medico international und Gonoshasthaya Kendra starten ein gemeinsames Pilotprojekt zur Gesundheitsabsicherung von Menschen im informellen Sektor. Von Katja Rohrer.
Für Habari Barg beginnt der Arbeitstag, wenn er sich morgens gegen Gebühr eine Fahrradrikscha bei einem der Besitzer ausleiht und mit ihr ins Zentrum fährt. Habari Barg arbeitet als Rikschafahrer in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Mit seiner Familie lebt er in einem Elendsviertel außerhalb Dhakas und pendelt täglich in die Innenstadt, eine Fahrt, die mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Aufgewachsen ist er in einem Dorf im Süden von Bangladesch. Er hat weder eine Ausbildung noch kann er lesen und schreiben. Nach Dhaka kam er, weil er Geld verdienen und seiner Familie ein besseres Leben bieten wollte. Nun versucht er jeden Tag, für seine buntbemalte Rikscha so viele Kunden wie möglich zu gewinnen. Dabei verdient er am Tag 50 Cent bis 2 Euro – wenn es gut läuft. Von seinem Einkommen versorgt er seine Mutter, seine beiden Kinder und seine Ehefrau – pro Person 30 Cent täglich.
Laut Weltbank gelten Menschen als extrem arm, die von weniger als 1,25 US-Dollar täglich leben müssen. Arztbesuche oder Schulbücher für seine Kinder kann sich Habari Barg nicht leisten: Er lebt buchstäblich von der Hand in den Mund. So wie Habari Barg kommen viele der Rikschafahrer aus der extremen Armut und der Arbeits- und Perspektivlosigkeit der ländlichen Gebiete nach Dhaka, in der Hoffnung, sich und ihre Familien in der Stadt ernähren zu können.
Der formelle Arbeitssektor ist Menschen ohne Ausbildung und Vorkenntnisse verschlossen. Kunden mit dem Fahrrad zu transportieren, ist zwar körperlich extrem belastend, aber dafür ohne Vorbildung und Kapital ausführbar. Rikschafahren schafft somit einen Zugang zum städtischen Arbeitsmarkt – bei geringem Verdienst, in unsicheren Arbeitsverhältnissen und mit einer im Zusammenhang von Armut und Mangelernährung hochgradig gesundheitsschädigenden Körperbelastung. Die Familien leben meist außerhalb der Innenstadt in Slums, und haben nur einen beschränkten oder gar keinen Zugang zu Bildungseinrichtungen, sauberem Trinkwasser und gesunden Lebensmitteln. Besonders deutlich zeigt sich die prekäre Lebenssituation der Rikschafahrer und ihrer Familien in der Gesundheitsversorgung.
Das staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch krankt an ineffektiven Strukturen, einem Mangel an Personal und medizinischer Ausstattung. Weiter ausgehöhlt wird es durch die stete Abwanderung der Fachkräfte in den wachsenden privaten Gesundheitssektor. Deshalb ist die Bevölkerung im Bedarfsfall auf den privaten Sektor angewiesen. Habari Barg kann sich aber selbst im schlimmsten Fall keinen Arztbesuch leisten. Aufgrund der körperlichen Anstrengung seiner Arbeit und der schlechten gesundheitlichen Versorgung hat er stattdessen pro Monat mit ca. 3 bis 6 Fehltagen zu kämpfen – was einen erheblichen finanziellen Verlust bedeutet. Impfungen oder eine medizinische Betreuung der Kinder und seiner Frau sind für ihn erst recht unbezahlbar. Medizinische Leistungen für akute Krankheiten würden den Fahrer ca. 2 bis 3 Euro kosten, für Operationen müssten umgerechnet 50 bis 60 Euro bezahlt werden. Ein Ausweg aus diesem Dilemma scheint nicht möglich: Rikschafahrer können sich medizinische Behandlungen schlicht nicht leisten, Arbeitsausfälle und andere Belastungen aber führen zu schwerwiegenden Konsequenzen für die Lebenssituation der gesamten Familie.
