Syrien

In Zeiten der Cholera

28.10.2022   Lesezeit: 7 min

Der Ausbruch und die schnelle Verbreitung der Cholera in Nordsyrien und dem Libanon hat vor allem politische Ursachen.

Von Anita Starosta

Laut UN Angaben sind bereits über 20.000 Personen besonders im Norden Syriens infiziert – dort leben Millionen Binnenflüchtlinge in den Gebieten der autonomen Selbstverwaltung und in der von islamistischen Milizen kontrollierten Provinz Idlib. Deren ohnehin schon schwierige humanitäre Lage, spitzt sich damit weiter zu.

Dabei liegt der letzte Choleraausbruch in Syrien bereits 15 Jahre zurück, denn die Infektionskrankheit ist mit ausreichend sauberem Wasser und hygienischen Lebensstandards ohne weiteres vermeidbar. Ist das Trinkwasser jedoch verschmutzt verbreitet sich die Magen-Darm Infektion durch das Cholera Bakterium rasant und führt zu schweren Durchfällen und Erbrechen mit der Folge der Dehydrierung. Bekannt als eine Krankheit der Krisengebiete tritt sie nun dort auf, wo Flüchtlinge seit Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen. Schon während der Corona Pandemie haben die hygienischen Zustände in Flüchtlingslagern zu unkontrollierter Ausbreitung geführt.

Bisher hat die internationale Gemeinschaft keine Lösung für die knapp vier Millionen Binnenflüchtlinge in Nordsyrien gefunden. Die Angst vor einer Cholera Epidemie in großem Ausmaß ist deswegen ebenso real wie Ausdruck eines zentralen politischen Versagens.

Wasser als Kriegswaffe

In Nordostsyrien ist die Wasserversorgung bereits seit Jahren ein Problem. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen. Da ist der voranschreitende Klimawandel. So gibt es kontinuierlich weniger Niederschlag bei gleichzeitig zunehmenden Hitzewellen und Dürreperioden – die ganze Region droht auszutrocknen. Dabei galt der Nordosten einst als Kornkammer Syriens. Dazu kommt die Rolle der Türkei, die Wasser sprichwörtlich als Waffe gegen die autonome Selbstverwaltung in Nordostsyrien einsetzt. Das Wasser des Euphrat, der in der Türkei entspringt und durch Syrien bis nach Irak verläuft, wird durch Staudämme in der Türkei gezielt zurückgehalten. Durch den so entstehenden, extrem niedrigen Pegel, kann der Fluss sich nicht mehr selbst regulieren und hinterlässt das verbleibende Wasser stark verschmutzt.

Verträge aus 1987 regeln, dass eigentlich 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde von der Türkei nach Syrien fließen sollen. Die Provinzen Deir ez Zor, Raqqa und Aleppo sind auf die Wasserversorgung durch den Euphrat angewiesen, die sie nun nicht mehr erreichen. Millionen Menschen werden in ihrem Alltag eingeschränkt. Wasser fehlt, um Felder zu bewässern, Strom zu erzeugen oder schlicht für die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse wie Trinken und Körperhygiene. Zudem fehlen Wasseraufbereitungsanlagen oder Labore, um Wasserqualität zu prüfen – viele wurden im Krieg zerstört. In Ermangelung an Alternativen wird das kontaminierte Wasser aus dem Euphrat daher oft für die Bewässerung der Felder oder auch direkt zum Kochen oder Waschen verwendet und führt zum Ausbruch von Krankheiten.

Seit Herbst 2019 hält die Türkei zudem die grenznahe Stadt Serêkaniyê und die dortige Wasserpumpstation Alouk besetzt, die in der Region ca. eine Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Der Betrieb des Wasserwerks wurde immer wieder eingestellt, so dass Hunderttausende zeitweise ohne fließendes Wasser leben mussten und auf Wasserlieferungen von Hilfsorganisationen angewiesen waren. Weil die autonome Selbstverwaltung völkerrechtlich nicht anerkannt ist, fällt es im Rahmen internationaler Beziehungen schwer diese Verstöße rechtlich einzuklagen, obwohl die bewusste Drosselung durch die türkische Regierung gegen das Menschenrecht auf Zugang zu sauberen Wasser verstößt (UN Menschenrechtsabkommen, Resolution 64/292).

Konferenz 10 Jahre Rojava - Recht auf Wasser: Klimawandel & Wasser als Kriegsmittel

Diskussion mit Egid Ibrahim (online - Right Defense Initiative-RDI, Rojava), Nicholas Hildyard (The Corner House, UK), Kathrin Henneberger [MdB Die Grünen, Ausschuss "Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" & Ausschuss "Klimaschutz und Energie" ] Aufzeichnung auf der Konferenz 10 Jahre Rojava am 10.09.2022 im medico-Haus, Frankfurt

Von Corona zu Cholera: Nothilfe in Nordostsyrien

Die ersten Cholera Fälle traten Ende September im Krankenhaus in Hasakeh auf. Dort fließt der Fluss Khabur, der ebenfalls von der Türkei reguliert, mittlerweile nahezu ausgetrocknet ist. Um die Krankheitsfälle angemessen behandeln zu können, fehlen den Ärztinnen und Ärzten im städtischen Krankenhaus sowohl Mittel als auch Kapazitäten.

Die langjährige medico-Partnerorganisation Kurdischer Roter Halbmond hat schon frühzeitig mit Präventionsmaßnahmen begonnen. Die bereits mit Corona entstandenen provisorisch errichteten Krankenhäuser wurden von den Nothelfer:innen umfunktioniert. So wird immerhin versucht, die Symptome der Erkrankung zu behandeln. Doch dabei darf es nicht bleiben, denn eine Perspektive hat diese Nothilfe nur, wenn sich auch die Wassersituation verbessert.

