ND: Auch zwei Wochen nach dem Wirbelsturm in Myanmar geht die Diskussion um die militärische Erzwingung von Hilfslieferungen weiter. Steckt dahinter echte Besorgnis über das Schicksal der Menschen, oder sind es politische Interessen?
Gebauer: Sicherlich beides. Angesichts der berichteten Not und der unglaublichen Zerstörung, die der Zyklon angerichtet hat, ist die Idee, Hilfe für die Opfer an der Militärregierung Myanmars vorbei zu erzwingen, nur zu verständlich. Aber es sind eben auch politische Interessen im Spiel. Seit langem schon ist das Militärregime wegen der systematischen Menschenrechtsverletzung in der Kritik. Der Westen würde einen Regimewechsel wohl aber auch deshalb begrüßen, um China zu schwächen, das über Myanmar einen wirtschaftlich und militärisch bedeutsamen Zugang zum Indischen Ozean unterhält.
Stimmt das in den hiesigen Medien gezeichnete Bild von einer myanmarischen Militärjunta, die jegliche Hilfe aus dem Ausland ablehnt, überhaupt?
Aus den Nachbarländern kommt durchaus Hilfe ins Land. Die Machthaber in Myanmar lehnen Hilfe als solche nicht ab. Sie wollen die Kontrolle darüber nicht aus der Hand geben. Nur unzureichend wird in den Medien aber über die Hilfe berichtet, die die myanmarische Gesellschaft selbst leistet. Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe oder kirchliche Hilfswerke, mit denen medico im »Bündnis Entwicklung hilft!« zusammenarbeitet, können über ein Netz lokaler Partner durchaus an Ort und Stelle helfen.
Medico international hat sich nach der Tsunami-Katastrophe im Jahre 2004 kritisch zum Wirken der internationalen Helfer geäußert. Was war der Gegenstand Ihre Kritik?
Das größte Problem damals war, dass Hilfe allzu oft den Opfern des Tsunamis von außen übergestülpt wurde. Weil die Geschädigten nur unzureichend in die Planung und Umsetzung der Unterstützung einbezogen wurden, kam es zur Lähmung von Eigeninitiative. Die Hilfe ging häufig am Bedarf vorbei. Hoch im Kurs standen die medial sichtbare Bereitstellung von Booten und der spendenträchtige Bau von Waisenhäusern, nicht aber die Unterstützung örtlicher Selbsthilfestrukturen.
Ist angesichts dieser Erfahrungen Myanmars Haltung »Internationale Hilfe ja – internationale Helfer nur bedingt« nicht sogar verständlich?
Die Lage in Myanmar ist in jeder Hinsicht katastrophal. Selbstverständlich ist es skandalös, wenn wirkungsvolle Hilfe behindert wird. Skandalös aber ist es auch, wenn Helfer nicht mehr die Bedürfnisse der Opfer im Blick haben, sondern eigennützige Interessen auf militärischem oder wirtschaftlichem Gebiet verfolgen.
Wie beurteilen Sie die Forderungen nach einer Reform des Völkerrechts und der Einschränkung der Souveränität der Staaten, wie sie jetzt mit Blick auf Myanmar immer wieder geäußert werden?
Ich kann mir Notlagen und Krisen vorstellen, die ein militärisches Eingreifen von außen rechtfertigen. Notwendig ist weniger ein moralisch-ethischer als ein politischer Diskurs. Denn noch immer fehlen auf internationaler Ebene jene Gremien und Institutionen, die zu Entscheidungen über humanitäre Interventionen demokratisch legitimiert wären. Der UN-Sicherheitsrat ist es nicht. Es ist höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, gerade um das bestehende Völkerrecht zu stabilisieren. Das nämlich basiert auf zwei Pfeilern: den universellen Menschenrechten und dem Souveränitätsrecht.
Fragen: Peter Nowak
Aus: Neues Deutschland, 20.5.2008