Bescherung im Gesundheitswesen

Durch die Hintertür soll die solidarische Gesundheitsversorgung abgewickelt werden

13.09.2012   Lesezeit: 5 min

Gerichtsurteile, das erfahren wir derzeit, können von großer Brisanz sein, aber nicht jedes wichtige Urteil findet auch den Weg in die Öffentlichkeit. Zu letzterem zählt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2009. Dabei ging es um die Frage, ob Städte und Gemeinden ihren Weihnachtsmarkt privatisieren dürfen. Ein Imbissbudenbesitzer in Offenbach hatte die Stadt verklagt. Die aber sah sich gar nicht mehr zuständig, nachdem sie die Durchführung des Marktes einem privaten Betreiber übergeben hatte.

Dieser Auffassung wollte das Bundesverwaltungsgericht nicht folgen. Gemeinden, so steht es in dem lesenswerten Urteil, dürften im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ihre gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume nicht aufgeben. Eine materielle Privatisierung von „kulturell, sozial und traditionsmäßig” wichtigen Aufgaben zur Sicherung und Wahrnehmung der „Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln“, sei nicht zulässig; ebenso wenig deren Betrachtung unter allein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Zwar können Gemeinden private Dienstleister zur Erledigung ihrer Aufgaben heranziehen, sie dürfen dabei aber zu keiner Zeit ihre Kontroll- und Einwirkungsrechte abgeben.

Öffentliches Gut – Weihnachtsmarkt

Und warum sie das nicht dürfen, - auch daran ließ das Gericht keinen Zweifel: „...bei einer privaten Veranstaltung von sozial, kulturell und traditionsgeprägten Weihnachtsmärkten (ist) mit einer erhöhten Gewinnerzielung der privaten Veranstalter zu rechnen“. Daraus folge, dass Standvergütungen erhöht und zuletzt auf die Besucher umgelegt würden: „Ein erhöhtes Preisniveau schließt aber gerade sozial schwächere Gemeindeeinwohner vom Marktgeschehen aus, erschwert die gesellschaftliche Kommunikation im örtlichen Bereich und trägt darüber hinaus zur Kommerzialisierung des gesamten kommunalen Lebens bei“.

Wohl wahr! Wer sich seine Sinne noch nicht durch all die belanglosen Talkshows hat weichspülen lassen, weiß darum, dass der Profit der einen zwangsläufig den Ausschluss der anderen impliziert. Weil sich solche Kapitalismuskritik aber nicht herumsprechen soll, blieb das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine Kuriosität. Nur wenige, darunter die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PwC), die in Deutschland mit der Privatisierung von öffentlichem Eigentum ihr Geld gemacht hat, nahmen die Sache ernst und wandten ein, dass sich die Grundsatzentscheidung auch auf andere Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung auswirken könnte und mit dem Urteil „das rechtliche Risiko deutlich gestiegen (ist), dass private Dritte Privatisierungsentscheidungen einer Gemeinde gerichtlich angreifen und womöglich ganz verhindern“.

Gute Idee! Wenn schon ein Weihnachtsmarkt eine öffentliche Angelegenheit von Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen ist, warum dann nicht auch Schulen, Universitäten, kommunale Kliniken, der öffentliche Nahverkehr, Bibliotheken, Schwimmbäder oder der kommunale Wohnungsbau? All dies sind ohne Frage Aufgaben besonderer sozialer, kultureller und traditioneller Prägung; Aufgaben zur Sicherung und Wahrnehmung des Gemeinwohls; Aufgaben, die nicht allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden dürfen.

