FR-Kolumne

Die Welt neu denken

19.09.2019   Lesezeit: 2 min

Ohne sozial-ökologische Wende keine Klimarettung. Von Thomas Gebauer

Die Welt steht in Flammen; die Dringlichkeit einer sozial-ökologischen Wende ist nicht mehr zu leugnen. Es ist gut, dass sich nun auch führende Politikerinnen und Politiker der großen Industrienationen besorgt zeigen. Dabei gebührt dem rechtspopulistischen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro das zweifelhafte Verdienst, vielen die Augen geöffnet zu haben. Unverblümt hatte er die Zerstörung der Regenwälder in Amazonien im Dienste einer mächtigen Agrarlobby gerechtfertigt.

Und das ist auch der Grund, warum die Vorschläge zum Schutz des Klimas, die nun in Berlin auf dem Tisch des Klimakabinetts liegen, nicht ausreichen. So wichtig Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes sind, wird sich die ökologische Verwüstung der Welt nicht aufhalten lassen, wenn nicht zugleich die gesellschaftlichen Umstände angegangen werden, die den CO2-Ausstoß immer wieder aufs Neue anfeuern. Notwendig sind grundlegende Eingriffe in die bestehende Wirtschaftsform. Wachstum und Profit, die bisherigen Triebfedern der globalen Ökonomie müssen ersetzt werden durch eine Kultur des Bewahrens und der Sorge. Der Sorge um Mensch und Umwelt versteht sich, nicht der um Kursgewinne und Steigerungsraten.

Letzteres aber dominiert noch immer die wirtschaftswissenschaftlichen Curricula. Noch immer sind Universitäten, die sich ein Postwachstum-Kolleg leisten, wie die in Jena, die Ausnahme. Die so dringend gebrauchten Alternativen werden zumeist in zivilgesellschaftlich organisierten Zukunftswerkstätten erdacht. Die Ideen, mit denen sie aufwarten, aber sind richtungsweisend. Fragen der Klimagerechtigkeit gehören dazu, ein ökologisches Grundeinkommen, der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, das Verbot von zerstörerischen Monokulturen, die menschenrechtliche Regulierung transnationaler Konzerne, die Lockerung des Arbeitszwangs und nicht zuletzt die Ausrichtung des Lebens an Mitmenschlichkeit und Kreativität, statt sein Glück in einem fetischisierten Warenkonsum zu suchen.

Veränderungen bleiben Stückwerk, wenn sie nicht umfassend gedacht werden. Mit dem Finger auf Bolsonaro zu zeigen, aber zugleich an Handelsverträgen festhalten zu wollen, die den profitablen Import von Futtermitteln und Steaks und so auch die weitere Abholzung des brasilianischen Regenwaldes begünstigen, zeugt von wenig Glaubwürdigkeit.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 19. September 2019.

Thomas Gebauer

Thomas Gebauer war von 1996 bis 2018 Geschäftsführer von medico international und bis Ende 2020 Sprecher der Stiftung medico. Als Zivildienstleistender ist er Ende der 1970er Jahre zu uns gekommen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Fragen der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik und die sozialen Bedingungen globaler Gesundheit. Der Psychologe erhielt 2014 die Goethe-Plakette, mit der die Stadt Frankfurt Persönlichkeiten des kulturellen Lebens würdigt.


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