Simbabwe

„Wir können nicht in Isolation arbeiten“

25.02.2021   Lesezeit: 11 min

LGBTIQ+ sind stark von der Pandemie betroffen. Wie wir es als Community-Organisation dennoch schaffen, unsere Leute weiter zu unterstützen. Von Michelle Ruhonde und Mayita Tamangani.

Gays and Lesbians of Zimbabwe (GALZ) bietet der LGBTIQ+ Community in Simbabwe vielfältige Anknüpfungspunkte, Interventionen und Perspektiven. Das „Headquarter“ von GALZ befindet sich in Harare. Zusammen mit den drei anderen Zentren im Land ist es „ein sicherer Hafen, in dem sich die Mitglieder frei entfalten können. Von hier aus werden alle Unternehmungen von GALZ gedacht und abgewickelt.“ Alle sind eingeladen Mitglied bei GALZ zu werden, unabhängig von sexueller oder geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung oder Nationalität. Man muss lediglich volljährig sein. GALZ organisiert Veranstaltungen, wie die berühmten Jacaranda Queen Drag Pageant. Die Organisation bietet juristische Unterstützung und medizinische wie psychosoziale Gesundheitsversorgung an. Alle Angebote orientieren sich an den unterschiedlichsten Bedürfnissen der LGBTQI+ Community.

Heute ist GALZ als Vertreterin der Community und ihrer Rechte anerkannt. Doch diese Anerkennung wurde unter schwierigsten Bedingungen erkämpft: Die Arbeit von GALZ findet unter Bedingungen der Post-Mugabe-Ära statt. Mugabe regierte von 1980 bis zum Militärputsch 2017. Unter seiner Diktatur wurde systematisch Homophobie geschürt und instrumentalisiert. Angriffe gegen die LGBTIQ+ Communities verstärkten sich. Auch Mitglieder von GALZ wurden Ziele von Einschüchterungen, Misshandlungen und willkürlichen Verhaftungen. Auch im heutigen Simbabwe behält das Militär maßgeblichen Einfluss auf den Staat, die erhoffte Demokratisierung stagniert.

Die Polizei nutzte die Corona-Maßnahmen gegen die Pandemie auch als Vorwand für Repressalien gegen politische Gegner:innen. Nachdem die Maßnahmen im Laufe des Herbsts entschärft wurden, trat Anfang Januar 2021 ein erneuter Lockdown in Kraft, dessen Beschränkungen aufrechterhalten werden: Eine Ausgangssperre von der Dämmerung bis zum Morgengrauen schränkt die Mobilität innerhalb der Städte ein. Mobilität zwischen Städten ist untersagt.

Lockdown & Gewalt

Während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie wurde sofort ein Lockdown verhängt und soziale Mobilisierungen ebenso wie die Mobilität von Personen durch die Präventionsmaßnahmen beschnitten. Personen aus der LGBTIQ+ Community, die aus Nachbarländern, wie Mosambik, nach Simbabwe zurückkamen, berichteten uns von problematischen Situationen: So ist, wer zurückkommt, gezwungen, sich in Quarantänestationen zu begeben. Hier herrschen oft sehr unhygienische Bedingungen und viele Menschen stecken sich dort überhaupt erst an. Besonders für Trans*Frauen sind die fehlende Privatsphäre unter den beengten Verhältnissen eine große Herausforderung.

Ein weiteres Problem in Bezug auf die Mobilitätseinschränkungen innerhalb des Landes betraf Trans*Männer, die sich im Transformationsprozess befinden: Ihr Foto im Personalausweis passt oft nicht mehr zu ihrem aktuellen Aussehen. Schwierig wurde das immer dann, wenn sie sich von A nach B bewegen wollten. Die Polizei hatte viele Kontrollpunkte eingerichtet, an denen jedes Mal der Pass gezeigt werden musste.

Außerdem führte der Lockdown sofort zu wirtschaftlicher Gewalt: Durch die Abriegelung verloren vor allem Menschen mit kleinen Einkommen ihre Arbeitsplätze. Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, wurden daran gehindert, ihr Einkommen zu erzielen. Auch viele unserer Mitglieder wurden arbeitslos und immer öfter wurde uns von Hunger berichtet. Wir selbst mussten alle vier Zentren schließen.

