Ägypten

Die Rache des Präsidenten

30.09.2019   Lesezeit: 5 min

Über 2.000 Festnahmen in einer Woche: Ägyptens Präsident al-Sisi versucht, neue Proteste im Keim zu ersticken. Denn das Land steckt in einer tiefen Krise. Von Redaktion

Der Eigensinn der Geschichte zeigt sich in Ereignissen, die sich der Kontrolle der Herrschenden gerade dann entziehen, wenn diese vermeintlich alles zu ihrer Verhinderung getan haben.

So wie niemand voraussehen konnte, dass sich aus dem leichtsinnigen Graffiti zweier Jugendlicher in Daraa im März 2011 die syrischen Aufstände entwickeln, so unwahrscheinlich erscheint der Auslöser der neuesten Welle von Protesten in Ägypten: eine Serie von youtube-Videos des enttäuschten selfmade-Unternehmers und mäßig erfolgreichen Schauspielers Mohamed Ali im selbstgewählten spanischen Exil. Er beschuldigte das Militär, ihm Millionen Ägyptischer Pfund für Beraterverträge schuldig zu bleiben und kritisierte den Präsidenten und die Regierung für sündhaft teure Prestige-Bauprojekte und Korruption.

Am 20. September demonstrierten dann – zeitgleich in verschiedenen Städten – einige mutige Menschen gegen das Regime. Es waren keine Massenproteste, doch die symbolische Bedeutung der Mobilisierung kann kaum unterschätzt werden, waren sie doch seit langem ein erster, koordinierter Versuch, der Angst zu trotzen, die al-Sisi seit Jahren verbreitet.

Al-Sisi führte den Militärputsch gegen die Muslimbrüder an, sein Regime ist für Folter, Morde und Repression verantwortlich. Die Proteste richteten sich gegen diktatorische Politiken, aber auch gegen die schlechte wirtschaftliche Lage, die Monopolisierung der Medien durch die ägyptische Regierung und die Korruption in Regierung und Militär.

Panische Repression

Dem Präsidenten erschien die Situation dann auch so dramatisch, dass er seine New York-Reise zur UN-Generalversammlung verkürzte. Mohamed Ali rief für den nächsten Freitag zu einem zweiten „Marsch von Millionen“ auf. Die Regierung hatte derweil für diesen Tag gezielt ihr Unterstützer*innen in Politik und Wirtschaft und ihre Basis bzw. Mitarbeiter*innen für Pro-Regime-Kundgebungen mobilisiert.

Doch al-Sisi setzte nicht nur auf politische Gegenmobilisierung, sondern vor allem auf Repression. Die Menschenrechtsanwältin Mahienour al-Massry und weitere bekannte Gesichter politischer Oppositionsparteien sind unter den inzwischen über 2.200 Verhafteten der letzten 10 Tage. Die Präsenz von Militär und Polizei im Alltag hat sich in diesen Tagen stark erhöht, Autos werden wahllos angehalten und Mobiltelefone nach regierungskritischen Beiträgen durchsucht. Ausländische Studierende werden von den Sicherheitsbehörden aufgesucht und eingeschüchtert, damit sie keine Informationen ins Ausland senden.

Dass sich die bekannten Personen aus der damaligen „April 6“-Jugendbewegung vom Tahrir-Platz nicht sichtbar an den aktuellen Protesten beteiligt haben, schützt sie nicht vor der Rache des Präsidenten, dessen wichtigste „Lehre“ aus den in Ägypten immer noch Revolution genannten Umbrüchen vor über 8 Jahren zu sein scheint, jeden noch so geringen Raum für Dissidenz und oppositionelle Äußerungen auszulöschen.

