An die Nieren

Aufklärung und Selbstorganisation der Zuckerrohrarbeiter

17.04.2014   Lesezeit: 4 min

Wenn es in Deutschland Frühling wird, läuft in Nicaragua die Zuckerrohrernte auf Hochtouren - mit gefährlichen Folgen für die Gesundheit der ArbeiterInnen.

Allein die Zuckerfabrik Ingenio Monte Rosa, Pantaleon in der Region Chinandega verarbeitet im Frühjahr täglich 15.000 Tonnen Zucker im voll automatisierten Betrieb. Auf dem Feld schlägt José, 22 Jahre, von 6 Uhr bis 16 Uhr Zuckerrohr im Akkord. Sein Lohn 34 Cordoba, oder umgerechnet 1 Dollar 30 pro geschlagene und verladene Tonne. Er arbeitet nicht direkt bei Pantaleon, sondern bei einem der Subunternehmer, die Arbeitsverträge nur für die Erntezeit abschließen. Die Arbeiter sind meist nicht sozialversichert und tragen ein enormes Risiko an der chronischen Niereninsuffizienz zu erkranken, deren Entstehung noch nicht eindeutig geklärt ist. Vermutet wird aber, dass Pestizide und Wassermangel die oft tödliche verlaufende Krankheit verursachen.

Immerhin hat José eine Schutzbrille und einen Wasserkanister bei sich. Dass der hohe Wasserverlust zur Dehydrierung und langfristig zur Nierenschädigung führen kann, hat sich herumgesprochen. Elektrolyte, um der Dehydrierung vorzubeugen, wurden nicht ausgegeben. Die extreme körperlicher Anstrengung bei mörderischer Hitze in einem abgeflammten Zuckerrohrfeld, das von einer Rußschicht überzogen ist, kann man sich schwer vorstellen. Rußpartikel werden beim Schlagen des Zuckerrohrs aufgewirbelt. In der gebückten Haltung ist José dem Staub ausgesetzt und müsste eigentlich noch eine Maske tragen, die allerdings bei über 40°C auf dem Feld extrem lästig ist.

Wissen über Risiken und Rechte

Für Zuckerrohrarbeiter, wie Josè und seine Familie, für bereits erkrankte Arbeiter und ihre Angehörigen findet in El Viejo eine neue Reihe von Fortbildungen statt. Sie werden vom Nicaragua-Forum organisiert und finanziert und von medico international und vom Verein Mannheim El Viejo unterstützt. Auf dem Programm stehen heute die Ursachen der Nierenerkrankung und Möglichkeiten der Behandlung, die Bedeutung einer gesunden Ernährung und eine Grundschulung über die Menschenrechte. Viel Stoff für die 30 Teilnehmenden, die dazu eingeladen sind. Die einzelnen Themen werden von der Ärztin, der Psychologin und der Rechtsanwältin des Frauenzentrums, die das Nicaragua-Forum finanziert, dargeboten. Die Thematisierung der Menschenrechte löst eine ganze Reihe von Nachfragen aus. „Wen können wir für die Verschmutzung unseres Brunnenwassers verantwortlich machen?“ „Wo klagen wir unsere Verluste ein, wenn wieder einmal nach einem Sprüheinsatz der Flugzeuge die Mangos und Avocados unreif vom Baum fallen“ Und natürlich: „Was soll werden, wenn unsere Männer und Söhne sterben?“

Das gemeinsame Essen am Ende der Veranstaltung soll ein Beispiel sein, wie sich die Erkrankten gesund ernähren und die noch Gesunden sich schützen können: Keine der so beliebten zuckerhaltigen Getränke, sondern Fruchtsäfte, möglichst wenig Salz, kein rotes Fleisch, sondern Hühnchen oder Fisch, viel Gemüse und jede Menge Wasser, sauberes natürlich. Bleibt die Frage, wie sich die Menschen in den Zuckerrohrfeldern das leisten und beschaffen können. Während das Unternehmen Wasser zur Bewässerung aus einer Tiefe von 20 bis 50 Metern aus einem Wassersystem entnimmt, das bislang nicht belastet ist, müssen die AnwohnerInnen das verschmutze Wasser aus 5 bis 7 Metern Tiefe nutzen. Für eine Untersuchung der Belastung des Wassers mit Düngern und Pestiziden sieht sich der Konzern nicht in der Verantwortung, wie er auch weiterhin jede direkte Verantwortung für die Erkrankten ablehnt.

Hartnäckige Selbstorganisation

Einen großen Erfolg haben unterdessen Alvaro und seine Leute von der Vereinigung der Nierenerkrankten und ihrer Angehörigen, dem medico-Partner ASOTRAIRC, erreicht. Ihr Kampf um die Finanzierung einer Nähkooperative durch Pantaleon war erfolgreich. Sie schafft 30 Arbeitsplätze zur Fertigung von Schutzkleidung für die Erntearbeiter. Profitieren sollen alle 400 Familien der Erkrankten und Verstorbenen durch eine Beteiligung an den Gewinnen. Doch auch dieser Erfolg fiel nicht vom Himmel. Hartnäckige Verhandlungen, Blockaden des Betriebs und letztendlich ein runder Tisch mit Regierung, Betrieb und Kirche haben zum Erfolg geführt.

Das grundsätzliche Problem ist damit aber nicht aus der Welt geschafft. Jeden Tag erkranken weitere Arbeiter und das örtliche Gesundheitszentrum hat noch nicht einmal die Mittel für die Untersuchung des Kreatininwertes, der ein Indiz für die chronische Niereninsuffizienz darstellt. Letztendlich kann nur Prävention die Lösung sein, d.h. aber auch Veränderung der Arbeitskonditionen, Verbot der krankmachenden Spitzmittel, eine Lösung des Wasserproblems und Schutz durch eine gesunde Ernährung. Alle, die mithelfen wollen, sind herzlich eingeladen!

Ein Bericht aus dem Reiseblog von Heinz Reinke vom Nicaragua-Forum Heidelberg


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