Der Ausbruch der Krankheit ist wie bereits angedeutet weder Zufall noch eigenes Versagen, sondern das Ergebnis von politischer Isolation der internationalen Gemeinschaft, sowie des hybriden Krieges der Türkei gegen die Selbstverwaltung.

Idlib ein humanitärer Dauernotstand

In der von der islamistischen Miliz HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham) kontrollierten Provinz Idlib leben seit Jahren über zwei Millionen syrische Binnenflüchtlinge. Sie wurden vom Assadregime vertrieben und sind ohne jegliche Perspektive weiterziehen zu können. Die humanitäre Situation in diesen Lagern ist schlecht, jeden Winter werden Zelte von Starkregen weggeschwemmt, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal – was besonders in Zeiten der Corona Pandemie verheerende Auswirkungen hatte. Ohne die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen wären diese Menschen bereits jetzt sich selbst überlassen. Inzwischen ist Cholera auch dort angekommen – sollte es sich so schnell ausbreiten wie befürchtet, kann dies viele Todesfälle bedeuten, denn die provisorischen medizinischen Einrichtungen sind nicht darauf ausgelegt einer kommenden Epidemie zu trotzen.

Umso wichtiger ist es, die verbliebenden zivilgesellschaftlichen Strukturen in Idlib in ihrer Arbeit zu unterstützen. Seit Jahren begleitet medico gemeinsam mit Adopt a Revolution dort ein Frauenzentrum. Sie stärken Frauen in der Wahrnehmung ihrer Rechte und kümmern sich um die Versorgung und Begleitung von dort gestrandeten Geflüchtete. So loten sie auch jetzt, in Zeiten der Cholera Hilfsmaßnahmen aus.

Cholera Nothilfe in Idlib - Syrien

In Idlib sind örtlichen Angaben zufolge bisher über 3.000 Cholera-Fällen bestätigt. Der Ausbruch findet in den Flüchtlingslagern der Region statt, wo seit Jahren über zwei Millionen Menschen unter humanitär-katastrophalen Bedingungen leben. Mit Unterstützung von Adopt a Revolution und medico macht die langjährige Partnerorganisation „Women Support and Empowerment Center“ in Idlib-Stadt nun direkte Nothilfe und Präventionsarbeit in den Flüchtlingslagern.

Seit November werden 1.600 Familien in mehreren Flüchtlingslagern mit Hygiene-Kits versorgt, um die aktuell rasante Verbreitung von Cholera durch eine Verbesserung der Grundversorgung einzudämmen. Etwa 8.000 Personen werden mit Seife, Desinfektionsmitteln, Handtüchern, Zahnbürsten, Waschmitteln und weiteren Hygieneprodukten ausgestattet werden und sich so vor einer Cholera-Infektion zu schützen.

Gleichzeitig soll mit einer Awareness-Kampagne in den Lagern über sichere Wassernutzung und durch verunreinigtes Wasser versursachte Infektionen aufgeklärt werden. Trainer:innen organisieren Informationskurse zu Ursachen, Symptomen und der Prävention von Cholera.

Umstände, die krank machen

Wie schon bei der Bekämpfung der Corona Pandemie gilt – die Region benötigt dringend direkte humanitäre Unterstützung durch UN-Organisationen, diese ist allerdings zunehmend unsicher. Internationale Hilfe erreicht Idlib mittlerweile nur über den Grenzübergang Bab al-Hawa. Dieser Zugang wird inzwischen halbjährlich über den UN Sicherheitsrat geregelt. Russland versucht dort regelmäßig diese Hilfe zu blockieren, um Hilfe über Damaskus steuern zu lassen und so Assads Einfluss in der Region wieder zu stärken. Im Januar wird der Sicherheitsrat erneut über eine Verlängerung des Hilfsmandats abstimmen, eine Verzögerung der Entscheidung oder Nichtverlängerung wird besonders im Winter katastrophale Folgen haben.

Anfang 2020 wurde der Grenzübergang al Yaroubiah im Nordosten Syriens bereits auf diesem Wege verschlossen. UN-Hilfsgüter werden seitdem über Damaskus kanalisiert und kommen oft nicht oder sehr verspätet an. Hilfe als politisches Druckmittel einzusetzen ist im Syrien Konflikt ein Dauerthema.

Für die Flüchtlinge in Idlib gibt es bis heute keine Perspektive. Das EU-Türkei Abkommen regelt, dass die Verantwortung bei der türkischen Regierung liegt, die alles daran setzt die Flüchtlinge nicht ins Land zu lassen. Stattdessen siedelt sie Binnenflüchtlinge in den besetzten Gebieten wie beispielsweise Afrin an. Das völlige Versagen in der Flüchtlingspolitik sowie das Gewährenlassen des NATO-Partners Türkei bei der Verletzungen von fundamentalen Menschen- und Völkerrecht führt nun in Syrien zur nächsten Epidemie. Einer im Jahr 2022 absolut vermeidbare Krankheit.

Der Ausbruch der Cholera in Syrien ist weder Zufall noch Folge von Versagen, sondern Ergebnis von politischer Isolation der internationalen Gemeinschaft sowie des hybriden Krieges der Türkei gegen die Selbstverwaltung. Mit einer Spende kann die Nothilfe unserer Partnerorganisationen unterstützt werden.

Anita Starosta

Anita Starosta leitet die Öffentlichkeitsarbeit von medico international. Außerdem ist die Historikerin für die Kommunikation zur Türkei, zu Nordsyrien und dem Irak zuständig. 

Twitter: @StarostaAnita


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