Wie sieht die Situation der Flüchtlinge vor Ort aus?
Wir haben heute das Lager Kutupalong besucht, das bereits seit 1992 existiert. Damals kam es zu ersten großen Vertreibung der Rohingya aus Myanmar. Seither lebten 300.000 in der Region von Cox Basar. Durch die erneuten Vertreibungen sind nun eine Million Rohingya-Flüchtlinge hier. Doppelt so viele wie die eigentlich ansässige Bevölkerung.
Wie kann man sich das Lager vorstellen?
300.000 Menschen in einfachsten Hütten aus Plastikplanen und Bambus gebaut. Überall ist ein enormer Lärm und heftige Gerüche. Zwischen den Hütten gibt es Wege, auf denen immerzu Rikschas hin und her fahren. Auch NGO-Autos sind unterwegs und zeigen an, dass die ganze NGO-Welt sich hier befindet. Es gibt überall Hütten, in denen reger Handel getrieben wird. Die Menschen verkaufen oder tauschen ihre Lebensmittelrationen, auch Kleider, die sie erhalten haben, gegen andere Dinge. Viele Rohingya haben Geld mitgebracht oder Schmuck. Es ist also durchaus attraktiv hier Geschäfte zu machen, die wesentlich von der einheimischen Bevölkerung betrieben werden. Die Leute haben nicht viel zu tun. Ihr Tagesablauf wird von der Lebensmittelvergabe bestimmt. Hier stehen die Menschen in langen Schlangen und warten auf ihre Ration. Militär, Polizei und auch mit Schlagstöcken ausgestattete Hilfspolizisten der Rohingya sichern die Lebensmittelausgabe zum Teil mit brutalen Methoden. Wir haben beobachtet, wie sie die Schlagstöcke mit großer Härte einsetzen.
Was tut der medico-Partner Gonoshastaya Kendra vor Ort?
Gonoshastaya Kendra (GK) betreibt 13 Gesundheitsstationen. Sie sind alle ebenso einfach wie die Hütten der Flüchtlinge. Aber es gibt einige Ärzte und Ärztinnen, Sanitäter_innen und junge Gesundheitshelfer, die die Rohingya stellen. Auch eine psychosoziale Nothilfe bieten sie an. Wir haben mit einer jungen Psychologin von GK gesprochen. Eine sehr beeindruckende Person, die Tag für Tag grauenhafte Geschichten von Vertreibung, Vergewaltigung und dem Verlust von Angehörigen anhören muss. Sie sagt, dass die Rohingya sehr bereitwillig über ihre Erfahrungen erzählen. Die Gesundheitshelfer der Rohingya werden in einem Schnellkurs von GK ausgebildet. Die Gesundheitshelfer gehen in die Unterkünfte und versuchen eine klassische Präventionsarbeit unter diesen Bedingungen durchzuführen. Außerdem ist GK mit den anderen Gesundheitsorganisationen im Lager gut vernetzt, so dass schwierige Fälle umgehend weiter geleitet werden können.
Wie sieht die Perspektive der Flüchtlinge aus?
Die Gesundheitshelfer der Rohingya, die bei GK arbeiten, sagten uns, dass sie gleiche Bürgerrechte wie die anderen Myanmars verlangen. Ebenso wie den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser und Dörfer. Sonst würden sie nicht zurückkehren. In dem Rücknahme-Vertrag, den die Regierungen von Bangladesch und Myanmar unterzeichnet haben, ist davon auch nicht die Rede. Es gibt sehr vage Formulierungen, was einen künftigen zivilen Status der Rohingya in Myanmar anbetrifft. Aus diesem Grund wollte die Regierung Bangladeschs diesen Vertrag auch nicht unterzeichnen. Aber China und Indien, die große ökonomische Interessen in Myanmar und auch in der Rohingya-Region haben, übten großen Druck auf Bangladesch aus, den Vertrag zu unterzeichnen.
Es ist davon auszugehen, dass die Flüchtlinge erstmal keine Rückkehrperspektive haben. Der Leiter von GK, Dr. Kadir, vertritt die Auffassung, dass Bangladesch Pässe und ein Startkapital an die Rohingya austeilen sollte, damit sie sich überall in Bangladesch ansiedeln könnten. Das ist insofern nachvollziehbar, da die Situation hier schon in den nächsten Monaten mit der nächsten Regenzeit gefährlich eskalieren könnte. Die Hütten, die alle auf Sand gebaut sind, können der Regenzeit nicht standhalten. Auch die Region selbst ist überfordert mit so vielen Flüchtlingen.
Das Interview führte Katja Maurer
medico unterstützt die Nothilfe des langjährigen bangladeschischen Partners GK und bittet dringend um Spenden unter dem Stichwort: Bangladesch