Nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Savar, Bangladesch leistet die lokale medico-Partnerorganisation Gonoshasthaya Kendra (GK) ärztliche Nothilfe. Im Interview berichtet GK-Mitarbeiter Gulam Dulal von der Lage vor Ort. Lokale Produzenten und internationale Auftraggeber müssen die Verantwortung für diese Katastrophe übernehmen und Konsequenzen ziehen.
medico international: Wie ist die Situation am Rana Plaza heute, über eine Woche nach dem Fabrikeinsturz?
Dulal: Die Zahl der Todesopfer ist mittlerweile auf 484 gestiegen. Da noch über 1000 Arbeiterinnen als vermisst gelten, gehe ich davon aus, dass diese Zahl wohl in den nächsten Tagen dramtisch weiter steigen wird. Seit dem Einsturz am 24. April konnten 2437 Arbeiterinnen unter schwersten Bemühungen aus den Trümmern befreit werden. Die Situation vor Ort ist immer noch verheerend und hat sich am Sonntag sogar zugespitzt: Für die Bergungsarbeiten mussten Trägerteile zerschnitten werden. Tragischerweise haben die Funken dann einen Brand im Bergungstunnel ausgelöst, sodass wir für mehrere Stunden keinen Zugang mehr zu den Überlebenden hatten. Shanaj Parveen, eine Arbeiterin die über 100 Stunden ausharrte, starb während dieses Brandes. Nach diesem schrecklichen Vorfall ist unsere Hoffnung weitere Überlebende zu finden gesunken. Wir alle tun aber unser Bestes, auch wenn uns die Zeit davon rennt.
Welche Maßnahmen ergreift Gonoshasthaya Kendra (GK) vor Ort?
Unsere Katastrophenhilfe leistet vor allem ärztliche Notversorgung. Zudem stellen wir Wasser, Sauerstoff und Nahrung für die Eingeschlossenen bereit. Unsere Ambulanzen transportieren Verletzte in unser eigenes und andere Hospitäler. Dabei arbeiten wir mit der Armee, der Polizei, der Feuerwehr und einer Vielzahl von Freiwilligen zusammen.
Um den Einsturzopfern auf lange Sicht zu helfen, veranlassen wir gerade eine Datenerhebung in den Krankenhäusern. Wir hoffen so zumindest für eine bestimmte Zahl von Patient_innen durch Maßnahmen wie beispielsweise Physiotherapie ihre Rehabilitierung zu fördern.
Nach den Fabrikbränden von Dhaka (Tazreen Fashion) und Karatschi (Ali Enterprises) ist der Einsturz des Rana Plaza Fabrikhochhauses nun die dritte, vermeidbare Katastrophe innerhalb der letzten Monate. Welche Maßnahme in Europa und Bangladesch sehen Sie nun als notwendig, um weitere Todesopfern in der Textilindustrie zu vermeiden – auch in Hinsicht auf Arbeitsrechte und Sicherheit am Arbeitsplatz?
Die öffentliche Entwicklung hier in Bangladesch bewerte ich durchaus positiv: Die ganze Nation, auch der Textil- und Bekleidungssektor, mobilisieren alle relevanten Ressourcen den landesweiten Schock um diese Tragödie zu verarbeiten. Die bengalische Regierung, Zivilgesellschaft und die Vereinigung der bengalischen Bekleidungshersteller und Exporteure (BGMEA) richten nun ihre Aufmerksamkeit auf die Überprüfung aller Bekleidungsfabriken des Landes. Hoffentlich wird sich durch diese Maßnahme solch ein Unglück nicht wiederholen. Die bereits entstandenen Personenschäden sollen durch rückwirkende Arbeitsverträge und Geldmitteln symbolisch kompensiert werden. Des Weiteren wurde der Fabrikbesitzer bei der Flucht über die indische Grenze gefasst und seine Verurteilung wird nun zum juristischen Präzedenzfall für die Textilindustrie werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns auf dem Wege der Besserung befinden.
Was die Maßnahmen in Europa betrifft, müssen die Auftraggeber verantwortlich gemacht werden. Ihre Ignoranz gegenüber Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten muss unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden. Jahr für Jahr bleiben die großen Konzerne bei ihrer drückenden Preispolitik. Dabei sind ihnen Faktoren wie Inflation oder auch angebrachte Arbeitskosten, um die Arbeitsstandards zu verbessern, schlicht egal: Hauptsache der Profit des Konzern bleibt maximal. Viele Produzenten sehen sich dann durch die starke Konkurrenz in der Textilindustrie gezwungen, entstandene Kostendifferenzen mit höheren Stückzahlen und in gleicher oder weniger Arbeitszeit zu kompensieren. Das Geschäft läuft in dafür provisorisch umgebauten Gebäuden – auf Kosten der Sicherheit und Gesundheit von Arbeiter_innen, wie im Fall von Rana Plaza.