Das geplante Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren stößt bei der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF), Medico International, PRO ASYL und dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf große Bedenken. Die Organisationen befürchten, dass dadurch vielen Asylsuchenden der Zugang zu einem fairen Asylverfahren verwehrt bleiben wird.
Besonders schwerwiegend würde dies besonders schutzbedürftige Flüchtlinge treffen, wie Kranke, Traumatisierte oder Minderjährige. Die vier Organisationen haben heute den Aufruf „Asylpaket II stoppen – Keine Einschränkung von fairen Asylverfahren“ veröffentlicht, in dem sie die Bundesregierung und alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages auffordern, die Verschärfungen des Asylpakets II abzulehnen. Der „Gesetzentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ (Asylpaket II) soll noch im Januar vom Kabinett beschlossen und ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Die Organisationen wenden sich gegen die Einführung „beschleunigter Verfahren“, die u.a. für all diejenigen gelten sollen, denen das Fehlen von Ausweisdokumenten vorgeworfen wird. Da die meisten Schutzsuchenden ohne Pässe fliehen, könnte künftig die Mehrheit aller Asylsuchenden von Schnellverfahren in besonderen Aufnahmezentren betroffen sein. Asylsuchende sollen dort innerhalb weniger Tage abgefertigt werden, ein Schutzanspruch wird für viele aufgrund des Herkunftslandes vorab pauschal angezweifelt. Ein faires Verfahren lässt sich so nicht organisieren.
Die Erfahrungen aus der Arbeit der psychosozialen Zentren zeigen, dass für traumatisierte Menschen einwöchige Schnellverfahren besonders fatal wären. Sie benötigen viel mehr Zeit als eine Woche um stabil genug für eine Anhörung zu sein und ihre Asylgründe detailliert vorzulegen. Auch die Berücksichtigung und zeitlich intensive Überprüfung kinderspezifischer Fluchtgründe wäre in den geplanten Schnellverfahren unmöglich.
Auch im Fall von krankheits-bedingten Abschiebungshindernissen sieht der Gesetzentwurf gravierende Verschärfungen vor. Kranke müssen künftig mit detaillierten Attesten nachweisen, warum eine Erkrankung gegen die Abschiebung spricht. Reichen sie das Attest nicht unverzüglich ein, bleibt dieses unberücksichtigt. Im Klartext heißt dies: Im Zweifel wird abgeschoben. Insbesondere traumatisierte Menschen wird diese Vorgehensweise gefährden. Das von Ausländerbehörden gesäte Misstrauen gegen auf posttraumatische Belastungsstörungen spezialisierte Ärzte wird so ins Gesetz geschrieben. Der Gesetzgeber spielt mit dem Leben der Betroffenen.
Der Gesetzentwurf sieht zudem eine Verschärfung des Familiennachzugs vor. Wie weitgehend die Restriktion sein soll, ist in der Koalition umstritten. Die Organisationen befürchten, dass Begrenzungen des Familiennachzugs dazu führen, dass viele Angehörige, auch Kinder, die lebensgefährliche Flucht übers Meer auf sich nehmen werden anstatt auf eine Visaerteilung zu warten.
Aus der Sicht der Organisationen führt das neue Gesetz zu einer unzumutbaren Asylpraxis, die jeder ethischen, medizinischen und psychotherapeutischen Grundlage entbehrt.
Der Aufruf wird bereits unterstützt von Ärzte der Welt, dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) und der Bundesweiten Kampagne der Medibüros/Medinetze in Deutschland zur Verbesserung der medizinischen Versorgung Asylsuchender.
Aufruf an den Deutschen Bundestag:
Asylpaket II stoppen – Keine Einschränkung von fairen Asylverfahren!
Die Bundesregierung will mit dem neuesten Asylpaket noch mehr Menschen noch schneller abschieben – selbst dann, wenn sie körperlich oder psychisch schwer krank sind und eine Abschiebung für sie potentiell lebensbedrohlich ist.
Das geplante Gesetz hebelt für viele Flüchtlinge ein angemessenes und faires Asylverfahren aus, es schränkt den Familiennachzug ein und erkennt medizinische Abschiebehindernisse nicht an. Diese extreme Einschränkung des Asylrechtes muss gestoppt werden!
Für alle Flüchtlinge aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, für alle, die einen Folgeantrag gestellt haben, weil sich ihre Situation grundlegend verändert hat, sowie für Menschen, denen vorgeworfen wird, sie hätten ihre Papiere vernichtet, sollen künftig beschleunigte Verfahren gelten: Das Asylverfahren muss in nur einer Woche über die Bühne gebracht werden.
Die meisten Flüchtlinge fliehen jedoch ohne Papiere nach Europa – oder aber Dokumente gehen auf der Flucht verloren. Die Bundesregierung schafft damit die Grundlage, potentiell für alle Asylsuchenden solche Schnellverfahren anzuwenden.
Hinzu kommt: All diese Flüchtlingsgruppen werden in Zukunft verpflichtet sein, in besonderen Aufnahmezentren zu leben. Und schon wenn sie lediglich den Landkreis verlassen, dem sie zugeteilt wurden, gilt ihr Asylantrag als abgelehnt.
Im Asylverfahren müssen Fluchtgründe geordnet und schlüssig vorgetragen werden und traumatische Erfahrungen ggf. mit detaillierten ärztlichen Gutachten belegt werden. Dafür braucht es Zeit und eine geschützte Atmosphäre, in der die Menschen sich sortieren und sich Unterstützung und Beratung für die Einordnung und Aufarbeitung des Erlebten suchen können.
All das soll in Zukunft für einen großen Teil der Flüchtlinge nicht mehr möglich sein.
Auch die Berücksichtigung und zeitlich intensive Überprüfung kinderspezifischer Fluchtgründe wird unmöglich gemacht.
Und anstatt chronisch erkrankte Kinder im Sinne des Kindeswohls umfassend zu unterstützen, wird Flüchtlingsfamilien mit der Abschiebung ins Herkunftsland die z.T. lebensnotwendige Gesundheitsversorgung versagt.
Selbst Menschen, die krank oder schwer durch ihre Erlebnisse im Herkunftsland traumatisiert sind, dürften mit dem neuen Gesetz im Schnellverfahren abgeschoben werden. Der Grund: sie könnten sich schließlich auch in irgendeinem Teil ihres Herkunftslandes behandeln lassen. Gegen das Trauma sollen eben zur Not Medikamente genommen werden. Das entbehrt jeder ethischen, medizinischen und psychotherapeutischen Grundlage.
Die geplanten Verschärfungen verletzen elementare Rechte der Betroffenen und gehen an den Kern der humanitären Werte unseres Asylrechts.
Wir rufen daher die Bundesregierung und alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, die Verschärfungen des Asylpakets II abzulehnen.
Faire und rechtsstaatliche Asylverfahren für alle Flüchtlinge!
Pressekontakt:
- Dr. Ramona Lenz, medico-Referentin für Flucht und Migration: Tel. 069/94438-23 oder lenz@ medico.de