Erklärung von NGOs und sozialen Bewegungen zum 60. Jahrestag der Menschenrechte

Menschenrechte als unbedingte Teilhaberechte.

10.12.2008   Lesezeit: 19 min

Erklärung von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen anlässlich des 60. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:

Globalisierung von unten für soziale sowie ökologische Gerechtigkeit und individuelle Freiheit

In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 heißt es:
"Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, […], verkündet die Generalversammlung diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte." Jedes verkündete Menschenrecht, ob als Abwehr-, Leistungs- oder Teilhaberecht formuliert, ist ein unveräußerliches Recht. Träger des Rechts ist jeder einzelne Mensch. Menschenrechte sind an keinerlei Bedingungen geknüpft, außer an die der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Menschen – nicht aber an ein bestimmtes Geschlecht, an eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation oder Ethnie, an eine bestimmte sexuelle Orientierung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht bzw. Klasse, auch nicht an ein bestimmtes individuelles Wohlverhalten.

Unbedingte Teilhaberechte sind Rechte, die unbedingte Abwehr- und Leistungsrechte erfordern

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den Menschenrechtspakten verankerten unbedingten Rechte auf Teilhabe am politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Gemeinschaft kennzeichnen die Menschengemeinschaft als eine Gemeinschaft aktiv, autonom und solidarisch Handelnder. Die Wahrnehmung der Teilhaberechte setzt realisierte Abwehr- bzw. Leistungsrechte voraus. So ist zum Beispiel die Unverletzlichkeit der privaten und intimen Sphäre der Wohnung genauso eine Grundlage der freien öffentlich-politischen Teilhabe wie das Recht auf einen angemessenen Wohnraum und das Recht auf eine soziale Existenzsicherung. Die soziale Existenzsicherung und der freie Zugang zu wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen wie Wissen, Produktionsmitteln und Naturstoffen ermöglichen erst die freie wirtschaftliche Teilhabe jedes einzelnen, die nicht unter dem Vorbehalt oder dem Diktat einer Markt- oder Verwertungslogik steht. Abwehr- und Leistungsrechte sind jedem einzelnen Menschen unbedingt zuerkannte Rechte, weil sie das unveräußerliche Recht auf Leben in Freiheit und die Unbedingtheit des Rechts auf Teilhabe an der Gesellschaft sichern. Unbedingte Teilhaberechte implizieren nicht die Pflicht zur Teilhabe, zum Beispiel eine Pflicht zum wirtschaftlichen oder zum öffentlich-politischen Engagement. Sie sollen die freie Teilhabe jedes einzelnen Menschen ermöglichen.

Zur Realisierung unbedingter Menschenrechte ist genug da

Das Argument, dass die Realisierung der unbedingten Menschenrechte materielle Untersetzungen braucht ist richtig. Falsch ist die Behauptung, dass diese materiellen Untersetzungen nicht möglich wären. Dieses Argument, verbunden mit dem Hinweis auf die hohen Kosten, wird sowohl herangezogen, um Einschränkungen des Demonstrationsrechts und der öffentlich-freien Medien zu begründen oder das unbedingte Recht auf soziale Sicherheit und kulturelle Teilhabe in Frage zu stellen. Unser Gegenargument besteht darin, dass nachweislich genügend an materiellem Reichtum vorhanden ist, so dass alle Abwehr-, Leistungs- und Teilhaberechte realisiert werden können. Das trifft für soziale Rechte wie die Rechte auf angemessene Ernährung, soziale Sicherheit und Gesundheit genauso zu wie für die Rechte auf politische, kulturelle und soziale Teilhabe. Wir sind allerdings auch der Meinung, dass gesellschaftliche Gruppen ein Interesse haben können, knappe materielle Ressourcen zu unterstellen oder Verknappungen zu bewirken. Das heißt, um die Realisierung der unbedingten Rechte zu ermöglichen, bedarf es politischer Kämpfe der Menschen, der Non- Governmental Organisations (NGOs), der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften.

