Vorwort: Zukunft der Extreme
Die Freiheit, über den eigenen Lebensweg zu entscheiden, ist unmittelbares Recht eines jeden Menschen. In der Menschheitsgeschichte beinhaltete der Schritt in die Ferne immer auch die Möglichkeit einer besseren Zukunft und eröffnete neue Handlungshorizonte. Zugleich war die eigene Mobilität auch immer ein probates Mittel gegen gesellschaftliche Zwänge und Verfolgung. Migration, ob sie innerhalb einer Region oder über Staatsgrenzen hinweg, dauerhaft oder kurzfristig erfolgt, war und ist für den Menschen in allen Phasen seiner Geschichte eine Form der Anpassung an sich verändernde äußere Bedingungen. In einer globalisierten Welt kann Migration als zentraler Ausdruck einer unentwegten Umwälzung verstanden werden, die im Zusammenhang mit gravierenden sozio-ökonomischen und ökologischen Veränderungen steht.
Auch wenn westliche und vorwiegend US-amerikanische Klimawandel-LeugnerInnen versuchen, die Fakten zu relativieren, ist es unbezweifelbar, dass Gletscher und Eismassen schneller schmelzen als der Weltklimarat 2007 vorausgesagt hatte. Die kommende, durch den Klimawandel ausgelöste Migration könnte sich als historisch bislang einzigartiges Phänomen herausstellen – sowohl in ihrer Quantität und ihrer Form als auch hinsichtlich der Notwendigkeit, in relativ kurzer Zeit Lösungswege zu finden, die an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert sind.
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Begrenzte Anpassungsmöglichkeiten
Schon heute zerstören die Folgen der globalen Erwärmung weltweit Lebensgrundlagen, etwa wenn durch den Anstieg des Meeresspiegels dicht bevölkerte Küstengebiete verloren gehen, Böden erodieren und Grundwasserspeicher versalzen. Oder wenn in bereits von Dürre bedrohten Regionen die ohnehin geringen jährlichen Niederschläge ausbleiben und dadurch die landwirtschaftliche Nutzung von Ackerflächen für den Anbau von Nahrungsmitteln zurückgeht oder gänzlich unmöglich wird.
Die Möglichkeiten für Menschen im globalen Süden, sich an zunehmende Wetter extreme oder schleichende Auswirkungen des Klimawandels wieden Meeresspiegelanstieg anzupassen oder die unmittelbaren Schäden abzumildern, sind begrenzt. Oft reicht schon ein einziger Sturm, um die Existenzgrundlage Tausender Menschen zu vernichten. Häufig können nur die Allerwenigsten wieder zurückkehren. Eine Heimkehr bleibt langfristig unmöglich, wenn das einst bewohnte Land irreversibel zerstört ist oder den einstigen BewohnerInnen schlicht die notwendigen Mittel für die Rückgewinnung ihrer verlorenen Lebenswelten fehlen. Strukturelle Armut verstärkt die Folgen des Klimawandels, und er trifft zuallererst die Ärmsten der Armen.
Mehr als »marktwirtschaftliche Lösungen«
Die internationale Staatengemeinschaft hat bisher kaum Vorschläge entwickelt, um all jene zu unterstützen, die infolge des Klimawandels fliehen oder eigentlich fliehen müssten, die dazu aber ökonomisch nicht in der Lage sind oder es schlicht nicht wollen. Wir nennen es Klimawandel, für die Entwicklungsländer ist es eine Klimakatastrophe. Die wichtigste Versicherung gegen den Klimawandel und seine Folgen bleibt nach wie vor seine größtmögliche Begrenzung durch rasches und drastisches Absenken der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Im Kampf gegen die Klimakrise verlangt es mehr als »marktwirtschaftliche Lösungen«, sind doch die derzeit dominierende Produktionsweise und der westliche Lebensstil selbst Ursache des Problems. Es ist eine Frage des politischen Willens und damit einhergehender gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, ob es gelingt, die in Armut lebenden Menschen zu befähigen, sich nicht nur gegen die durch den Klimawandel bedingten ökologischen Veränderungen zu wehren, sondern langfristig ihre Lebensgrundlagen vor Ort erhalten zu können.
Schutz der MigrantInnen
Völkerrechtliche Vereinbarungen zum Schutz der Rechte von Menschen, die von Klimamigration und Klimaflucht betroffen sind, müssen formuliert und durchgesetzt werden, einschließlich solcher Mechanismen, die für verlorene Lebensgrundlagen entsprechende Reparationszahlungen ermöglichen.
Dies ist umso mehr geboten, als die aktuellen Dynamiken von Migration und Flucht in Entwicklungsländern unmittelbar mit der Wirtschaftspolitik in den Industrie- und Schwellenländern, den im globalen Maßstab wohlhabenden Verursachern des Klimawandels, zu tun haben. Wir bestreiten nicht, dass Migrationsentscheidungen immer komplexe Prozesse sind und dass der Klimawandel bisher in den seltensten Fällen der einzige Abwanderungsgrund ist.
Es gibt nach wie vor gewichtige weitere Ursachen für die globalen Fluchtbewegungen, etwa die strukturelle Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen, soziale Marginalisierung, Kriege und Gewalt, politische Verfolgungen sowie religiös oder ethnisch bedingte Vertreibungen.
Kein Gesicht, keine Namen und keine Geschichte
Tagtäglich ereignen sich ungezählte Tragödien und gescheiterte Fluchtgeschichten, ob im Mittelmeer, innerhalb Afrikas oder Südostasiens, an der Südgrenze der USA oder entlang der Außengrenzen der Europäischen Union. Wenn ein marodes Boot mit Hunderten Flüchtlingen kentert, erfährt die Öffentlichkeit nichts über die Ertrunkenen. Die »stranded people« werden entpersonalisiert: Sie haben kein Gesicht, tragen keine Namen und haben keine Geschichte.
Wir haben in den letzten Jahren im Mittelmeer eine bittere Lektion lernen müssen. Exemplarisch wurde uns vor Augen geführt, dass zwar die despotischen Regime in Nordafrika durchaus stürzen konnten, die europäische Abschottungspolitik und Abwehrhaltung gegenüber Schutzsuchenden dagegen beständig hart blieb.
Schutzsuchende sind die BotInnen der globalen Ungerechtigkeit. Sie bezeugen abseits der bürokratischen Flüchtlingsanerkennungsverfahren, die sie schnell als »Wirtschaftsflüchtlinge« kategorisieren, welche Verantwortung das reiche Viertel der Menschheit für den Verlust ihrer Lebensgrundlage trägt.
Anregung zur Diskussion
Es steht unzweifelhaft fest: Die durch den Klimawandel ausgelöste Migration, ob erzwungen oder freiwillig, wird für alle Herkunfts-, Transit- und Zielländer der MigrantInnen eine erhebliche gesellschaftliche Herausforderung darstellen, die aufgrund ihrer politischen Dimensionen von allen zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den Bereichen Umweltschutz, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit nur gemeinsam angemessen beantwortet werden.
Es geht um nicht weniger, als die internationale Staatengemeinschaft dahin zu bewegen, geeignete und vor allem auch gerechte Strategien und Mechanismen im Sinne der Betroffenen zu diskutieren und perspektivisch zu beschließen. In den dafür notwendigen internationalen Abkommen müssen die Bedürfnisse der betroffenen Menschen sowie Schutz und Gewährleistung ihrer Rechte immer im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Der vorliegende Debattenbeitrag möchte erste gemeinsame politische Forderungen zur Diskussion stellen.