Der Privatisierungsdruck auf Länder wie Bangladesh wird abnehmen, vielleicht kann es dann endlich gelingen, den öffentlichen Sektor so zu reformieren, dass er funktioniert. Ein Interview mit Zafrullah Chowdhury von der Gesundheitsorganisation Gonoshastaya Kendra (GK)
Kann man schon die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise für Bangladesh absehen?
Zafrullah Chowdhury: Die Ökonomie und der bescheidene Wohlstand, der entstanden ist, basieren unter anderem auf den Rücküberweisungen von Millionen Arbeitsmigranten. Zu befürchten ist, dass sich deren Situation erheblich verschlechtern wird. Ein weiterer wesentlicher ökonomischer Faktor sind die großen Textilunternehmen, die preiswerte Kleider für den europäischen und amerikanischen Markt herstellen. Es gibt Versuche der Auftraggeber, die Preise noch weiter zu drücken. Auch die Entwicklungshilfe wird zurückgehen. Sie macht immerhin noch etwa 30 Prozent unseres Gesamtbudgets aus. Abgesehen davon, dass ein Teil dieser Hilfe in Form von Gehältern oder konditionierten Aufträgen an die reichen Länder zurückfließt, würde das erhebliche Folgen für unsere Bildungsprogramme, unsere Frauenförderung und Stützungsprojekte für kleine und mittlere Betriebe haben. Bei allen Befürchtungen sehe ich aber durchaus auch Positives. Die reichen Länder haben gegenüber Bangladesh und anderen Ländern mit niedrigem Einkommen ihre Interessen und Wertvorstellungen durchgesetzt. Jetzt fehlen ihnen die Mittel dazu. Sie werden vorsichtiger mit uns umgehen und wir werden ein wenig mutiger unsere eigenen Interessen und politischen Vorstellungen formulieren und durchsetzen.
Das Ende des neoliberalen Modells kommt fast einem Systemzusammenbruch gleich. Wenn jetzt über andere Entwicklungsmodelle nachgedacht wird, handelt es sich dabei um mehr als ein Lippenbekenntnis?
Das neoliberale Modell hat seine Apologeten in unseren Eliten gezüchtet. Sie vertreten nach wie vor die Meinung, dass der ungeregelte Markt das beste Entwicklungsmodell sei. Ich glaube, dass der Privatisierungsdruck auf unsere Regierungen abnehmen wird. Jetzt können wir uns endlich der zentralen Aufgabe widmen, nämlich den öffentlichen Sektor in Bangladesh so zu verändern, zu reformieren und zu stärken, dass er im Interesse der Bevölkerung endlich funktioniert.
Was sind zentrale Probleme des öffentlichen Sektors in Bangladesh?
Der ist eine merkwürdige, fast post-sowjetische, sehr zentralisierte Angelegenheit. Man kann aber von der Hauptstadt aus nicht die Gesundheitsversorgung auf dem Land kontrollieren. Ich setze darauf, dass die neue Regierung hier Reformen durchführen wird. Es gibt zwar einen staatlichen Verwaltungsapparat, der bis in die ländlichen Regionen reicht. Aber es gibt keine gewählten Institutionen. Sie sind allein aufgrund ihrer Wählbarkeit rechenschaftspflichtig und werden den staatlichen Apparat auf seine Funktionstüchtigkeit hin überprüfen. Die Dezentralisierung der öffentlichen Aufgaben ist sicher eine Schlüssel-Reform.
Welche Reformen wären im Gesundheitsbereich nötig?
Ich hoffe, dass die neue Regierung endlich geeignete Schritte unternimmt, das Gesundheitswesen funktionstüchtig zu machen. Im Gegensatz zu anderen Dritte-Welt-Ländern verfügen wir über eine gesundheitliche Infrastruktur, auch wenn es den Bedarf bei Weitem nicht decken kann. Nur leider glänzen die Ärzte und Krankenschwestern dort durch Abwesenheit. Sie sind formal angestellt, verdienen ihr Geld aber in Privatpraxen. Dieses Phänomen des Absentismus im Gesundheits- und Bildungssektor ist in vielen Dritte-Welt-Ländern verbreitet. In Bangladesh liegt die Quote bei 74 Prozent. Abhilfe kann es nur geben, wenn das Gesundheitswesen dezentralisiert wird und der Kontrolle durch lokale und regionale Parlamente unterliegt. Außerdem fehlen jegliche staatliche Kontrollen im privaten Gesundheitsbereich. Der Geschäftemacherei mit teuren, aber vielleicht nicht adäquaten Therapien sind Tür und Tor geöffnet. Hier müssen Transparenz und Rechenschaftspflicht eingeführt werden.
