HANDS Pakistan

Handlungsfähig noch in der Flutkatastrophe

24.07.2012   Lesezeit: 6 min

Die sozialmedizinische Hilfs- und Entwicklungsorganisation HANDS war eine der ganz wenigen Organisationen, die sich noch während der Fluten als flächendeckend handlungsfähig erwies. Ihre über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind noch heute vor Ort, leisten je nach Lage noch immer Not- oder, wo möglich, bereits Entwicklungshilfe. Möglich ist dies, weil HANDS neben den eigenen Kräften noch einmal rund 100.000 Aktivistinnen und Aktivisten sog. „Community Based Organisations“ (CBOs) mobilisieren und langfristig einbinden kann. Die Bildung, Unterstützung und Vernetzung solcher CBOs und die stete Förderung ihrer Mitglieder ist ein Hauptziel der Arbeit von HANDS.

Koordiniert über strategisch verteilte Distriktbüros erreicht die Organisation heute über 13 Millionen Menschen in über 16.000 Dörfern der Provinzen Sindh, Balutschistan und Punjab. Aus der ausdrücklich entwicklungspolitischen Orientierung verbindet HANDS die ebenso langfristig wie partizipativ angelegte Arbeit vor Ort mit einer regionalen, nationalen und internationalen Lobby- und Advocacyarbeit.

HANDS ist einer der Träger der vom zweiten pakistanischen medico-Partner PILER initiierten Kampagne der Citizens’ Charter und wie medico selbst Mitglied im internationalen People’s Health Movement (PHM).

Gegründet wurde HANDS im Jahr 1979, zwei Jahre nach dem von den USA unterstützen Militärputsch des Generals Zia ul-Haq, unter dessen blutiger Herrschaft der Islamismus in Pakistan eingeführt wurde. Gründer war der Arzt Dr. Gaffar Bilo, der als Professor für Medizin seine Studentinnen und Studenten motivierte, in den Slums von Karatschi erste Strukturen basismedizinischer Grundversorgung aufzubauen.

Von medico geförderte HANDS-Projekte

Noch 2010 unterstützte medico mit zunächst 25.000 € die ersten Nothilfemaßnahmen von HANDS: Evakuierung von über 80.000 Flutüberlebenden, Verteilung von Nahrungsmitteln und Kleidung, Basisgesundheitsversorgung. Als HANDS unmittelbar danach etwa 300 Flüchtlingslager einrichtete und zugleich erste Dokumentationen der Lage vor Ort erstellte, förderte medico die Aktivitäten in den Distrikten Thatta und Kandhkot mit zusammen über einer Million €; der Kooperation ging ein Besuch von medico-Mitarbeitern im Flutgebiet voraus.

2011 stellte medico seinem pakistanischen Partner fast zwei Millionen € zur Verfügung. HANDS setzte diese Mittel in rund 20 Dörfern der Distrikte Jamshoro und Jacobabad ein, in denen die Organisation ihr sog. „Tameer“-Programm gestartet hatte, eine strategische Konzeption für die frühe Phase eines gemeinwesenorientierten, d.h. an Selbstverwaltung und Selbstbeteiligung orientierten Wiederaufbaus. Die „Tameer“-Strategie kombiniert die Wiederherstellung bzw. den Neuaufbau dörflicher Infrastruktur (Haus-, Wege-, Brunnenbau) mit ökonomischen Eigenaktivitäten in Land- und Viehwirtschaft einschließlich der möglichst eigenständigen Vermarktung und dem Aufbau von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie einer kommunalen Selbstverwaltung durch CBOs.

Für noch immer notwendige Maßnahmen reiner Nothilfe (Bereitstellung von Zelten im Distrikt Badin) stellte medico 2011 noch einmal 50.000 € zur Verfügung.

Mittlerweile geht die Umsetzung der „Tameer“-Projekte in eine neue Phase, in der die Erfahrungen des Beginns bereits zu kleinen und großen Änderungen bzw. Erweiterungen geführt haben. medico konzentriert sich dabei auf die Unterstützung der Arbeit von HANDS in fünf Dörfern des Distrikts Matiari, für die während der Jahre 2012/2013 800.000 € bereitgestellt werden. An dem Projekt nehmen über 500 Familien teil, fast 3000 Menschen. Geplant ist auch hier zunächst einmal die Stärkung der Selbstorganisation der Gemeinden, für die in jedem Dorf zwei CBOs gegründet werden, eine für Frauen und eine für Männer. Deren Mitglieder wählen die Dorfbewohnerinnen und –bewohner aus ihrer Mitte; HANDS schult die Aktivistinnen und Aktivisten dann in Methoden der Selbstorganisation wie in Buchhaltung, Budgetierung oder in der „Disaster Risk Reduction“. Gemeinsam werden dann Dorfentwicklungspläne erstellt, die auch die Wiederherstellung bzw. Stärkung der landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen und die Ernährungssicherung umfassen.