Menschenrechte werden missachtet und müssen erkämpft werden

Mit der Ratifizierung des Sozialpaktes und des Zivilpaktes der Vereinten Nationen haben sich die Staaten völkerrechtlich verpflichtet, die Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten. Diese Verpflichtung haben die Staaten sowohl gegenüber Menschen innerhalb ihres eigenen Territoriums, als auch gegenüber Menschen in anderen Ländern. Menschenrechte gelten universal und menschenrechtliche Staatenpflichten enden nicht an Staatsgrenzen. Ebenso klar ist, dass Menschenrechte völkerrechtlich Vorrang haben vor allen anderen Rechten. Internationale Handels- oder Investitionsabkommen dürfen z. B. niemals zulasten von Menschenrechten ausgestaltet oder ausgelegt werden.

Dieser völkerrechtliche Vorrang von Menschenrechten wird in der Praxis häufig missachtet. Während die Welthandelsorganisation (WTO) bei Verstößen gegen Handelsabkommen harte Sanktionen erlauben, ist dies im Falle von Menschenrechtsverletzungen nur in sehr seltenen Fällen möglich. Auch auf ihren eigenen Territorien setzen sich Regierungen über Menschenrechte tagtäglich hinweg, selbst dann, wenn sie in ihren Verfassungen verankert sind. Dies macht deutlich, dass die bloße Existenz und Anerkennung von Menschenrechten nicht automatisch zu deren Umsetzung führt. Vielmehr müssen Menschen ihre Rechte real einfordern und sich aneignen, auch im Kampf und Widerstand gegen diejenigen Kräfte in der Gemeinschaft, die die Realisierung der Rechte praktisch in Frage oder unter einen Vorbehalt stellen wollen. Wir sehen eine Reihe von uneingelösten Abwehr-, Leistungs- und Teilhaberechten und Möglichkeiten, diese zu realisieren. Hier eine begrenzte Auswahl:

1. Das Recht auf angemessene Ernährung, soziale Sicherheit und wirtschaftliche Teilhabe

Das Recht auf angemessene Ernährung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Trotzdem wird es millionenfach verletzt. Erst im Zuge der erheblichen Preissteigerungen für landwirtschaftliche Rohstoffe wurde öffentlich von einer "Hungerkrise“ gesprochen. Dabei waren schon seit Jahren über 850 Millionen Menschen von chronischer Unterernährung betroffen. 2007 ist diese Zahl offiziell auf 925 Millionen angestiegen und dürfte in diesem Jahr eine Milliarde überschritten haben. Die große Mehrzahl der Hungernden sind Frauen und Mädchen. Die Zunahme des Hungers und die Verweigerung des Rechts auf angemessene Nahrung beschränken sich nicht auf die sogenannten Entwicklungsländer. In Deutschland können sich viele Bezieherinnen und Bezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) keine warme Mahlzeit am Tag leisten. Für die ca. zwei Millionen Kinder und Jugendliche, die auf das Sozialgeld angewiesen sind, ist eine angemessene Ernährung erwiesenermaßen nicht möglich. Die geringe Höhe der Sozialleistungen lässt eine gesunde Ernährung nicht zu.

Die globale Hungerkrise ist nicht über Nacht gekommen. Über drei Viertel der Hungernden leben weltweit auf dem Land und produzieren selber Nahrung. Ausgerechnet diese Kerngruppe der Hungernden ist im Zuge neoliberaler Strukturanpassung in den letzten drei Jahrzehnten massiv diskriminiert worden. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern die Verfügung über Saatgut, Wasser, Infrastruktur und Kredite entzogen. Die Ausbeutung von Rohstoffen wie Öl, Diamanten, Gold, industrielle Großprojekte wie Staudämme und die Förderung von Agrartreibstoffen haben zur massiven Vertreibung und Verdrängung von Kleinproduzentinnen und Kleinproduzenten geführt. Staaten haben tatenlos zugesehen und dazu beigetragen, dass Konzerne sich auf Kosten dieser ländlichen Gemeinschaften das fruchtbare Land angeeignet haben. Zugleich wurden die Länder des globalen Südens durch den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) und bilaterale Freihandelsabkommen dazu gedrängt, ihre Märkte für Importe zu öffnen. Durch diesen Marktöffnungsdruck und gleichzeitiges Agrardumping haben die Staaten des Nordens dazu beigetragen, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern durch Exporte transnationaler Agrarkonzerne von ihren lokalen Märkten verdrängt und ihr Recht auf angemessene Ernährung verletzt wurde. Hinzu kommt, dass auch der Anteil der Entwicklungsgelder, die für die Landwirtschaft ausgegeben werden, seit Anfang der 1980er Jahre von 17 auf drei Prozent gesunken ist. Obwohl in den meisten sogenannten Entwicklungsländern immer noch die Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, sind diese Länder zur Sicherung der Ernährung auf Importe angewiesen. Angesichts der jüngsten Preissteigerungen sind viele Länder nicht mehr in der Lage, diese Importe zu finanzieren. Enorme Preissteigerungen treiben nunmehr auch die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner auf die Straßen. In über 40 Ländern ist es in diesem Jahr zu Hungerprotesten gekommen.