Schlecker unter den Klinikbetreibern

Szenenwechsel nach Hamburg, wo die Stadt gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger 2007 sämtliche ihrer Krankenhäuser an die private „Asklepios-Kliniken GmbH” verkauft hat. Seitdem sind die Kliniken nicht mehr aus den Schlagzeilen herausgekommen: sinkende Versorgungsqualität, steigender Druck auf das ärztliche und Pflegepersonal, Lohndumping mit Leiharbeit. Asklepios, mit 10.000 Mitarbeitern heute der größte Arbeitgeber in Hamburg, gilt Arbeitsrechtlern als der „Schlecker unter den Klinikbetreibern“. Mit den Gewinnen, die sich aus dem Hamburger Gesundheitswesen herauspressen ließen, aber mischt Asklepios nun im Übernahmepoker zwischen den beiden großen deutschen Krankenhausbetreibern mit. Dabei geht es um die Fusion der „Helios Kliniken” (72 Häuser, 43.000 Mitarbeiter, Motto: „Jeder Moment ist Medizin“) mit der „Rhön-Klinikum AG” (54 Häuser, ebenfalls 43.000 Mitarbeiter, Motto: „Spitzenmedizin für jedermann“). „Helios” ist die Krankenhaussparte des im DAX der Deutschen Börse gelisteten Bad Homburger Konzerns „Fresenius“, der sich in den letzten Jahren zu einem der weltweit größten Medizintechnik- und Gesundheitsunternehmen entwickelt hat. Mit von der Partie ist auch die Allianz AG, die ein größeres Aktienpaket an „Fresenius” hält.

Nur noch Gesundheitswirtschaft

Auf Besorgnis erregende Weise ist die Umgestaltung des deutschen Gesundheitswesens in den letzten Jahren vorangeschritten. In dem Maße, wie das am Gemeinwohl orientierte öffentliche Versorgungssystem zur profitträchtigen „Gesundheitswirtschaft” heruntergewirtschaftet wurde, haben sich neue Akteure breitgemacht, für die Gesundheitsversorgung eben kein individuelles und soziales Gut mehr ist, sondern eine Ware wie jede andere auch. Mit dem Unterschied, dass die Ware Gesundheit ein enormes Wachstumspotenzial verspricht. Das betonten kürzlich z.B. die Gesundheitsexperten der „Deutsche Bank Research“, die einen weltweit expandierenden Markt ausmachten, der vor allem in Schwellenländern, wo sich zahlungskräftige Mittelschichten herausbilden, höchste Renditen verspreche. Im Inland dagegen seien die Aussichten, so die „DB Research“, durch den restriktiven Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung noch getrübt.

Wohlgemerkt: noch! Denn die wirtschaftsliberalen Gesundheitspolitiker haben zuletzt alles unternommen, um sich des „restriktiven Rahmens” - sprich den sozialstaatlichen Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens - zu entledigen. Das Bemühen um eine in Selbstverwaltung ausgehandelte rationale Versorgung, die allein den Bedürfnissen der Patienten verpflichtet sein soll, sowie der gesetzlich verankerte Solidarausgleich, der auch mittellosen und ärmeren Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung garantiert - all das ist zwar gesundheitspolitisch sinnvoll, aber abschreckend für private Investoren. Mit einer Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen will die Bundesregierung nun - sozusagen durch die Hintertür - die vollständige Unterordnung der Patienteninteressen unter den Profit durchsetzen. Sie plant, die gesetzlichen Krankenkassen im kartellrechtlichen Sinne mit privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Unternehmen gleichzustellen. Damit ginge die Regelungskompetenz von der Bundesregierung auf die Europäische Kommission über, was es den privaten Krankenversicherungen ermöglichen würde, Wettbewerbsverzerrungen geltend zu machen, die der Europäische Gerichtshof nicht mehr länger mit dem Verweis auf den besonderen öffentlichen Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen zurückweisen kann. Dann wäre die Deregulierung des öffentlichen Gesundheitswesens nicht mehr aufzuhalten und der Solidarausgleich, ein Stück noch existierender Umverteilung von oben nach unten, Geschichte. Mit Folgen, die für die Versicherten schon heute in Hamburg zu sehen sind. Aber für die derzeit angeschlagenen privaten Versicherer eine wahrlich reiche Bescherung.

Die Rhön-Helios-Fusion ist zwar vorerst gescheitert, aber das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen. Eugen Münch, Gründer der Rhön-Kliniken, erklärte jedenfalls, dass man als logische Ergänzung des eigenen Geschäftsmodells eine eigene klinikgebundene Zusatzversicherung plane: „Wir haben das Angebot und wir haben die Maschine dahinter.”

Thomas Gebauer


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