Erinnerung an Bettina Gaus

Eine Kritikerin der Hilfe

02.11.2021   Lesezeit: 4 min

Die Journalistin Bettina Gaus ist gestorben.

Von Katja Maurer

Die Journalistin Bettina Gaus ist gestorben. Das ist eine persönlich verstörende Nachricht. Ich habe immer ihre Kolumnen in der taz gelesen, mich hin und wieder über sie (die Kolumnen) geärgert, weil sie mich doch meist zu einem zweiten Nachdenken zwangen. Ich musste ihr dann häufiger als mir lieb war, Recht geben. Da fühlte man sich manchmal in der eigenen Bequemlichkeit ertappt. Wo ist jetzt mein journalistisches Korrektiv, das mir meine schnelle Eingemeindung in scheinbar linke und postlinke Selbstverständlichkeiten gegen den Strich bürstet? Ich kannte Bettina Gaus aus der Ferne, aber doch durch gegenseitiges Wahrnehmen und durch direkte Zusammenarbeiten, die sich beruflich ergaben. Sie schrieb gelegentlich über Afrika, als ich beim „Freitag“ Auslandsredakteurin war.

Warum ich im medico-Blog an Bettina Gaus erinnern möchte, hat weniger mit meinen persönlichen Erfahrungen zu tun. Sie war eine politische Journalistin, die sich in der Linken verortete und zugleich auf ihrer Autonomie beharrte (Sehr schön beschrieben im Nachruf der taz) und die durch ihren scharfen, kritischen Geist, Breschen in eine Öffentlichkeit schlagen konnte, die sich gemeinhin an der Oberfläche und dem Offensichtlichen festklammert. Ein Phänomen, das durch das Internet nicht besser geworden ist. Im Gegensatz zu manch anderen Journalist:innen, die den Tabubruch zur Marke ihres publizistischen Auftritts machen, wirkte ihr stures Beharren auf streitbaren Positionen wie ein Denken ins Offene hinein, eine Übung in kritischem Denken wider den Dogmatismus. Damit stand sie der Macht grundsätzlich fern. Eine solche journalistische Grundhaltung, die viel weiter geht als die vermeintliche „Objektivität“, den der Journalismus so gern vor sich her trägt, nimmt eine demokratische Öffentlichkeit ernst, die nicht gegeben ist, sondern immer neu gebildet werden muss.

Das war eine Schnittstelle mit medico. Nach dem Tsunami Ende 2004, der mit der persönlichen Betroffenheit des deutschen Publikums die Frage der Ambivalenzen von Hilfe und ihrer öffentlichen Verhandlung oder Nichtverhandlung in ganz neuer Weise aufwarf, hatten wir ein großangelegtes Streitgespräch, an dem neben Bettina Gaus als Journalistin, Vertreter:innen von Hilfsorganisationen und von wissenschaftlicher Expertise teilnahmen.

Was sie damals in dem Gespräch sagte, gilt nach wie vor. Sie kritisierte die Hilfsorganisationen dafür, dass sie auf „der billigen Schiene des Mitleids“ fahren würden. Und dass sie so zweckgebundene Gelder für Arbeiten erhalten würden, die vielleicht woanders viel nötiger gebraucht würden. Das Zusammenspiel von einer auf überwältigende Bilder und das eigene Publikum zielenden und die Quote priorisierenden Medienlandschaft machte sie damit offensichtlich.

„Die Zweckbindung von Spenden erscheint mir als ein Problem: für Tsunami-Opfer, für Kinder, für Hungernde. Diese Zweckgebundenheit verhindert politisch intelligente Hilfe“, sagte sie in dem Gespräch und kritisierte die defensive Haltung der Hilfsorganisationen. Das führe dazu, „dass jeder glaubt, Hilfe sei etwas, dass jeder, der gute Absichten verfolgt, einfach so vor sich hintun kann. Dabei handelt es sich doch um ein sehr komplexes, richtig kompliziertes Handwerk, was die, die es tun, professionell tun müssen.“ Dass Hilfe zu einem ganz normalen „Geschäft“ geworden sei und die Schäden, die sie anrichte häufig größer seien als ihr Nutzen, sahen wir bei medico genauso. Trotzdem erinnere ich mich dunkel daran, dass uns die Entschlossenheit ihres Vortrags beunruhigte. Denn nun waren wir nicht selbst Herrin des Diskurses, sondern ein unabhängiges Gegenüber.

Über 15 Jahre später würden wir wahrscheinlich noch dramatischer über den Missbrauch der Hilfe reden als damals. Sie hatte das schon vorausgeahnt und kannte die Wirklichkeit auch aus der Erfahrung ihrer Korrespondententätigkeit in Kenia. „Gegen den Bau einer Schule in einem Flüchtlingslager kann niemand etwas einwenden“, kritisierte sie die simple Gleichung von Hilfe. „Nur: Wenn das Flüchtlingslager ein Transitlager ist, dann hat die Verbesserung der Lebensverhältnisse im Lager die entsetzliche Folge, dass die Leute dort bleiben, ohne eine dauerhafte Existenzperspektive zu haben.“ Das ist der unauflösliche Widerspruch im Alltag unserer Praxis, den es immer neu zu beschreiben, zu durchdenken und mit der Suche nach grundlegenden Änderungen verknüpft werden muss. Bettina Gaus war auf ihre Art Teil dieses Reflexionsprozesses, der heute im Fortschreiten der No-Go-Zonen einen unerträglichen Ausdruck findet. Sich selbst überlassene Regionen, die doch vor allen Dingen eins sind: Ergebnis einer globalen sozialen Ungleichheit, die sich als Schuld am globalen Süden immer weiter anhäuft. Das auch in seiner sozialen und ökonomischen Dimension zu sehen, war Bettina Gaus ein Anliegen. Sie fehlt.

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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