Sein jüngstes prominentes Opfer ist Alaa Abd El Fattah, der nach fünf Jahren Haft eine weitere fünfjährige Bewährungsstrafe verbüßt, die er jede Nacht für 12 Stunden in einer Zelle der Polizeistation seines Viertels verbringen muss. Am Sonntagmorgen wurde er offenbar direkt von dort verschleppt, seine Familie kennt seinen Aufenthalt nicht. Viele der Verhafteten der letzten Woche gelten noch als „verschwunden“, gegen sie wurde noch keine offizielle Anklage erhoben. Unsere Partner*innen berichten von einer dramatischen Lage: Die Menschrechtsanwält*innen sind seit Tagen durchgehend auf den Polizeirevieren und Gerichten um herauszufinden, wer alles verhaftet wurde. Die Egyptian Commission for Rights and Freedoms versucht, alle Verhaftungen zu dokumentieren - laut einer Pressemitteilung von Montag gab es bislang nur zwei Freilassungen.

Ordnung, Stabilität, Diktatur?

Die Strategie der Regierung, mit maximaler Repression alle Stimmen zu unterdrücken, wird auf Dauer nicht fruchten – zumal das Versprechen Sicherheit und Wohlstand (statt Demokratie, Freiheits- und Menschenrechten) in den 6 Jahren, seit al-Sisi sich an die Spitze der Macht geputscht hat, sich nicht erfüllt hat

Auch das Versprechen von al-Sisi, die Wirtschaftslage zu verbessern, geht trotz einiger symbolischer Großprojekte wie der 2013/14 durchgeführte Ausbau des Suezkanals, dessen Einnahmen aber durch die globale Wirtschaftsschwäche trotzdem nur gering steigen, immer weniger auf. Zumal durch einen neuen IWF-Kredit 2016 zwar der Staatsbankrott abgewendet werden konnte, zugleich aber auch durch Abwertungen der ägyptischen Währung die Einschränkung wesentlicher Subventionen (z.B. Gas zum Kochen und Brot) und erhöhte Transportpreise die Lebenshaltungskosten der Armen und auch der Mittelklassen massiv erhöht wurden.

Aktivist*innen vermuten schon länger Konflikte innerhalb der Machtelite und des mächtigen Militärs. Der Stuhl des Präsidenten könnte wackliger sein, als es seine aktuellen Machtdemonstrationen vermuten lassen sollen. Dann könnte auch die demonstrative Unterstützung durch Donald Trump für al-Sisi, die dieser erst letzte Woche in New York erneuert hat, nicht mehr ausreichen. "Egypt has a great leader, he’s highly respected, he’s brought order", betonte Trump bei der UN-Generalversammlung.

Bislang war die Sicherstellung von “Ordnung” allerdings auch das leitende Motiv für die deutsch-europäische Ägypten-Politik. Sie interessiert weiterhin vor allem die stabile Kooperation mit Afrikas Diktaturen, um Migrant*innen von Europa fern zu halten. Anstatt Menschenrechte und Demokratie zu schützen, arbeitet die Bundesregierung im so betitelten Bereich „Migration und Sicherheit“ eng mit Ägyptens Grenzschutz zusammen. Und „Stabilität“ wünschen sich auch deutsche Unternehmen in Ägypten.

Siemens baute im größten Deal seiner Firmengeschichte ein Mega-Stromkraftwerk mit Gas- und Dampfturbinen in Ägypten, das nach einer Rekordzeit von nur 18 Monaten im Juli 2018 fertig wurde. Auch für 800 Mio. Euro genehmigte Waffenexporte im ersten Halbjahr 2019 in ein Land, dass im Jemen in einer kriegsführenden Koalition engagiert ist und auch im Nachbarland Libyen aktiv im militärischen Konflikt mitmischt, signalisieren dem Diktator in Kairo, dass Menschenrechte und friedliche Konfliktlösungen zweitrangig sind, wenn es um gute Geschäfte geht.

Dagegen haben sich Menschenrechtsorganisationen in Ägypten, darunter auch der medico Partner Al Nadeem - Center for Victims of Violence and Torture deutlich zu Wort gemeldet. Sie fordern die Freilassung der Festgenommenen und rufen die UNO zum Handeln auf. Dies wurde aus Deutschland zumindest verbal beantwortet: Das Auswärtige Amt forderte kürzlich die Freilassung der Inhaftierten. Meint die deutsche Regierung es ernst, müssen solchen Worten allerdings Taten folgen. Eine Einstellung der Kooperation bei der Polizeiausbildung wäre ein solches Zeichen.


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