Soziale Bewegungen und NGOs fordern daher einen radikalen Politikwechsel: umverteilende Land- und Agrarreformen, eine umfassende Förderung kleinbäuerlicher und ökologisch nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion, ein Ende des Marktöffnungszwangs und des Agrardumpings sowie eine Stärkung der Rechte von Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Unter dem Motto der Ernährungssouveränität fordern Bauernbewegungen weltweit eine Konzentration auf lokale und regionale Kreisläufe und eine Beschneidung der Macht transnationaler Konzerne. Dringend notwendig und finanzierbar wäre auch ein bedingungsloses Nahrungsgrundeinkommen, das für alle Menschen zumindest eine angemessene Ernährung ermöglicht.

Eine Stärkung sozialer und wirtschaftlicher Leistungs- und Teilhaberechte ist auch im globalen Norden erforderlich. Erstens müssen die sozialen Leistungen erhöht werden, zweitens sind diese diskriminierungs- und stigmatisierungsfrei zu gestalten. Bedürftigkeitsgeprüfte und bedingte Sozialtransfers, wie z. B. Hartz IV in Deutschland, führen zur Ausgrenzung vieler Bedürftiger aus dem Leistungsbezug (verdeckte Armut). Bei der Grundsicherung Hartz IV betrifft dies ca. dreißig Prozent. Zur Umsetzung des Rechts auf soziale Sicherheit schlagen viele Organisationen ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen vor. Außerdem könnte mit dem Grundeinkommen und einer Umverteilung von Erwerbsarbeit dem Menschenrecht auf die Möglichkeit einer frei gewählten oder frei angenommenen Erwerbsarbeit – und damit einer freien wirtschaftlichen Teilhabe – am besten entsprochen werden. Damit verbunden ist auch das Menschenrecht auf eine gerechte und befriedigende Entlohnung von Erwerbsarbeit, welches weder in den sogenannten Entwicklungsländern noch im reicheren Norden realisiert ist. Eng verbunden mit der politischen Durchsetzung der grundlegenden Leistungs- und Teilhaberechte im sozialen und wirtschaftlichen Bereich ist die Demokratisierung, also die Durchsetzung der individuellen und kollektiven politisch-demokratischen Teilhaberechte in den genannten Bereichen überall auf der Welt.

