Mexiko-Stadt: Das Areal ist weitflächig umzäunt; Schranken versperren den Zutritt. Im Abseits der Straße, geduckt zwischen Mais- und Weizenfeldern, tauchen einige Gebäude auf, die aus der Ferne unscheinbar wirken. Mißtrauisch äugen Wachmänner. Man erblickt das östlich der Stadt gelegene »Internationale Zentrum zur Verbesserung von Mais und Weizen« (CIMMYT). Eine kleine Bronze-Tafel in der weiträumigen Empfangshalle gibt erste Auskunft. Von der Rockefeller-Foundation gestiftet, ist das CIMMYT – wie seine Pendants auf den Philippinen in Peru, Nigeria oder Indien, die sich um Reis, Kartoffeln, Maniok oder Hirse kümmern – in den 60er Jahren entstanden. Damals, als in Wochenschauen & wissenschaftlichen Beiträgen feierlich von einer »Grünen Revolution« die Rede war, begann das CIMMYT mit der Züchtung neuer Pflanzensorten, die vor allem zugunsten der »Dritten Welt« eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge versprachen. Die emphatisch erklärten Ziele: Sicherung der Nahrungsmittelversorgung einer wachsenden Weltbevölkerung & die endgültige Beseitigung des Hungers. Die Ziele wurden bekanntlich nicht erreicht. Das wissen auch die Mitarbeiter des CIMMYT. In Videovorführungen hören wir aber, daß noch die Hungerkatastrophen der letzten Jahrzehnte für eine rationalisierende Legitimation des weiteren Tuns herhalten müssen. Nicht wegen der vielfältigen Eingriffe in historisch gewachsene Agrarzyklen und Wirtschaftskreisläufe wurden die Hungernden der »Dritten Welt« weiter in den Hunger getrieben, sondern weil die Eingriffe nicht weit genug reichten und man die Natur & das Lebendige offenbar noch immer nicht vollends in den Griff bekommen habe. Das aber wird sich ändern. Stolz präsentiert uns eine Mitarbeiterin von CIMMYT die Labors, in denen seit etwa 5 Jahren eine hochtechnologische Molekulargenetik betrieben wird. Im herkömmlichen Züchtungsverfahren wird die genetische Information einer Pflanze »von außen« verändert. In großer Zahl und über viele Zyklen hinweg werden ganze Pflanzen gekreuzt & selektiert, bis die gewünschte Eigenschaft, ein höherer Ertrag oder die Resistenz gegen bestimmte Krankheiten, beobachtet werden kann. Die gentechnologische Manipulation überläßt nichts dem Zufall und wirkt »von innen« über die Struktur der Zellkerne auf das Wesen der Pflanze ein. Dazu werden die Träger der genetischen Information, die nukleare DNS, in spezielle Lösungen aufgespalten, die Fragmente sortiert und durch molekulare Untersuchungen mit bestimmten Eigenschaften in Beziehung gesetzt. Ausgewählte DNS-Segmente können innerhalb kürzester Zeit millionenfach kopiert werden. Der Vorteil der Molekulargenetik liegt in der Möglichkeit viel schnellerer und eindeutigerer Selektionen von Eigenschaften. Zur Zeit konzentriert sich CYMMIT auf die Erforschung von Mais- sorten, deren genetische Struktur Resistenzen gegen Schädlinge und Dürre aufweisen sollen. Dabei arbeitet das Zentrum mit den Forschungsabteilungen privater Unternehmen in aller Welt zusammen. Aufschlußreich ist die Art der Arbeitsteilung: während die Grundlagenforschung, aus der einmal renditeträchtige Patente hervorgehen könnten, von privater Seite durchgeführt wird, hat sich CIMMYT, das über öffentliche Zuwendungen einzelner Länder und multinationaler Gremien finanziert wird, auf die zeitraubende und teure Anwendungs- und Feldforschung spezialisiert. Die Millionen, welche die reichen Industrieländer mit altruistischem Gestus in die internationalen Agrarforschungszentren investieren, haben sich längst schon ausgezahlt. So belief sich 1984 der Wert an der USA Weizenernte, der auf das eingekreuzte Genmaterial zurückgeht, welche den armen Ländern entzogen wurde, auf 1,7 Milliarden Dollar. Im gleichen Zeitraum unterstützten die USA das Zentrum in Mexiko mit 6 Mio. USD, um das dort geraubte Genmaterial zu erhalten. Annähernd 11 000 unterschiedliche Mais- und über 90 000 Weizensorten sind in den Genbanken des CIMMYT konserviert. Die Basis-Sammlung wird bei minus 15 Grad aufbewahrt, was eine Langzeitlagerung zwischen 50 und 100 Jahren ermöglicht. Die »aktive« Maissammlung, die größte der Welt, wird bei 0 Grad Celsius gelagert – gut für 20-25 Jahre – und beinhaltet auch jene ausgewählten »Elite-Populationen«, die unterdessen über Züchtungen entwickelt wurden. Im Prinzip sollten Wissenschaftler aus aller Welt Zugang zu den Genbanken der internationalen Agrarforschungszentren haben. Die Realität aber sieht so aus: von dem weltweit konservierten Genmaterial, das zu über 90% aus Afrika, Asien und Lateinamerika stammt, erhalten die Länder der drei südlichen Kontinente ganze 15%. Parallel zur konservierenden Einlagerung der genetischen Vielfalt in einigen wenigen Genbanken sind von den Feldern der Welt jene Maissorten verschwunden, die von einheimischen Bauern über Jahrtausende kultiviert und bewahrt wurden. Alles, was nicht dem Ziel der Hochleistung, der Angleichung an industrielle Normen und der Berechenbarkeit standhielt, fiel den artifiziellen »Schöpfungen« zum Opfer, den euphorisch propagierten Hochertragssorten. Die Anpassung der Landwirtschaft an die tote Welt der Technik aber ist kostspielig. Sie erfordert den Einsatz von Chemie und anderen künstlichen Regulatorien, was sich nur im großen Maßstab rentiert. Zusammen mit den traditionellen Maispflanzen sind deshalb auch die Kleinbauern der Welt in Bedrängnis geraten. Weil mit ihnen kein Geld mehr zu verdienen ist, werden sie zunehmend ins Abseits vorerst unrentabler Gegenden der Welt vertrieben. Sie müssen einer Entwicklung weichen, die an die Stelle der lebendigen Vielfalt die gleichmachende Überwindung der Natur setzt. Verbunden mit den ökonomischen Zwängen aus Profit, Verschuldung und Strukturanpassung hat das Gesetz der Technik eine Herrschaft begründet, die das Unberechenbare und Eigenartige entweder vernichtet oder in Genbanken auf Eis legt.
Thomas Gebauer
Menschliches, Allzumenschliches
Es müsste geistigere Geschöpfe geben, als die Menschen sind, blos um den Humor ganz auszukosten, der darin liegt, dass der Mensch sich für den Zweck des ganzen Weltendaseins ansieht, und die Menschheit sich ernstlich nur mit der Aussicht auf eine Welt-Mission zufrieden giebt.
(Friedrich Nietzsche)