Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen als Gelegenheit, sich für „bessere Lebensbedingungen für die Betroffenen und ein bestmögliches Zusammenleben von Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung“ einzusetzen. Das ist in Zeiten verweigerter Seenotrettung und verschärfter Abschiebegesetze auch bitter nötig.
Immer mehr Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, vor Armut oder den Folgen des Klimawandels. Gleichzeitig finden immer weniger Menschen Schutz in Europa. Die EU-Staaten sprechen von Fluchtursachenbekämpfung und bekämpfen stattdessen an vorverlagerten Außengrenzen die Flüchtlinge.
Kalkuliertes Sterbenlassen im Mittelmeer
Gelangen die Menschen trotzdem bis ans Mittelmeer, wird ihre Überfahrt nach Europa mit allen Mitteln verhindert. Menschenrechtsanwälte erstatteten daher am Internationalen Gerichtshof in Den Haag Strafanzeige gegen die EU wegen kalkulierten Sterbenlassens auf dem Mittelmeer und in den Folterlagern Libyens. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Und Deutschland? Auch hier setzt die Politik auf Abschreckung und Abschottung. „Menschen ohne Bleiberecht müssen unser Land verlassen“, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer, als der Bundestag das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beschloss. Es beinhaltet unter anderem einen neu geschaffenen Status, der noch prekärer ist als eine Duldung, Leistungskürzungen unter das Existenzminimum und die nahezu unbegrenzte Erweiterung von Gründen für Abschiebungshaft.
Bei der Innenministerkonferenz in Kiel bekräftigte Seehofer dann erneut seine Einschätzung, dass – ungeachtet aller Warnungen vor der sich weiter verschlechternden Sicherheitslage im Land – Abschiebungen nach Afghanistan generell und nicht nur für Straftäter vertretbar seien.
Der gewünschte Effekt all der Gesetze und Maßnahmen gegen Flüchtlinge ist, dass immer mehr von ihnen in permanenter Angst leben und keine Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland haben. Mit dem Entzug ihrer Existenzgrundlagen werden sie in die Illegalität getrieben. Die damit einhergehende Rechtlosigkeit begünstigt Ausbeutung und andere Zwangsverhältnisse. Dabei leben bereits viele Menschen unter extrem prekären Lebensbedingungen, insbesondere Menschen ohne deutschen Pass. Vor allem Geduldete und Illegalisierte (Menschen ohne Papiere) sind faktisch Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse.
Sie sind gezwungen, illegal und ausbeutbar im Niedriglohnsektor zu arbeiten, als Putzkräfte, in der Pflege oder in der Gastronomie. Ihre Rechte als Mieterinnen, Schüler oder Arbeitnehmerinnen können sie nicht wahrnehmen. Auch eine angemessene medizinische Behandlung ist für viele nicht zugänglich. Für ein Land, das stolz darauf ist, die Menschenwürde in seiner Verfassung verankert zu haben, ist ein solcher Zustand nicht hinnehmbar. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes, dessen 70. Jahrestag jüngst gefeiert wurde.
Dieser Satz verpflichtet Staat und Politik, allen, die in Deutschland leben, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dieses Grundrecht ist unteilbar: Es gilt für alle – nicht nur für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Zentrale Bedingung dafür ist die „Freiheit von Furcht und Not“, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt. Wer in permanenter Furcht vor Abschiebung lebt, weil er oder sie lediglich über ein prekäres oder über gar kein Aufenthaltsrecht verfügt, ist von einem Leben in Würde ausgeschlossen.
Demütigung und Entrechtung von Flüchtlingen
Entgegen der herrschenden Tendenz zu weiterer Demütigung und Entrechtung von Flüchtlingen und Migranten in diesem Land fordern das Grundrechtekomitee und Medico International ein Bleiberecht für alle hier lebenden Illegalisierten und Geduldeten. Diese Forderung wird mitgetragen von mehr als hundert Organisationen bundesweit.
Was es heute braucht, sind nicht weitere Gesetze und Maßnahmen der Entwürdigung und Entrechtung von Schutzsuchenden, sondern ein Bekenntnis zur Menschenwürde – aller, die hier leben. Allen Schutz- und Rechtlosen in diesem Land ein Bleiberecht zu gewähren, wäre eine politische Geste, die es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. (Die Petition anlässlich des 70. Jahrestages des Grundgesetzes kann unter www.petition-bleiberecht.de unterstützt werden.)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 25. Juni 2019.