Kommentar

„Wir schaffen das!“

31.08.2020   Lesezeit: 2 min

5 Jahre sind nach Merkels Ausspruch vergangen. Was ist davon geblieben?

Von Ramona Lenz

Keleti, Idomeni, Spielfeld. An Bahnhöfen und Grenzübergängen entlang der so genannten Balkanroute sammelten sich tausende Menschen auf der Suche nach Schutz und Teilhabe. So viele wie nie zuvor. Gemeinsam liefen sie viele Kilometer weit, trugen dabei Kinder auf den Armen und schoben Rollstühle vor sich her. Sie kamen, weil der Krieg in Syrien an Brutalität zugenommen hatte und die Aussicht auf sein baldiges Ende schwand. Und weil sie zu recht Angst hatten, dass bald auch die Grenzen zur Türkei und weiter nach Europa geschlossen würden, nachdem andere Nachbarländer Syriens bereits dicht gemacht hatten. Für die einen war es der längste Sommer der Migration, für die anderen die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Und dann kam Angela Merkel und sagte: „Wir schaffen das!“ Herzerwärmend. Und irgendwie mag ich sie dafür noch immer. Nur bitter, dass der Satz so wenig mit ihrer Politik zu tun hat.

Nachdem die Festung Europa durch die kollektive Kraft tausender Flüchtlinge und Migrant_innen für einen kurzen Moment ins Wanken geraten war, hat sie – nicht zuletzt dank der deutschen Bundeskanzlerin – schon bald wieder zu ihrer alten Härte zurückgefunden. Das Recht auf Asyl wurde weiter ausgehöhlt, die populistischen Forderung nach mehr Abschiebungen wurde bedient, mehr Elendslager an Europas Grenzen wurden errichtet, die zivile Seenotrettung wurde kriminalisiert, und es wurden neue schmutzige Deals mit Autokraten eingefädelt, die uns in Europa das Elend der Welt vom Hals halten sollen. Für die Menschen auf der Suche nach einem Leben in Frieden und Sicherheit bedeutet das: mehr Gefahr, Leid und Tod.

Doch all das hat nicht gereicht. Rassistische Gewalt, rechtsextreme Parteien und Regierungen haben in Europa Aufwind bekommen, und Angela Merkel muss sich – so bizarr es ist – von Rechtsaußen noch immer als „Flüchtlingskanzlerin“ beschimpfen und hassen lassen. Hätte sie dem Hass doch wenigstens einen Grund gegeben und auf ihr wunderbares „Wir schaffen das!“ eine echte Willkommenspolitik folgen lassen. Ich würde sie lieben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 29. August 2020.

Ramona Lenz (Foto: medico)

Ramona Lenz ist Sprecherin der Stiftung medico. Über viele Jahre war die Kulturanthropologin in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Flucht und Migration.

Twitter: @LenzRamona


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