Kommentar

Ein Herz für Merz

12.12.2024   Lesezeit: 3 min

Warum die Kritik an Merz‘ Geiz auf der BILD-Spendengala zu kurz greift und was hilft, wenn es Wohltätigkeit nicht ist.

Von Johannes Richter

Der minutiös von der FDP geplante „D-Day“ (die Zeitenwende lässt grüßen) führte zum endgültigen Scheitern der selbsternannten Fortschrittskoalition. Zu den Krisen, die die Welt erschüttern, kommt ein vorgezogener Wahlkampf über Weihnachten. Das ist nicht nur stressig, sondern fällt ausgerechnet in die Jahreszeit, in der Politik und Prominenz ihr Charity-Herz entdecken. „In einer Zeit von Krieg und Krisen ist Menschlichkeit die beste Medizin“.

Höhepunkt der inszenierten Herzlichkeit in diesem Jahr war die Spendengala „Ein Herz für Kinder“ im ZDF: Die Show zur 1978 von Springer gegründeten Initiative „BILD hilft e.V. – Ein Herz für Kinder“ ist nicht nur schwer zu ertragen, sondern zeigt beispielhaft, dass es der Welt eben nicht an Hilfe mangelt, sondern an einer Veränderung der Verhältnisse, die Hilfe nötig machen.

Hilfe als Spektakel

Wenn Politiker:innen auf dem roten Teppich ihre gütigen Herzen für Kinder öffnen und dabei Millionenbeträge (dieses Jahr 23.627.158 Euro) zusammenkommen, dann drängen sich Fragen auf. Zum Beispiel: Warum fehlt nach drei Jahren Fortschrittskoalition das Geld für eine Kindergrundsicherung? Warum werden in vielen Kommunen soziale Einrichtungen und Kinder- und Jugendhilfe zusammengestrichen? Warum wird gerade bei der humanitären Hilfe gekürzt?

Die Spendengala mit ihren „hochkarätigen Gästen“, mit ihrem Glamour und Glitzer ist ein Paradebeispiel für die Inszenierung und Entpolitisierung humanitärer und sozialer Missstände. Emotionale Geschichten über individuelle Schicksale steigern (nachweislich) die Spendenbereitschaft. Also gibt es viele davon. Abwechselnd zum „rührenden und gleichzeitig ungewohnten Anblick“ von Promis aus Politik, Sport und Unterhaltungsindustrie am Telefon, die „fleißig aufschreiben, wer wie viel Geld geben möchte“.

Unter ihnen ist auch Christian Lindner. Als Finanzminister hat er jahrelang Gelder für eine Kindergrundsicherung blockiert, jetzt führt er am Telefon Spendergespräche zugunsten hilfsbedürftiger Kinder. Er selbst spendet läppische 2000 Euro („Sie kennen ja meine berufliche Situation“). Noch dreister Friedrich Merz, der seine Spende an die Umfragewerte seiner Partei koppeln will. Wahlkampf halt. Am Ende gibt er 4000 Euro, über ein Drittel seines monatlichen Abgeordnetengehalts. Immerhin gibt es im Nachgang viel Häme für die niedrigen Spenden der Politiker (Merz‘ Vermögen wird auf 12 Millionen Euro geschätzt). Nur: Der eigentliche Skandal bleibt ungenannt. Niemand spricht über Politik.

Dabei ist es die Politik der geizigen Wohltäter:innen selbst, die Leid und Ungerechtigkeit erzeugt, das hier bekämpft wird. Doch bei der Inszenierung geht es um Almosen zur Linderung statt Politik zur Veränderung. Die spendende Gesellschaft soll richten, was der Staat nicht macht. Spoiler: Das klappt nicht. Der Bedarf an Hilfe steigt immer weiter, während die politisch Verantwortlichen sich aus der Affäre ziehen. Dabei hilft letztlich auch die breite Kritik am Geiz, die nicht Verantwortung thematisiert.

Solidarität statt Wohltätigkeit

Was also hilft, wenn es die Wohltätigkeit nicht ist? Ich denke: Solidarität. Nicht schillernde Großzügigkeit und luxuriöses Spektakel, sondern Solidarität – gemeint als Kritik auch der gesellschaftlichen Verhältnisse, die menschliches Leid und Schicksal hervorbringen. Solidarität, der es um Veränderung eben dieser Verhältnisse geht, die nicht die Not der Einzelnen instrumentalisiert, um Spenden zu generieren, sondern die nach strukturellen Lösungen verlangt: zum Beispiel eine Kindergrundsicherung, garantierte Sozialhilfe, faire Handelsbedingungen und wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise. Solidarität besteht darauf, dass Menschen ein Recht auf Hilfe haben, unabhängig von der großzügigen Geste Einzelner. Solidarität benennt Verantwortliche und nimmt sie in die Pflicht.

So kann auch das Spenden als Akt der Solidarität verstanden werden. Nicht um die Finanzierungslücken des neoliberalen Staats zu stopfen, nicht um Einzelfälle zu verändern, aber die Strukturen unangetastet zu lassen, sondern als Umverteilung: Spenden als Ressourcen für Veränderung, zur Unterstützung der Kämpfe von Betroffenen und Marginalisierten. So verstanden wird aus der Spende ein Werkzeug zur Veränderung der Verhältnisse, die Hilfe überhaupt notwendig machen.

Diesem Ziel dient die Spendengala „Ein Herz für Kinder“ nicht. Hier geht es nicht im Ansatz um eine nachhaltige Veränderung der Situation von Kindern, sondern 'BILD hilft' in erster Linie dem Image von Politiker:innen im Wahlkampf. Es sei denn, sie zeigen wenig Herz – wie Merz.

Johannes Richter

Johannes Richter ist bei medico für die Spendenkommunikation zuständig. Der Soziologe und Fundraising-Manager hat sich intensiv mit den Spendenstrategien der extremen Rechten und antifaschistischen Gegenkonzepten beschäftigt.


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