Die Regierung Bangladeshs erhob den 27. November zum nationalen Trauertag, die National Garment Workers Federation (NGWF) rief zu einer Demonstration mit roten und schwarzen Fahnen. Es kamen knapp mehr als 1000 Arbeiterinnen und Arbeiter, auf der Schlusskundgebung sprachen der Gewerkschaftsvorsitzende Amirul Haque Amin und der populäre linke Parlamentsabgeordnete Rashed Khan Menon. Die beim gegebenen Anlass überraschend niedrige Beteiligung führt mitten in das Dilemma, aus dem die Fabrikeigner vor Ort, ihre deutschen, europäischen und amerikanischen Auftraggeber und ungezählte Konsumenten auch hier Kapital schlagen. Denn trotz seiner Teilhabe am ökonomischen Aufstieg Asiens gehört Bangladesh noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt, findet sich im Human Development Index im hinteren Drittel. Da liegt es gerade für die Armen im Land auf der Hand, sich erst einmal nur um sich und die eigene Familie zu kümmern, von einem Tag zum andern.
Wer unter solcher Bedingung das Wagnis auf sich nimmt, das ländliche Elend zu verlassen, muss sich im Überlebenskampf der Megacity Dhaka behaupten können; deren Einwohnerinnenzahl lag in den 1950er Jahren noch bei 500.000, heute leben dort geschätzt über 10 Millionen Menschen. Ein Arbeitsplatz in einer Weltmarktfabrik der Textilindustrie ist da ein Hauptgewinn: deutlich besser, als zu den Tagelöhnern („Kulis“) etwa des Baugewerbes zu gehören. Dessen Beschäftigte schlafen nach der täglichen Plackerei gleich auf der Baustelle, weil der Weg zurück in die Slums am Stadtrand zu lange und zu mühselig wäre: wenn sie dort denn überhaupt eine Hütte ergattert haben. Unter solchen Umständen überlegen viele mehrmals, ob sie zu einer Demonstration gehen; wer der Gewerkschaft beitritt, riskiert alles, was er bis dahin erreicht hat. Dass deren „Tarifpartner“ vor offener Brutalität nicht zurückschrecken, bewiesen die Manager von Tazreen Fashions, als sie den Arbeitern noch während des Brands die Flucht untersagten: es handele sich nur um eine überflüssige Brandschutzübung.
Seit die Brände in Dhaka und im pakistanischen Karatschi drastisch verdeutlicht haben, wie lebensgefährlich die Arbeit auf Rechnung von C&A und KiK ist, jagt ein Appell ans soziale Gewissen der Multis den nächsten. Richtigerweise geht es dabei zunächst um Entschädigung und Aufklärung, im nächsten Schritt um Brandschutzmaßnahmen. Die von medico, dem ECCHR und der Kampagne für Saubere Kleidung veröffentlichte Erklärung nennt dazu ein in Deutschland prominent bisher nur von Tchibo unterzeichnetes Brandschutzabkommen, das Gewerkschaften und andere internationale Arbeitsrechtsorganisationen Anfang 2012 in Bangladesch erarbeitet haben.
Wichtiger aber als alle Appelle an Weltmarktkonzerne und Regierungen ist das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung: mit ihm wird den Betroffenen selbst die Möglichkeit eingeräumt, zum Akteur in eigener Sache zu werden. Dabei geht es nicht nur um Produktionsanlagen, die aus Sicherheitsgründen eigentlich zu schließen wären. Es geht um Dinge wie den systematischen Vorenthalt von Arbeitsverträgen, der den Leuten auch den Zugang zur Gesundheits- und Altersversorgung raubt, um erpresste unbezahlte Mehrarbeit von täglich sechs, manchmal sogar acht Stunden. Es geht auch um eine Entlohnung unter dem Armutsniveau von unter zwei Dollar täglich, die sogar dem Arbeitsrecht in Pakistan und Bangladesh widerspricht.
Ändern wird sich das nur, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst die Möglichkeit gewinnen, sich Ausbeutung und Unrecht zu widersetzen: das nächste Mittel dazu ist die gewerkschaftliche Selbstorganisation. Sie steht deshalb ganz oben auf der Liste der Forderungen, die Amirul Haque Amin auf der Demonstration seiner Gewerkschaft in Dhaka vortrug. Ihr folgte die Forderung nach umfassender medizinischer Versorgung der Überlebenden und Hinterbliebenen, verbunden mit der Forderung nach voller Aufklärung und Entschädigung auch der ab jetzt verlorenen Einkünfte derer, die das Inferno überlebten. Den konsequenten Abschluss bildet dann die Forderung nach voller Anwendung und Erweiterung des geltendenden nationalen und internationalen Arbeitsrechts.
medico kennt Amirul Haque Amin und Rasched Khan Menon als Gesprächspartner, die wir aufsuchen, wenn wir in Dhaka sind; mit seinem pakistanischen Kollegen Nasir Mansoor von der National Trade Union Federation (NTUF) unterhalten wir schon seit 2011 eine Projektpartnerschaft. Aus Karatschi haben wir übrigens gerade erfahren, dass Nasir Mansoor gleich nach Bekanntwerden des Brandes in Dhaka nach Bangladesh geflogen ist, um sich mit seinen Kollegen vor Ort direkt zu beraten. Aus gegebenem Anlass: Der deutsche Textildiscounter KiK war Hauptauftraggeber von Ali Enterprises, der Brand in Karatschi kostete vielleicht sogar über 300 Menschen das Leben. Doch hat nach gegenwärtigem Kenntnisstand KiK noch 2012 auch bei Tazreen Fashions in Dhaka produzieren lassen: Nasir Mansoor und Amirul Haque Amin werden also einiges miteinander zu bereden haben. Den Einsatz beider hat der Gewerkschafter aus Bangladesh auf der Demonstration in Dhaka unmisserverständlich benannt: dafür zu kämpfen, dass „keine einzige Arbeiterin mehr einem Fabrikbrand zum Opfer fällt.“ medico bleibt an ihrer Seite.