Gesundheitsvorsorge im Großstadtdschungel
Das Dilemma von Habari Barg und seiner Familie ist kein Einzelfall – in Dhaka leben rund 500.000 Familien vom Rikschafahren. Zusammen mit der bangladeschischen Partnerorganisation Gonoshasthaya Kendra hat medico international deshalb ein Projekt ins Leben gerufen, das genau an dieser Stelle ansetzt und den Rikschafahrern einen Zugang zu Gesundheit ermöglicht. Für umgerechnet 1 Euro versichert Gonoshasthaya Kendra den Fahrer sowie fünf weitere Familienmitglieder für ein Jahr. Zu den Leistungen gehören ärztliche Beratungsgespräche und medizinische Behandlungen ebenso wie Schwangerenfürsorge und Präventivmaßnahmen wie Impfungen. Für chirurgische Eingriffe und labortechnische Untersuchungen müssen die Fahrer umgerechnet einen weiteren Euro zuzahlen.
Sozialmedizinische Teams suchen die Familien zu Hause auf und versuchen, sie für gesundheitliche Risiken und Probleme zu sensibilisieren und sie so in die Gesundheitsfürsorge einzubinden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit.
Für die Rikschafahrer-Kooperative ist Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern eine Frage umfassenden körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens. Zugleich ist es der Versuch, das in ländlichen Gebieten erfolgreich erprobte Konzept der Primary Health Care auch auf städtische Gebiete zu übertragen. Deshalb wird dem Projekt in der Arbeit von medico wie von Gonoshasthaya Kendra eine Vorreiterrolle zukommen: geht es doch darum, mit einer integrativen und partizipativen Gesundheitsfürsorge eine Antwort auf das dramatische Problem der städtischen Armut zu finden. Den Rikschafahrern wird endlich ein direkter Zugang zu Gesundheit ermöglicht – eine wesentliche Verbesserung ihrer Lebenssituation. Ökonomische Einbußen aufgrund von Arbeitsausfällen verringern sich, finanzielle Ressourcen, die zuvor für Arztbesuche langfristig hätten angespart werden müssen, können nun in andere Lebensbereiche wie Bildung und bessere Nahrung investiert werden.
Der etwas andere Solidarbeitrag
Auch wenn Rikschafahren eine schwere und mühselige Arbeit bleibt, wird das Los der Fahrer und ihrer Familien entscheidend verbessert, weil das Projekt ihnen eine Möglichkeit bietet, im informellen Sektor dennoch in ein formelles Vorsorgesystem eingebunden zu werden. Eine Herausforderung, an der viele Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit bisher scheiterten. Dabei kann nicht nur die Situation der Fahrer selbst, sondern auch die ihrer Kinder verbessert werden, wenn Arbeitsausfälle nicht mehr durch Kinderarbeit kompensiert werden müssen.
Doch obwohl der Eigenbeitrag von einem Euro für den Rikschafahrer viel Geld ist, werden die Gesundheitskosten dadurch nicht gedeckt. Denn die tatsächlichen Kosten liegen bei 5 Euro pro Person. Deshalb muss die Gesundheitsfürsorge für eine fünfköpfige Familie jährlich mit umgerechnet 25 Euro finanziert werden. Insgesamt liegen die Kosten für das erste Jahr des Projektes, in dem 2.500 Familien angeworben werden sollen, bei 50.000 Euro.
Weil das Projekt Katalysator sozialer Veränderungen sein kann, wird medico aus Spendenmitteln die Deckungskosten für diese Vorstufe einer Versicherung aufbringen. Es liegt darin auch die Chance zu zeigen, dass ein verbindlicher globaler Solidarausgleich für einen gerechten Zugang zu Gesundheit sehr wohl als sinnvoll akzeptiert wird. Ihre Spende ist dafür ein Beleg.
Projektstichwort
In Dhaka leben aktuell ca. 14 Millionen Menschen. Die Stadt ist weltweit die elftgrößte urbane Region. Fünfzehn der zwanzig größten Megacitys liegen laut einer UN-Studie in Entwicklungsländern, und ein Drittel der Stadtbewohner lebt in slumartigen Verhältnissen. Weil sich in diesen Ballungszentren entscheiden wird, wie wir leben, arbeitet medico mit lokalen Partnern, die begonnen haben, die im ländlichen Bereich erprobten Basisgesundheitskonzepte in den Slums der Megastädte anzuwenden. Die Gesundheitskooperative der Rikschafahrer von Dhaka ist ein Pilotprojekt unseres Partners Gonoshasthaya Kendra (GK). medico wird sich mit Ihrer Hilfe an dieser Gesundheitskooperative für städtische Arme beteiligen. Das Spendenstichwort lautet: Bangladesch.