2. Das Recht auf Gesundheit

Das Recht eines jeden Menschen auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit ist ausdrücklich eine der zentralen Verpflichtungen staatlicher Politik überhaupt. 1978 konkretisiert die historische Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Alma Ata diese Bestimmung, indem sie Gesundheit als einen "Zustand des vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens" definiert, der sehr viel mehr bedeutet als nur "die Abwesenheit von Krankheit oder Schwäche." So verstandene Gesundheit ist, so hält die WHO im Namen ihrer Mitgliedsstaaten verbindlich fest, "ein grundlegendes Menschenrecht, dessen Realisierung die Aktivität anderer sozialer und wirtschaftlicher Sektoren in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssektor erfordert." Zugleich verpflichten sich die WHO-Staaten, so verstandene Gesundheit im Jahr 2000 erreicht zu haben – weltweit. Tatsächlich kann davon heute keine Rede sein, im Gegenteil: Auch wenn es im Verhältnis zu den 1960er Jahren nicht zu leugnende partielle Verbesserungen gibt, muss aus der Perspektive eines Menschenrechts auf Gesundheit ein grundlegendes Versagen jeder staatlichen Politik, mehr noch, eine systematische Verletzung dieses Menschenrechts durch die Politik festgestellt werden. Von solcher systematischen Verletzung und deren gleichermaßen systematischen billigenden Inkaufnahme muss schon deshalb gesprochen werden, weil die Nichterreichung der menschen- und völkerrechtsverbindlichen Ziele von Alma Ata durch eine Diagnose zu erhellen ist, die eben keine medizinische, sondern eine politische und ökonomische ist: Armut macht krank, und Krankheit macht arm. Dabei findet der von dieser Diagnose beschriebene Teufelskreis seine engere Bestimmung in dem Faktum, dass diejenigen, die gesundheitlicher Fürsorge am stärksten bedürftig sind, solcher Fürsorge am meisten entbehren – weil sie nicht über die dazu notwendige Kaufkraft verfügen. So ist der beispiellose medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte an der Mehrheit der Weltbevölkerung nahezu vollständig vorbeigegangen. Noch immer sterben alljährlich Millionen von Menschen an Krankheiten, die gut behandelbar wären. Vor allem im globalen Süden ist das Recht auf Gesundheit meist nur bloßer Schein. Zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Drittel der Weltbevölkerung kann sich nicht einmal lebensnotwendige Arzneimittel leisten. Dem entspricht dann, dass Menschen, die in Einkommensarmut leben, auch in den Ländern des Nordens und so auch in Deutschland eine bedeutend geringere Chance auf ein gesundes Leben haben. Das Geld ist für eine gesunde Ernährung und für sportliche Aktivitäten nicht ausreichend. Die bürokratischen Hürden für Befreiungen von eingeführten Zuzahlungen und Arztpraxisgebühren sind hoch. Sie treffen besonders sozial benachteiligte Personengruppen. Die psychischen Erkrankungen in der prekarisierten Arbeitswelt nehmen zu. Die Gesundheitsvorsorge und -versorgung wird auch hier zur Ware, die Pharma-, Sport- und Wellnessindustrien boomen.

Weltweit wiederum gilt, dass der mit dem verweigerten Gesundheitszugang einhergehende soziale Ausschluss sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch und psychosozial auswirkt. Keineswegs zufällig ist deshalb – führt man die unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen des Nordens mit denen der Menschen des Südens trotz der erheblichen Unterschiede zusammen –, dass Depression zur Weltkrankheit Nummer 1 geworden ist.

Eine gebührenfreie Gesundheitsvorsorge und -versorgung, eine Demokratisierung des Gesundheitssystems und der Gesundheitswirtschaft, Veränderungen in der Arbeitswelt sowie eine gesunde Umwelt sind machbare Alternativen. Zu deren Realisierung ist nach wie vor der Erklärung von Alma Ata zu folgen.

3. Das Recht auf Bildung

Das Menschenrecht auf Teilhabe an Bildungsprozessen ist in vielfacher Hinsicht nicht realisiert. Laut Schätzungen der UNESCO können fast eine Milliarde Menschen weder lesen noch schreiben. 130 Millionen Kinder dieser Welt besuchen keine Schule. Wenn Menschen das Recht auf Bildung vorenthalten wird, beeinträchtigt das ihre Möglichkeit, sich und ihre Familien zu ernähren. Jene Menschen, die die Bedeutung von Gesundheit, Hygiene und Ernährung verstehen, können sich und ihre Familien besser vor vermeidbaren Krankheiten schützen. Das Vorenthalten von Bildung beeinträchtigt außerdem die Demokratie und die politischen Teilhabemöglichkeiten. In Deutschland herrscht nach wie vor ein selektives Bildungssystem. Ursachen sind zum einen die institutionellen Ausgestaltungen im Bildungsbereich, zum anderen selektierende, bestimmte Schichten ausgrenzende Kommerzialisierungen (z. B. durch Studiengebühren). Die unbedingte Teilhabe an den Bildungsprozessen, die durch die menschenrechtlich festgeschriebene allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit und des freien Zugangs zur Bildung gefördert werden soll, wird durch Privatisierungen und genannte Kommerzialisierungen im Bildungsbereich vereitelt. Darüber hinaus weisen die jüngsten Beschlüsse zu Schulbedarfspaketen für bedürftige Schulkinder in Deutschland auf die vollkommen unzulänglichen sozialen Sicherungssysteme wie Hartz IV hin, die nicht mal den einfachsten Anforderungen an eine Teilhabe an Bildungsprozessen genügen und damit die Selektion verschärft. Neben den infrastrukturellen und sozialen Rahmenbedingungen gehören Bildungsinhalte und -formen auf den Prüfstand, deren Ziel nicht die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist, wie in den Erklärungen zu den Menschenrechten gefordert wird. Einseitig auf das Überleben im marktwirtschaftlichen Geschehen orientierte Bildungsansätze entsprechen nicht den Menschenrechten.

