Ein Schritt zu weit

Das Kunstprojekt "One Step Beyond – Wiederbegegnung mit der Mine"

15.03.2009   Lesezeit: 3 min

Ein Schritt. Einen Schritt weiter. Ein Schritt zu weit. Dieser Schritt kann das Augenlicht, ein Bein, die Existenz kosten. Der Künstler Lukas Einsele hat Überlebende von Minenunfällen in Angola, Afghanistan, Bosnien-Herzegowina und Kambodscha getroffen. Er porträtierte sie mit seiner Großbildkamera und bat sie um einen Bericht vom Hergang des Unglücks sowie eine Skizze des Unfallorts. Diesem persönlichen Material stellt Einsele eine technische Dokumentation einer für die Verwundung potentiell verantwortlichen Landmine gegenüber. Entstanden ist ein dichtes Erzählwerk, das Kunst, Gesellschaft und Politik in Beziehung setzt und die Eigenverantwortlichkeit menschlichen Handelns bewusst macht.

medico international (mi): Was war für Dich der Auslöser, dieses Projekt zu realisieren? Und was motiviert Dich, es auch nach acht Jahren noch fortzuführen?

Lukas Einsele (LE): Was kann ich tun? Das war die zentrale Frage, die mich bewegte, als ich über dieses Projekt nachdachte. Was sind meine Fähigkeiten, meine Wege, mich mit etwas auseinanderzusetzen, Stellung zu beziehen? Bei meiner Recherche zu "One Step Beyond" (OSB) fiel mir immer wieder auf, wie wenig man eigentlich über die unmittelbar Betroffenen, die sog. Minenopfer erfährt. Ihre Verwundung, ihr Verlust ist der einzige Beweis ihrer Existenz. Selten ein Name, kaum eine Geschichte. Und immer der Verweis auf das, was man nicht sieht: das fehlende Körperteil. Nicht ihr Gesicht. Ich versuche mit dem Projekt eine Verständnislücke, eine Verständigungslücke zu füllen. Das Projekt soll Menschen zeigen und nicht Opfer.

mi: Du bist in viele verminte Länder gereist. Wie kam es dazu?

LE: Schon bei unserem ersten Treffen wurde ich von medico international eingeladen, mit nach Angola zu fahren. Ich hatte ursprünglich gar nicht daran gedacht, für OSB in die betroffenen Länder zu reisen. Es schien mir zu gefährlich. Die Arbeit von medico war mir nahe, da es dort auch um die Erkundung der Ursachen und Hintergründe geht, um die Anliegen der Betroffenen und insbesondere um ihre Autonomie.

mi: Du hast dein Kunstprojekt 2007 in Zusammenarbeit mit dem Goetheinstitut in Kabul gezeigt. Was wolltest Du mit der Ausstellung dort vermitteln?

LE: In dieser Rückführungsausstellung habe ich die porträtierten Minenüberlebenden gezeigt. Vor jedem Interview habe ich gesagt: Ihre Geschichte und Ihr Porträt werden Menschen sehen, die wenig über Ihr Schicksal wissen. Außerdem bin ich derjenige, der sich bewegen kann. Das ist ein Privileg und eine Verantwortung. Denn dank meiner Beweglichkeit kann ich Nachrichten und Berichte transportieren, die ihren Weg sonst nicht finden würden.

mi: In deinem aktuellen Projekt "The many moments of an M85 – Zenon's arrow retraced" willst du die Flugbahn einer Streubombe vom Ort des Einschlags zurückverfolgen bis zu den Ingenieuren, die sie entwickelt haben. Auf diesem Weg willst du möglichst viele der Menschen befragen und fotografieren, die mit der Waffe in Berührung gekommen sind. Was bezweckst du mit einer solchen Arbeit?

LE: Zum einen geht es mir um die Infragestellung von Begriffen wie "Täter" und "Opfer", die so plakativ verwendet meist eine Vereinfachung der Tatsachen darstellen. Das Projekt wird zeigen, dass alle befragten Personen versuchten, ihre Sache gut zu machen, um so wenig Übel wie möglich zu erzeugen. Ein solches Projekt dokumentiert zudem, wie nah wir uns an den Kriegsschauplätzen befinden. Teile solcher Streubomben werden nämlich auch in Deutschland gebaut. Die Produktion bildet die Lebensgrundlage für zahlreiche Menschen. Mir ist es wichtig, diese Verwicklungen und Beziehungen offenzulegen.

Lukas Einsele, bildender Künstler, lebt und arbeitet in Darmstadt. www.one-step-beyond.de. "One Step Beyond – Wiederbegegnung mit der Mine" wurde international in zahlreichen Ausstellungen präsentiert. Das Buch zum Projekt wurde 2006 mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet und ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.


Jetzt spenden!