#PhysicalDistancing #SocialCloseness

Der erste Lockdown kam sehr überraschend. Dadurch war es sehr schwierig, den abrupt abgebrochenen Kontakt zu unseren Mitgliedern wieder aufzubauen und aufrechtzuhalten. Wir konnten weder Schutzausrüstung zur Prävention von Covid-Infektionen noch Kondome verteilen. Auch mussten wir zusehen, wie psychische Belastungen zunahmen.

Deshalb war schnell klar, dass wir die Community wieder zusammenbringen mussten. Weil wir von zu Hause aus arbeiteten, gestaltete sich das recht schwierig. Als Team kamen wir dann an einen Punkt, an dem wir sagten: „Okay, da wir uns jetzt nicht mehr physisch treffen können, müssen wir nach anderen Wegen der Verbindung suchen.“ Wir haben dann kreative Social-Media-Gruppen aufgebaut und Datenvolumen für Mitglieder gekauft, die sich das selbst nicht leisten konnten. Die Schaffung von digitalen Bezugsgruppen war eine Intervention, um die Community überhaupt wieder zu erreichen und gleichzeitig im Inneren zu stabilisieren. Das war hilfreich, um zu wissen, wie es ihnen geht: Haben sie Essen? Haben sie überhaupt ein Einkommen? Auch emotional war es wichtig, wieder miteinander in Kontakt zu kommen.

Am Anfang haben wir auch rund um die Uhr eine telefonische Beratung angeboten. Aber nicht alle Mitglieder haben ein Mobiltelefon. Vor allem diejenigen, die in abgelegenen, schwer erreichbaren Gebieten leben, haben oft keine mobilen Endgeräte. Das machte es in den ersten zwei, drei Monaten des Lockdowns noch schwieriger, sie zu erreichen – bis wir endlich selbst wieder mobil werden konnten.

Als der Lockdown ein wenig gelockert wurde, haben wir unsere drei Fahrzeuge umgewidmet und dazu eingesetzt, die Menschen zu erreichen. Sie wurden zu unseren „Covid-Response-Fahrzeugen“. So konnten die GALZ-Berater:innen auch in schwer zugängliche ländliche Gebiete gelangen. Mit Schutzausrüstung gingen sie von Tür zu Tür und erreichte die Menschen wieder direkt. Dadurch fühlten sie sich wohler. Diese Intervention ermöglichte es uns, unsere Hilfsangebote deutlich zu verbessern, denn diese wurden dringend gebraucht: Für die meisten unserer Mitglieder, die eine laufende medizinische Behandlung benötigen, war es schlichtweg nicht möglich, Medikamente zu bekommen. Entweder wurde allein die Anreise ein Problem oder wurden sie nicht mehr in die Kliniken gelassen. Mit dem Covid-Einsatzteam konnten wir unsere Mitglieder in die nächstgelegenen Kliniken zu bringen. Dennoch ist es immer schwierig, eine medizinische Behandlung für queere Personen zu erhalten – entweder aufgrund von Vorurteilen des medizinischen Personals oder aufgrund der spezifischen medizinischen Bedürfnisse, die in der Basisversorgung nicht vorgesehen sind. Mit der anhaltenden Pandemie wurde es noch schlimmer. Letztendlich mussten wir selbst in unserem Headquarter eine Klinik einrichten.

Die Pandemie zwingt uns, neue Strategien zu erfinden

Der zweite Lockdown erfolgte von April bis Mai. Eigentlich handelte es sich dabei eher um eine Verschärfung und Ausweitung der bereits bestehenden Maßnahmen. Aber wir waren auf diesen zweiten Lockdown viel besser vorbereitet: Von Anfang an haben wir dafür gesorgt, dass wir unsere Mitglieder erreichen und dass sie in die GALZ-Zentren kommen konnten. Wir arbeiteten auch mit den Public-Response-Teams des Wilkins-Krankenhauses zusammen, das eines der nationalen Hauptbehandlungszentren von Covid-19 ist. Die Polizei war deutlich weniger streng bezüglich Reisebriefen und Ausweiskontrollen, wenn unsere eigenen Teams mit den Public-Response-Teams des Krankenhauses zusammen unterwegs waren. Als dann aber das Militär zunehmend die Kontrolle übernahm, wurde es dann beim zweiten Lockdown noch schwieriger: Denen war es egal, ob man in einem offiziellen Covid-Einsatzwagen saß oder nicht. Sie halten dich trotzdem an.