Gibt es auch bei Gonoshastaya Kendra das Phänomen des Absentismus?
Nein, weil wir unser System längst dezentralisiert haben. Unsere Gesundheitsteams arbeiten eng mit den lokalen Autoritäten zusammen. Sprechstunden werden angekündigt und öffentlich gemacht. Wir stellen größtmögliche Transparenz über unsere Arbeit her. Wenn es zu Todesfällen kommt, gibt es dazu öffentliche Versammlungen, auf denen über die Todesursache gesprochen wird. Wir analysieren bei jedem Todesfall die Todesursachen und machen die Ergebnisse zugänglich. Die Arbeit unterliegt so öffentlicher Kontrolle. Das bietet auch die Gewähr, dass alle so professionell wie möglich arbeiten.
Wie kann eine solche Gesundheitsarbeit im städtischen Slum organisiert werden?
Für städtische Armut muss es eine ganz andere Form von Basis-Gesundheitsversorgung geben, weil die Armen höchst flexibel sein müssen, um zu überleben. Menschen, die im Slum leben, wechseln häufig den Wohnort. Sie werden von der Polizei vertrieben. Sie sind von morgens früh bis abends spät unterwegs, um ihr Überleben zu sichern. Die Armen müssen deshalb, egal, wo sie sich befinden, das Recht haben, sich an einen Allgemeinmediziner zu wenden. Dafür sollten sie versichert sein. Deshalb haben wir in Dhaka ein Krankenhaus, das man auch über unsere Krankenversicherung, in der nach Einkommenshöhe einbezahlt wird, benutzen kann. Wir arbeiten selbst in einem kleinen Slum von Dhaka. Unsere präventive Gesundheitsarbeit setzt unter anderem bei den Arbeitsstätten an. Dort, wo Menschen die Abfälle der Textilfabriken verarbeiten. Eine sehr gesundheitsschädliche Arbeit.
Ist die GK-Krankenversicherung ein hilfreiches Instrument zur Lösung von Gesundheitsproblemen bei städtischer Armut?
Wir haben eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft der Rikschafahrer begonnen und ihnen vorgeschlagen, eine Krankenversicherung einzuführen, damit die Fahrer und ihre Familien versorgt werden können. Wie sinnvoll und hilfreich das ist, zeigt die Geschichte eines nichtversicherten Rikschafahrers. Er hatte grauen Star und konnte fast nicht mehr sehen. Mit seinem schmalen Verdienst hatte er bislang für ein bescheidenes geordnetes Leben sorgen können. Seine Tochter ging sogar zur Schule. Wegen der zunehmenden Sehschwäche war er kurz davor, seine Arbeit aufzugeben. Dann hätte die Tochter nicht mehr zur Schule gehen können, sondern hätte arbeiten müssen. Ein Kollege empfahl ihm die Krankenversicherung und er wurde in unserem Krankenhaus operiert. Zwei Wochen später arbeitete er wieder. Trotzdem ist es für uns schwer, neue Mitglieder zu werben. Denn das Leben der meisten Armen ist so prekär, dass sie nicht einmal den kleinsten Beitrag entbehren können. Zukunftsplanung ist bei dem schmalen Budget oft einfach nicht drin, obwohl die Krankheitskosten in Bangladesh wie in allen armen Ländern einer der Hauptgründe sind, warum Menschen immer tiefer in die Armut geraten. Wir arbeiten an einer Idee, mehrere Sozialarbeiter zu beauftragen, Gesundheitsförderung unter den Rikschafahrern zu betreiben. Darin hätte auch unsere Krankenversicherung ihren Platz.
Das Interview führte Katja Maurer.
Projektstichwort
Die Krankenversicherung der Gesundheitsorganisation Gonoshastaya Kendra sichert die Versorgung für die Ärmsten. So in 45 Dörfern des Sherpur-Distrikts im Nordwesten des Landes. 80 Prozent der 90.000 Bewohner gelten als arm oder extrem arm. Sie sind fast alle Mitglied der Gesundheitsversicherung. Medico beteiligt sich anteilig an den Kosten. Eine solidarische globale Versicherung mit Zukunftsaussicht. Spenden Sie bitte unter dem Stichwort: Bangladesh.