Editorial

Deutsche Ideologie. Die Wiederkehr des Gleichen.

01.09.1999   Lesezeit: 4 min

»Unser Einsatz im Kosovo hat es vermocht, die historische Schuld des anderen deutschen Balkankrieges auszugleichen«.
Bundeskanzler Gerhard Schröder

Denkmalsdebatte
»Weisskirchen (kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion): Sie werden es erleben, in welcher Art und Weise dieses Denkmal auf Sie wirken wird. Ich will Ihnen sagen, wie es auf Sie wirken wird. Die Stelen werden auf Sie einen Druck ausüben, und zwar einen, der Sie zum Nachdenken zwingt.
Henryk M. Broder: Herr Weisskirchen, ich bin mit zwei Leuten großgeworden, die im Lager waren, ich brauche das Denkmal nicht. Da gehen Sie mal alleine drin verloren«.

Talk vor Mitternacht, 28.6.99 in N3

Erfolg der Aufarbeitung
»Bubis hat viel mehr bewegt, als er selber weiß.«
FAZ/Sonntagsausgabe, 1.8.99

Erinnerung am Ende des Jahrtausends
Kanzler Schröder auf die Frage nach »Beweisen« für KZ‘s im Kosovo:
»Es kommt darauf an, was man dem Begriff Konzentrationslager unterlegt. Wir wissen, daß die Menschen zusammengefaßt werden, konzentriert. Das reicht, um zu handeln«.
Phoenix TV, 16.5.99

AUFARBEITEN? VERGEBEN? VERSÖHNEN?

Was ist eigentlich los? Werden wir alle gut? Präsident Clinton bittet um Entschuldigung in Guatemala. Die kanadischen & australischen Staatschefs entschuldigen sich im Duett bei den Ureinwohnern. Die Deutsche Bank entschuldigt sich rundum. Tony Blair bittet um Verzeihung für die kolonialen Eroberungen. Im Juli 1999 sind mehr als 2000 Christen zu Fuß ins Heilige Land aufgebrochen, um am Orontes sich für die Feldzüge der Kreuzfahrer zu entschuldigen. Sie bitten die Welt um Verzeihung fürs Christentum. 900 Jahre nach Ritter von Boullion. 500 Jahre nach Kolumbus. 200 Jahre nach Alexander von Humboldt.

Die perfekte moderne Verzeih-Kultur läßt nichts aus. Wie aber vergibt man? Was, und was nicht? In welcher Form? In stummer Trauer? Im gefaßten Eingedenken? Oder mehr in jener hysteroid-lauten Variante, die meist nur der Selbstinszenierung der Aufarbeiter dient? In Südafrika, Chile, Guatemala, Nicaragua, Palästina, Türkei-Kurdistan – und in Deutschland, wo die Mahnmale am größten sind? Durch »Aufarbeitung«? Dieser obersten deutschen Tugend aus dem Bereich des Sekundären: »Die Ärmel aufkrempeln und den Dreck wegräumen?« Es ist diese Form der Bewältigungsarbeit, die inzwischen staatlich subventioniert & lizensiert regiert.

Die reichen Nationalstaaten möchten sich gerne vom Alp ihrer verbrecherischen Vergangenheit befreien und Ballast abwerfen für den »Eater of Darkness«. Sie müssen ethisch gesäubert in Erscheinung treten, um den ideellen Anspruch auf die Globalisierung der materiellen Welt unwidersprochen vertreten können: nicht ohne die nationale Position beizubehalten. Mit welcher Verdrängungsanstrengung dies geschieht, beweist der Kanzler, der die Teilnehmer der Benefiz-Veranstaltung für das Berliner-Mahnmal mit den Worten zu erinnern weiß: »Ich freue mich, Sie bei dieser Gelegenheit begrüßen zu dürfen«. Der die KZ‘s & sämtliche ihrer Opfer erneut der Indienststellung unterwirft, wenn er die Lager kriegslegitimierend funktionalisiert (»zusammenfassen« = «konzentrieren«): und so alles leugnet, was je damit zusammenhing. Es ist diese »gute« neue Weltordnung in der es immer schlimmer wird: Der »Zehnte Bericht über die menschliche Entwicklung« (UNDP, Juli 99) sagt, daß der Einkommensunterschied zwischen dem reichsten & dem ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung von 30:1 (1960) auf 74:1 (1997) angewachsen ist. Das Kapitel »Globalisierung mit menschlichem Antlitz« betont, daß es 85 Ländern in mehrfacher Hinsicht heute schlechter geht als vor 10 Jahren. Am Ende steht: »Das reichste Fünftel der Weltbevölkerung verfügt über 86% des Welt-Bruttosozialprodukts, das ärmste nur über 1%. Das ergibt das Thema unseres vorliegenden Rundschreibens, wo von »Mäusen und Menschen« die Rede ist, wie in den als Layout verwendeten Comics von Art Spiegelmann. Von den künftigen »Champions of the world«, die dem ganzen Inszenierungszauber von »Vergeben, Aufarbeiten & Versöhnen« eine ordinäre Rechnung präsentieren. Die Forderung in Höhe von 777 Billionen Dollar für die Kolonialzeit in Afrika als »Wiedergutmachung«. Oder die der Hereros aus Namibia, die im August 1999 die Bundesregierung in vorerst unbegrenzter Höhe in Den Haag auf Schadenersatz für den Krieg des Generals Lothar von Trotha verklagten, der 70% der Hereros grausam vernichtete. Die Klage beginnt mit den Worten: »Die Zeit der Bitten ist vorbei«. Selbst wenn alle diese materiellen Aufrechnereien mühelos der ökonomischen Unvernunft bezichtigt werden können: noch die unsinnigste dieser Forderungen trägt weit mehr Menschlichkeit und Zukunft in sich als alle bisherigen Entwicklungsmaßnahmen. Weil sie auf materieller Einlösung der verlogenen Versöhnungssprüche besteht und zugleich eine Forderung nach umfassender globaler Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit an die Wand des 3. Jahrtausends schlägt.

Mit ganz herzlichen Grüßen

Ihr Hans Branscheidt


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