4. Gleiche Rechte für jede Frau

Ein wichtiger Grundsatz der Menschenrechte ist die Gleichberechtigung der Frau. Dieser Grundsatz wird in eklatanter Weise verletzt. Sechzig Prozent der Ärmsten auf unserer Welt sind Frauen und Mädchen, obwohl der weibliche Bevölkerungsanteil geringer ist als der männliche. Zwei Drittel der Milliarde Menschen, die weder lesen noch schreiben können, sind weiblichen Geschlechts. Siebzig Prozent der 130 Millionen Kinder, die keine Schule besuchen, sind Mädchen. Frauen sind in vielen gesellschaftlich-öffentlichen Bereichen ausgegrenzt und stark unterrepräsentiert.

In Deutschland werden nach wie vor Gesetze gar nicht oder nur unzureichend auf die unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer hin geprüft und entsprechend gestaltet. Skandalös ist, dass Frauen im gleichen Beruf immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Die weiterhin herrschende geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in den Familien führt zudem dazu, dass Frauen wegen der Familienarbeit, d. h. wegen der Sorge für die Kinder, aber auch in zunehmendem Maße wegen der Pflege Angehöriger ihre Erwerbsarbeit reduzieren, unterbrechen oder ganz aufgeben. Damit geben sie nicht nur die eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit auf, sondern gefährden auch die eigenständige Alterssicherung. Auch die eigenständige Existenzsicherung im Rahmen anderer sozialer Sicherungssysteme ist nicht gewährleistet – diese sind nach wie vor am männlichen Allein- bzw. Haupternährermodell orientiert. Bisher hat die Politik in der Bundesrepublik es nicht vermocht, ausreichende Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Frauen wie Männern erlaubt, Familien- und Erwerbsarbeit miteinander zu verbinden. Auch die Möglichkeit, Führungspositionen zu erlangen, ist für Frauen eingeschränkt. So sind beispielsweise nur ca. zehn Prozent der C 4 bzw. W 3 Professuren mit Frauen besetzt und nur eine Frau hat es bislang in den Vorstand der dreißig Dax-Unternehmen in Deutschland geschafft. Im Bereich der verfassten Politik ist zu beobachten, dass zwar auf Bundesebene eine relativ hohe Beteiligung von Frauen an Regierung und im Parlament besteht, auf der kommunalen Ebene Frauen aber nach wie vor nicht ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechend vertreten sind. Um die tatsächliche Gleichstellung und Chancengleichheit zu erreichen, sind u. a. folgende Maßnahmen erforderlich: flächendeckende Bereitstellung qualitativ hochwertiger Ganztageseinrichtungen für Kinder im Vorschulalter und entsprechende Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler; Bindung der Vergabe öffentlicher Mittel an Maßnahmen der Firmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern; gesetzliche Verpflichtung zu einer Quotenregelung in Aufsichtsräten mit dem Ziel, dass spätestens in der nächsten Legislaturperiode vierzig Prozent der Mitglieder von Aufsichtsräten Frauen sind; gesetzliche und tarifliche Maßnahmen, die darauf abzielen, dass gleichwertige Arbeit gleich bezahlt wird; ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft; Maßnahmen zur Steigerung des Frauenanteils in den Parlamenten auf allen Ebenen.

5. Bürgerliche und politische Rechte

Bürgerliche und politische Abwehr- und Teilhaberechte sind genauso bedroht wie soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leistungs- und Teilhaberechte.