Wo waren wir gezwungen, ganz neue Strategien zu erfinden: Die Restriktionen machten es uns unmöglich, den sicheren sozialen Raum aufrecht zu erhalten, den wir über Jahre hinweg für unsere Mitglieder geschaffen hatten. Wir mussten immer wieder neu nachdenken, eine Kombination aus Online- und Offline-Unterstützung nutzen, Mittel und Wege finden, um einen Umgang mit den Familien und Gemeinden unserer Mitglieder zu haben. Das war eine schwierige Zeit.

Wachsende Belastungen der psychischen Gesundheit

„Lockdown“ bedeutet nicht nur eine Runterregelung des öffentlichen Lebens. Es bedeutet auch „lock in“, also eingesperrt zu sein. Wir mussten uns immer wieder mit homophober häuslicher Gewalt auseinandersetzen. Viele unserer Mitglieder waren in ihren homophoben Familien, in homophoben Gemeinschaften eingesperrt. Wenn ihr eine homophobe Familie habt und während des Lockdowns mit ihr zusammen festsitzt, ihr auch noch euren Job verloren habt und plötzlich kein Einkommen mehr generiert, dann richten sie all ihre Wut gegen euch.

Deshalb mussten wir unseren Mitgliedern unbedingt helfen – auch psychologisch. All unsere Berater:innen waren rund um die Uhr in Rufbereitschaft. Wenn jemand in akuter Not war, standen die Fahrer:innen und Berater:innen bereit, um zum Zuhause dieser Person zu fahren.  Unsere Mitglieder wurden nicht nur eingesperrt. Sie wurden teils auch aus ihren Wohnungen geworfen. In beiden Fällen haben wir versucht, mit den Eltern zu sprechen und ihnen Verständnis für ihre Kinder zu vermitteln.

Was wir in so einem Fall tun, ist, dass wir vor allem nach nahen Verwandten suchen, die entweder ein Verständnis für die sexuelle Orientierung unseres Mitglieds haben oder einfach empathisch sind. Wir gehen auf dieses Familienmitglied zu und fragen, ob es mit der Mutter oder dem Vater sprechen und helfen könnte, die Familie zu versöhnen.

Unsere psychosoziale Arbeit: Ein systemischer Ansatz

Wir verknüpfen unsere psychosoziale Unterstützung und Beratung explizit mit den Themen Arbeit und Einkommen: Es ist weit weniger wahrscheinlich, zuhause rausgeworfen zu werden, wenn man ein eigenes Einkommen erhält. Und selbst wenn es passiert, kann eine Person wirtschaftlich und sozial unabhängig bleiben. Egal, ob man queer oder heterosexuell ist: Familiäre Unterstützung ist für das Überleben der jungen Menschen in Simbabwe extrem wichtig. Auch vor der Pandemie hatten unsere Mitglieder immer wieder Probleme, weil sie –wegen ihrer sexuellen Orientierung – nicht mehr nach Hause kommen durften. In vielen Fällen werden Familienmitglieder, die sich als lesbisch, schwul oder bisexuell outen oder geoutet werden, von zu Hause vertrieben.

Das alles passiert, weil der Coming-out-Prozess nicht nur ein Coming out für uns ist. Es ist auch in Coming out für unsere Eltern. Deshalb haben wir viel Sensibilisierungsarbeit geleistet, zum Beispiel „Eltern, Freund:innen und Verbündete von GALZ Workshops“, in denen wir sie ermutigen, ihre Erfahrungen zu teilen und zu berichten wie sie sich fühlen und wie ein Coming out für sie war.

Zum Beispiel begleitet auch Michelles eigene Mutter unsere Berater:innen in die Familien. Sie erzählt dann ihre eigene Geschichte: „Dein Kind ist queer, mein Kind auch. Es ist wichtig zu verstehen, dass es auch für dich und mich ein Coming-out-Prozess ist.“ Denn unsere Eltern haben häufig traditionelle Rollenbilder und einen religiösen Hintergrund. Oft werden Familien mit queeren Kindern innerhalb ihrer Gemeinschaften stigmatisiert. Wir sprechen dann die geistlichen Führer der Gemeinden an, um ihre Leute zu sensibilisieren. Unsere Arbeit baut darauf auf, dass wir Beziehungen aufbauen. Ohne Allianzen wäre unsere Arbeit unmöglich.