Da die Fluten in den fünf Dörfern nicht ein Haus unversehrt ließen, beginnt die Arbeit mit dem Bau bzw. der Instandsetzung von insgesamt 553 Unterkünften nach allerdings erst einmal minimalem Standard: Jede Familie erhält ein Haus mit einem 15,3 Quadratmeter großen Raum und einem kleinen Bad. Zur Versorgung mit sauberem Trinkwasser werden 46 Leitungsbrunnen angelegt und mit Handpumpen ausgestattet, die sich je fünf Familien teilen müssen. Außerdem werden 169 Latrinengruben ausgehoben und durch Rohre mit den Häusern verbunden sowie 2.100 Quadratmeter Straße gepflastert.

Zur Wiederherstellung der einfachen Subsistenzökonomie gehört dann die Verteilung von landwirtschaftlichen Werkzeugen, die Bereitstellung von Mitteln zur Anmietung von Traktoren und zum Kauf von Saatgut. Außerdem klärt HANDS die Bauern über verbesserter Anbaumethoden auf und legt dazu pro Dorf eine Modellfarm an, in der zugleich traditionelles Saatgut produziert wird. Um einen Teil der Ernte als Saatgut für die nächste Saison sicher aufbewahren zu können, werden insgesamt 205 flutsichere Lagerbehälter gebaut, außerdem erhält jedes Dorf eine eigne Setzlingszucht für Obstbäume und andere Nutzpflanzen.

Ist der Ackerbau im Süden Pakistans Sache der Männer, wird die Viehwirtschaft traditionell von Frauen betrieben. Dazu werden 76 kleine Geflügelzuchtbetriebe gegründet und ausgestattet, darüber hinaus bekommen 100 Frauen je eine Ziege. Um den Gemeinden bei der schwierigen Vermarktung der eigenen Erzeugnisse zu helfen, erstellt HANDS erstmals ein Marktpreis-Informationssystem – eine Maßnahme, die nach einer Probezeit ausgewertet werden soll. In der benachbarten Stadt Saeedabad richtet HANDS ein Ausstellungs- und Vermarktungszentrum ein, das die fünf Dörfer gemeinsam nutzen können; die Gewinne aus dem Verkauf der Waren sollen zu 80% in die Gemeinden zurückfließen. Auf derselben Linie liegt die Einrichtung sog. „Village Based Entrepreneur Centres“ in den fünf Dörfern selbst, in denen HANDS CBO-Aktivistinnen und –Aktivisten Grundwissen in wirtschaftlichem Management vermitteln wird.

Der wirtschaftlichen Eigenständigkeit dient schließlich auch die Bereitstellung einer Grundausstattung für Zimmerleute und Maurer, die Verteilung von Nähmaschinen, die Einrichtung kleiner Gemischtwarenläden sowie die Anschaffung von Handkarren, Eselskarren und Motorrikschas sowie der Bau und Betrieb von drei Getreidemühlen pro Dorf, die dann von Müllern auf eigene Rechnung betrieben werden sollen. Kernelemente der „Tameer“-Strategie sind schließlich die dörflichen Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Dazu wird HANDS pro Dorf jeweils einen Schulraum für den Primarunterricht und einen Raum für die kindliche Früherziehung bauen und ausstatten sowie jeweils einen Spielplatz anlegen. Zugleich werden Lehrerinnen und Lehrer aus- bzw. fortgebildet und dabei endlich mit kindgerechten Erziehungs- und Bildungsmethoden vertraut gemacht. Dasselbe gilt für die „Ayas“, ältere Frauen, die sich um die Betreuung von Kleinkindern kümmern. Hinzukommen erstmals Alphabetisierungskurse für wenigstens 300 Erwachsene.

Verbessert bzw. neu eingerichtet warden Strukturen der Basisgesundheitsfürsorge, für die HANDS acht traditionelle Geburtshelferinnen (TBA) und drei ländliche Gesundheitsarbeiterinnen („Marvi“) ausbilden wird. Um ihnen ein Einkommen zu ermöglichen, werden die Gesundheitsposten zugleich als Mini-Apotheken angelegt, in denen Basismedikamente, aber auch Verhütungsmittwel verkauft werden. Die einzelnen Maßnahmen werden regelmäßig von besonderen Aufklärungskampagnen begleitet. Kompliziertere Erkrankungen werden in Gesundheitseinrichtungen umliegender Städte überwiesen, HANDS trägt die Kosten für Behandlung und Transport.

Da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von HANDS wissen, dass sie mit den Mitteln internationaler Partner wie medico Aufgaben wahrnehmen, die eigentlich von der pakistanischen Gesellschaft bzw. vom Staat zu übernehmen wären, beteiligen sie sich zusammen mit den Aktivistinnen und Aktivisten von CBOs an Kampagnen, in denen die Gesellschaft über die politischen und ökonomischen Hintergründe der Naturkatastrophen und das Scheitern staatlicher Nothilfe und Wiederaufbauprogramme aufgeklärt werden – Kampagnen wie der des medico-Partners PILER, zu der die auch von HANDS getragene Citiziens’ Charter gehört.


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