Dem Terror einzelner Gruppierungen wird mit der Ausweitung von Kontroll- und Überwachungsmechanismen begegnet. Auch werden elementare Rechte außer Kraft gesetzt – Beispiele wie Guantánamo, wo völkerrechtsrechtswidrig Menschen der Freiheit und ihres Rechtsschutzes beraubt werden, oder der jüngste Versuch, in Deutschland das Bundeskriminalamt weitreichend zur Ausspionierung der privaten und intimen Sphäre zu ermächtigen, sprechen Bände. Wir sind – in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – der Auffassung, dass das beste Mittel gegen Terror, gegen gewalttätige sowie militärische Auseinandersetzungen die Verwirklichung der unbedingten sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und bürgerlichen Leistungs- und Teilhaberechte im globalen Maßstab ist.

Ebenso sind wir der Auffassung, dass die schleichende Entrechtung von Bezieherinnen und Beziehern von Sozialleistungen in Deutschland gestoppt und rückgängig gemacht werden muss. In der Logik der auf den Familienhaushalt bezogenen bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung Hartz IV liegt es, dass Sozialdetektive die Privatsphäre missachten können und offen zum Denunziantentum aufgerufen werden kann. Es wird auch versucht, armen Menschen das Recht auf die Durchsetzung ihrer Leistungsansprüche zu verwehren. Gebühren für Sozialgerichte sowie für Anträge auf Prozesskostenhilfe sollen erhoben und für rechtliche Beratungshilfen erhöht werden. Widersprüche gegen Leistungskürzungen bei Menschen mit ohnehin zu geringen Einkommen haben keine aufschiebende Wirkung. Auch hier ergibt sich die Notwendigkeit, über ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen nachzudenken, das jeder bzw. jedem individuell garantiert zusteht, einfach weil sie bzw. er ein Mensch ist – ohne nachzuweisende und zu kontrollierende Bedürftigkeiten, in voller Höhe und ohne Sanktions- und Kürzungsmöglichkeiten. Auch der Verletzung eines grundlegenden bürgerlichen Abwehrrechts, der mit der Grundsicherung Hartz IV verschärften Missachtung des menschenrechtlichen Verbotes von Arbeitszwang könnte mit einem solchen Grundeinkommen äußerst wirksam begegnet werden.

6. Das Recht auf direkte und unmittelbare politische Teilhabe

Das Menschenrecht, vermittelt durch frei gewählte Vertreterinnen und Vertreter an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten mitzuwirken, darf nicht gegen das Menschenrecht an der Gestaltung unmittelbar teilhaben zu können, ausgespielt werden. Das Recht auf freie direkte Abstimmung und auf freie direkte politische Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft ist dem Recht auf eine Wahl von Vertreterinnen und Vertretern in politische Gremien gleichrangig und nicht als eine bloße Möglichkeit neben das Wahlrecht gestellt. Die unmittelbare und unbedingte demokratische Mitwirkungsmöglichkeit einer und eines jeden einzelnen an allen Angelegenheiten und Bereichen, die die Öffentlichkeit betreffen, ist die Voraussetzung einer lebendigen Demokratie und des sozialen Zusammenhalts. Fehlende rechtliche Rahmenbedingungen und Infrastrukturen sowie nicht realisierte soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte behindern bzw. verhindern die verschiedenen Formen direkter Demokratie und unmittelbarer politischer Teilhabe. Armen sowie von der wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe ausgeschlossenen Bürgerinnen und Bürgern fehlt es an Möglichkeiten der direkten und unmittelbaren politischen Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten. Andererseits können soziale, wirtschaftliche und kulturelle Prozesse ohne die freie politische Teilhabe und Gestaltung durch die Bürgerinnen und Bürger paternalistische und entmündigende Formen annehmen.