Warum das Sprechen über Feminismus nicht automatisch Allianzen schafft

 Feminismus muss aus unserer Perspektive bedeuten, all jene sozio-kulturellen Normen abzuschaffen, die auch die LGBTIQ+ Community unterdrücken. Nicht nur jene, von denen ausschließlich cis-Frauen betroffen sind. Wenn man von Feminismus spricht, dann sollte gemeint sein, die patriarchale Gesellschaft zu beenden. Wir selbst haben uns entschieden, mit allen Geschlechtern zusammenzuarbeiten und sowohl Männer als auch Frauen anzusprechen und aufzuklären. Es ist also nicht nur an Frauen, feministisch zu sein.

Unsere Einschätzung von Feminismus ist natürlich auch von den durchaus unangenehmen Erfahrungen unserer Mitglieder beeinflusst. Nämlich, dass der Feminismus nur und ausschließlich von cis-Frauen reklamiert wird. Von manchen Gruppen wird gefordert, dass Feminismus ein Kampf sein soll, der ausschließlich von Frauen geführt wird. Anstatt sich gegen das patriarchale System in seiner Gänze zu richten, richten sie sich manchmal gegen Männer als „Ganzes“. Und für uns als GALZ ist es wichtig zu sagen: „Nein. Feminismus muss von Geschlechtergerechtigkeit handeln.“ Wir müssen diese Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern fördern. Und wie machen wir das? Anstatt unsere Arbeit als „queer-feministisch“ zu bezeichnen, konzentrieren wir uns auf den Kampf gegen patriarchale Unterdrückung. Wir kämpfen für die Rechte von LGBTIQ+ und für die Gleichberechtigung aller Geschlechter.

Sensibilisierung von Polizei und Politik

Für uns war es immer entscheidend, nicht allein zu arbeiten. Wir haben beschlossen, dass wir uns mit den Menschen verbinden, die wir kennen, die mit GALZ zusammenarbeiten oder uns von selbst in unseren Zentren aufsuchen. Wenn sie Freund:innen innerhalb der Polizei haben, dann sprechen wir mit diesen Freund:innen: Sie können zu den Führungskräften gehen und diese bitten, mit GALZ in Kontakt zu treten und wiederum für LGBTIQ+ Themen sensibilisieren.

Wir haben das zuerst mit einer Polizeistation probiert, die in der Nähe unseres Büros liegt: Wir haben die Polizist:innen in unsere Räume eingeladen und mit ihnen gesprochen und sie sprechen lassen. Wir zeigen ihnen damit einerseits, dass wir ansprechbar für sie sind. Auf der anderen Seite versuchen wir auch zu verstehen, woher die Polizist:innen eigentlich kommen: Warum haben sie das Gefühl, dass queere Sexualität und Geschlechtsidentitäten ein Tabu sein sollen? Was bringt sie dazu, LGBTIQ+ Realitäten nicht zu verstehen oder abzulehnen?

Bei politischen Entscheidungsträger:innen ist es manchmal schwieriger. Erstens haben einige von ihnen tatsächlich eine tiefsitzende homophobe Einstellung und verweigern es, überhaupt über LGBTIQ+ Rechte zu sprechen. Trotzdem versuchen wir, sogar mit ihnen zu reden und sie zu verstehen: „Woher kommt ihre Homophobie?“ Das hilft, damit auch diese Politiker:innen verstehen, dass wir letztendlich doch alle Menschen sind. Zweitens sind manche dieser Politiker:innen schon seit langer Zeit Teil der Regierung. So kommen neben ihren individuellen kulturellen und religiösen Überzeugungen auch tradierte politische Positionen ins Spiel: Sie sind darauf bedacht, nichts „Falsches“ zu sagen. Denn damit könnten sie in der Öffentlichkeit zitiert werden und Zuspruch verlieren. Es ist zäh: Selbst wenn man einmal ein gutes Gespräch hat, dann sagen sie an einem anderes Zeitpunkt, „wir wollen nicht, dass irgendetwas davon in den Zeitungen landet“.

In manchen Fällen war und bleibt es also schwierig. Aber wie dem auch sei: Es geht immer darum, Beziehungen aufzubauen. Wir können nicht in Isolation arbeiten. Wir von GALZ müssen uns auf viele Verbündete verlassen.

medico unterstützt die Arbeit von GALZ mit der LGBTI+ Community in Simbabwe seit Jahren.

Spendenstichwort: Simbabwe


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