländer von der Abhängigkeit von frei verfügbarem Finanzkapital macht. Optionen sind die Weidereinführung der Kontrolle des Kapitalflusses, die Erhebung der Spahn-Steuer (eine sehr hohe Steuer auf Gewinne aus Währungstransaktionen, die verantworlich sind für extreme Währungsschwankungen). Zu erwägen wäre auch ein globaler Interventsionsfonds entsprechen Chiang Mai Initiative, um Währungen vor Spekulationsangriffen zu schützen.

Internationale Finanzen: Besteuerung

Es bedarf eines globalen Steuersystems, um globale Institutionen und globale öffentlicher Güter wie die Kontrolle von Infektionskrankeiten oder Entwicklung von Impfstoffen zu finanzieren.

Dieses globale Steuersystem (Spahn-Steuer, Tobin-Steuer u.v.m.) könnte auch für Entwicklung eingesetzt werden. Idealerweise wäre das mit einer Kollektivierung der Hilfe zu verbinden, die durch demokratische globale Institutionen zu verteilen wäre. Das könnte auch einen Beitrag dazu leisten, dass Hilfe entsprechen der Nöte und globalen Prioritäten eingesetzt würde und nicht entlang der komemrziellen und geopolitischen Agenden von Geldgebern. Die Entwicklung von Technologien für kleine erneuerbare Kraftwerke wäre dabei vorrangig.

Neben der Ausarbeitung eines globalen Steuersystems ist es notwendig die Beschränkungen für nationale Besteuerungen zurückzunehmen.
Das Problem der Kapitalflucht und Beschränkungen der Steuereinnahmen von Finanzgütern könnt durch Kapitalkontrolle erleichtert werden. Der Die internationale Koordinierung von Steuerraten auf Finanzkapital und Unternehmensgewinnen könnten den Steuerwettbewerb beschränken. Das Schließen von Steueroasen und die Festlegung von Mindeststeuern auf Einkommen aus Finanzkapital und Unternehmensgewinnen würden sofort zu erheblich höheren öffentlichen Haushalten führen.

Dies alles deutet darauf hin, dass es einer internationalen Steuerinstitution bedarf, um solche Maßnahmen durchzusetzen. Allerdings wäre es von wesentlicher Bedeutung, dass sie wirklich demokratisch kontrolliert würde und von kommerziellen Interessen gänzlich unabhängig wäre.

Zivilgesellschaft als entscheidende Kraft für Veränderung

Im letzten Jahrzehnt ist der Einfluss der Zivilgesellschaft auf die globale Wirtschaftspolitik beachtlich gewachsen. Gestärkt wurde durch die Entwicklung globaler Netzwerke wie das Weltsozialforum und das People´s Health Movement. Erfolge gab es bei der Schuldenreduzierung für Länder mit schwachem Einkommen, bei der Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens ( MAI, sah u.a. noch mehr Rechte von Auslandsinvestitionen als bisher vor), die Doha Minister-Erklärung über den Zugang zu essentiellen Medizin und die Blockade von WTO-Abkommen, die zum Schaden der Entwicklungsländer waren, auf den WTO-Ministertreffen in Seattle und Cancún.

So wichtig diese Erfolge waren, so sehr muss man auch deren Grenzen anerkennen. Alle diese Erfolge bestanden darin, Schlimmeres zu verhüten. Nichtsdestotrotz spielt die Zivilgesellschaft als Akteur der Veränderung eine Schlüsselrolle.

Die Nord-NGOs tragen eine große Verantwortung, um die Dominanz des Nordens in internationalen Entscheidungsprozessen zurückzudrängen. Sie haben auch wichtiges geleistet, um das politische Profil von Entwicklungsfragen zu stärken.

Damit solche Kampagnen aber wirklich gelingen, müssen sie in einer breiten sozialen Bewegung und einer radikalen Stärkung der Menschen im Süden verwurzelt sein.

NGOs spielen eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung von „entwicklungs-freundlichen Lösungen in Fragen von Schuldreduktion, geistigen Eigentumsrechten, Steuerkonkurrenz und Steueroasen, um den Unternehmenssektor unter eine wirksame demokratische Kontrolle zu bringen. Die wichtigste Aufgabe von zivilgesellschaftlichem Engagement ist offenkundig eine demokratische Reform der globalen Wirtschaftspolitik (governance, Wirtschaftspolitik) durchzusetzen. Denn hierin liegt beides: der entscheidenden Grund für die Mängel des globalen Wirtschaftssystems und für die Auferlegung des gegenwärtigen Entwicklungsmodells. Darin liegt auch der größte Hinderungsgrund für Veränderung. Wenn es nicht gelingt globale Strukturen des Regierens fundamental zu ändern, solange werden zivilgesellschaftliche Bemühungen nicht mehr erreichten als Schaden zu begrenzen und höchsten in Teilbereichen erfolgreich sein.

Eine Reform des globalen Regierens ist in gewisser Hinsicht ein relativ leichtes Ziel. Die öffentliche Meinung für substantielle ökonomische Fragen zu mobilisieren ist schwierig und übersteigt die begrenzten Ressourcen der NGOs für soziale Anwaltschaft beträchtlich. Dagegen vertraut und befürwortet die breite Öffentlichkeit die Prinzipien der Demokratie und weiß von den Demokratie-Defiziten des IWF, der Weltbank und Welthandelsorganisation.

Ein neues Bretton-Wood

Solange nördliche Regierungen den Entscheidungsprozess für einen Reform des globalen Regierens beherrschen, solange werden sie diese Dominanz für ihre Interessen nutzen. Es ist deshalb wesentlich diesen Demokratisierungsprozess aus den gegenwärtigen Entscheidungsstrukturen herauszunehmen und in einen neuen separaten Prozess einzuspeisen. Er müsste in einer neuen Bretton-Woods-Konferenz enden, die allerdings die gegenwärtigen Demokratiestandards erfüllen müsste: Inklusion, Gleichheit der Stimmen, Transparenz und Rechenschaftspflicht).

Eine große globale Kampagne für einen solchen neuen Bretton-Woods-Prozess, die das ganze Sektrum der Zivilgesellschaft umfasst und die Regierungen der einkommensschwachen und Schwellen- Länder mit einschließt, wäre ein Riesenschritt hin zu einem globalen Wirtschaftssystem, das die Gesundheit von vielen über den Wohlstand weniger setzt.


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