7. Schutz der Natur

Zur jüngsten Generation der menschenrechtlichen Diskussionen und Abkommen gehört die Frage des Schutzes der Natur. Alles deutet darauf hin, dass der Klimawandel besonders diejenigen trifft, die von Armut und Hunger ohnehin schon betroffen oder bedroht sind. Dürren, Fluten und Stürme bedrohen und zerstören zunehmend die Behausungen, Ernten und Lebensgrundlagen besonders von Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien. Die gnadenlose Ausbeutung und Vernichtung natürlicher Ressourcen geht nicht nur mit immensen ökologischen Schäden einher, sondern führt auch zur Verletzung von Menschenrechten und bedroht letztendlich das Überleben der ganzen Menschheit. Der Schutz sozialer Menschenrechte auf Nahrung, Gesundheit, Wohnung u. a. erfordert eine gesunde und saubere Umwelt. Umweltschutz und Menschenrechtsschutz sind untrennbar miteinander verbunden. Hinzu kommt, dass armen Menschen ein unökologisches Verhalten aufgezwungen wird, wenn sie ihre soziale und wirtschaftliche Existenz sichern wollen. Soziale Ungerechtigkeit findet ihre Fortsetzung in ökologischer Ungerechtigkeit. Ökologische Rechte sind Abwehrrechte gegen staatliche und wirtschaftliche Eingriffe in das ökologische Gleichgewicht zuungunsten der betroffenen Menschen. Sie sind auch Leistungsrechte im Sinne der Herstellung einer gesunden und unzerstörten Umwelt für alle Menschen. Auf dem Prüfstand steht dabei eine Kultur und Wirtschaft, die auf Wachstum setzt bzw. setzen muss, um sich zu legitimieren. Unsere Auffassung, dass genug für alle da ist, schließt ein, dass es auch ein Genug der Ausweitung der produktiven und konsumtiven Sphäre gibt, die die natürlichen Ressourcen und Naturgegebenheiten vernichtet. Produktion und Konsumtion müssen bedeutend weniger an natürlichen Rohstoffen verbrauchen. Die Zerstörung der Natur muss aufgehalten und weitgehend rückgängig gemacht werden. Wir müssen grundsätzlich über ein neues Produktions- und Konsumtionsparadigma nachdenken und dieses durch politische Interventionen gegenüber den Trägern der Ideologie des Weiter-So bzw. des technischen Einfangens von Umweltproblemen durchsetzen. Auch hier sehen wir einen Zusammenhang von unbedingter sozialer Sicherheit, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Teilhabe und dem Umgang mit unserer natürlichen Umwelt – ein Mehr an realisierter unbedingter Leistungs- und Teilhaberechte bewirkt ein Weniger der Orientierung an der Wachstumslogik, weil damit andere Zielstellungen für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und des guten Lebens aller in den Mittelpunkt rücken.

Was für uns Globalisierung von unten bedeutet

Globalisierung von unten bedeutet durchzusetzen, dass alle Menschen ihr unbedingtes Recht auf Teilhabe am politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Gemeinschaft wahrnehmen können. Der soziale Kampf war in der Vergangenheit und ist auch in Zukunft darauf auszurichten, die Voraussetzung für diese Teilhabemöglichkeiten zu schaffen, einschließlich der Gewährleistung von Sozialer Sicherheit, frei gewählter Arbeit, Bildung und Gesundheit für alle. Die Wahrnehmung von Rechten darf nicht an Bedingungen geknüpft werden. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen dürfen nicht darauf ausgerichtet sein, Rechte in solch einem Maße einzuschränken, dass ein Leben in Würde unmöglich ist.

Globalisierung von unten bedeutet durchzusetzen, dass der ungeheure kulturelle und materielle Reichtum dieser Welt allen Menschen zur Verfügung steht und jeder Mensch in einer gesunden und unzerstörten Umwelt leben kann.

Global durchsetzen sollen sich unserer Meinung nach nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren sondern die Menschenrechte, die jedem Menschen ein Leben in Freiheit und Würde garantieren. Dafür wollen wir uns politisch einsetzen.

Berlin, 08.12.2008

Diese Forderungen werden von den unterzeichnenden Organisationen entsprechend ihrem jeweiligen Aufgabengebiet, ihrer Zielsetzung und ihren Positionen getragen.

Unterzeichnende:

Aktionsbündnis Sozialproteste
Attac Deutschland
BAG Prekäre Lebenslagen e.V. in Gründung - Gegen Einkommensarmut und soziale Ausgrenzung
Deutscher Frauenrat e. V.
FIAN-Deutschland e. V.
KAB Deutschlands e. V.
medico international e. V.
Mehr Demokratie e. V.
Netzwerk Grundeinkommen
TERRE DES FEMMES e.V.
urgewald e. V.


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