Am 1. Mai trat in El Salvador erstmals das Ende Februar gewählte Parlament zusammen. Doch was als protokollarische Sitzung gedacht war, entwickelte sich zu einer Zurschaustellung der enormen Macht von Präsident Nayib Bukele und seiner Partei "Nuevas Ideas".
Unter Umgehung des verfassungsmäßigen Verfahrens billigte das Parlament am Samstag die Absetzung der fünf Richter der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs und ersetzte sie durch Richter, die mit Bukele sympathisieren. Nur Minuten später entließ das Parlament auch Generalstaatsanwalt Raúl Melara und ersetzte ihn durch den ehemaligen Staatsanwalt für organisiertes Verbrechen Rodolfo Delgado. Beide Entscheidungen versuchen, zwei der letzten institutionellen Grenzen der Präsidenten-Macht zu beseitigen.
Bukele hatte im Jahr 2020 mehrere Beschlüsse der Verfassungskammer missachtet, die ein Dutzend Exekutivdekrete und Maßnahmen der Regierung in der Pandemie für verfassungswidrig erklärte, weil diese ihre Kompetenzen überschritten habe. Melara eröffnete im vergangenen November eine Korruptionsuntersuchung gegen den Finanz- und den Gesundheitsminister der Bukele-Regierung wegen des Umgangs mit Geldern und Einkäufen im Zusammenhang mit der Pandemie. Melara untersuchte auch die geheimen Verhandlungen zwischen der Regierung von Bukele und der Mara Salvatrucha-13, die im September 2020 vom investigativen Nachrichtenportal El faro aufgedeckt worden waren.
Am Samstag Abend um halb zehn wies die Nationale Zivilpolizei den Wachmann vor der Tür des Obersten Gerichtshofs an, keinen der entlassenen Richter in das Gebäude zu lassen, in dem normalerweise die Verfassungskammer tagt. Trotz der Tatsache, dass das Gericht die Entlassungen bereits für verfassungswidrig erklärt hatte, eskortierte die Polizei die fünf neuen Richter in das Gebäude des Obersten Gerichtshofs. Gegen 1 Uhr nachts übernahm die Polizei auch die Kontrolle über das Gebäude, in dem sich das Büro des Generalstaatsanwalts befindet. Von dort aus gab der neue Staatsanwalt, umgeben von den wichtigsten Polizeikommandanten, Erklärungen gegenüber regierungsfreundlichen Medien ab.
Seit Samstagabend, noch während alles im Gange war, verurteilen Jurist:innen, zivile Organisationen, Diplomat:innen und Mitglieder der internationalen Gemeinschaft die vier vom Parlament verabschiedeten Dekrete. Verschiedene nationale und internationale Stimmen qualifizieren das Geschehen in El Salvador als „auto-golpe“, Selbst-Putsch. Die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris, und der US-Außenminister Antony Blinken äußerten ihre Ablehnung. Auch die Europäische Union kritisierte die Vorgänge. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) tadelte die Ereignisse der Plenarsitzung, was den ersten großen Bruch in ihren Beziehungen zur Bukele-Regierung markiert. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) wies das Vorgehen zurück und forderte den salvadorianischen Staat auf, das Urteil zu respektieren, das die Ernennung neuer Richter durch die Bukele-Fraktion und verbündete Parteien für verfassungswidrig erklärte.
Am Sonntag kamen etwa 500 Menschen am Denkmal der Verfassung in San Salvador zusammen, um gegen die Entlassungen zu protestieren. Feministische und LGBTI-Bewegungen waren unter den größten Gruppen bei der Kundgebung. Das Ganze kommt nicht ganz überraschend: Als es noch nicht in seiner Hand war, ließ Bukele das Parlament militärisch besetzen und drohte mit seiner Auflösung, um ihm unangenehme Entscheidungen zu verhindern. Jetzt hat der autoritär agierende Präsident alle Zügel in der Hand – und eine Mehrheit im Land hinter sich. Keine guten Aussichten für kritische Medien, für Zivilgesellschaft und die Demokratie in El Salvador.
Der Beitrag basiert auf Artikeln von El faro.