Am Freitag, dem 7. August, dem elften Tag des Hungerstreiks von 1600 Textilarbeiterinnen und –arbeitern, hat die Polizei das von den Streikenden besetzte Fabrikgebäude gewaltsam geräumt, 50 der Streikenden wurden schwer verletzt. Zugleich haben der Lidl-Zulieferer Tuba Group und der Unternehmerverband BGMEA einen Teil der Forderungen der Streikbewegung erfüllt. Drei Tage später telefonierten wir kurz vor Beginn einer neuerlichen Protestversammlung mit der Sprecherin der Streikbewegung, Mushrefa Mishu. Sie wurde nach der Räumung des besetzten Gebäudes mit 14 anderen Streikenden festgenommen, doch am Abend desselben Tages wieder freigelassen. Auch Mushrefa Mishu hat ihren Hungerstreik beendet.
medico: Kannst Du uns sagen, was am Freitag geschah?
Mushrefa Mishu: Man muss mit dem Mittwoch beginnen, dem 6. August. Von diesem Tag an hinderte die Polizei die uns begleiteten Ärzte und die Journalisten am Betreten des Gebäudes und unterbrach die Wasserzufuhr zu dem von uns besetzten Fabrikgebäude. Damit waren wir von jeder medizinischen Unterstützung abgeschnitten, erhielten keine Flüssigkeit, keine Vitamin- und Salzlösungen mehr, konnten uns nicht mehr direkt an die Medien wenden. Unser Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, 280 von uns wurden ernsthaft krank. Am Freitag bot uns der Unternehmerverband BGMEA einen Kompromiss an. Wir forderten die Auszahlung der drei ausstehenden Monatsgehälter, des Überstundengelds und der Bonuszahlung zum Eid-Fest, sie waren jetzt zur sofortigen Auszahlung von zwei Monatsgehältern bereit. Sie schickten Busse zum Gebäude, Gewerkschaftsfunktionäre, die mit den Unternehmern kooperieren, riefen uns auf, das Angebot anzunehmen. Rund ein Drittel von uns brach den Streik ab, die Leute ließen sich mit den Bussen zum Büro des BGMEA fahren, wo sie ihr Geld erhielten. Wenig später griff uns die Polizei an. Die Polizisten gingen mit brutaler Härte vor, sie schlugen uns, schossen mit Gummigeschossen, räucherten des Gebäude mit Pfefferspray aus und besprühten uns mit heißem Wasser. 50 von uns wurden ernsthaft verletzt, Arbeiterinnen, aber auch Journalisten und Solidaritätsaktivisten, die mit uns waren.
Du wurdest verhaftet?
Die Polizei räumte Stockwerk für Stockwerk, ich hielt mich im fünften Stock auf, wurde zunächst ins Erdgeschoss gebracht, wo sich viele von uns wieder versammelten. Als wir uns weiter weigerten, das Gebäude zu verlassen, drohte der kommandierende Offizier, dass seine Leute uns vergewaltigen würden: die meisten von uns sind Frauen. Sie haben dann mich und 14 andere festgenommen und zur nächsten Polizeistation gebracht. Dort haben wir erfahren, dass die Tuba Group und der BGMEA ihr Angebot erhöht und jetzt tatsächlich alle drei ausstehenden Monatsgehälter und das Überstundengeld ausgezahlt haben. Gegen 20:30 Uhr hat man uns dann freigelassen, die Polizei hat mich zur Wohnung meiner Mutter gebracht, wo ich meinen Hungerstreik beendet habe, wie alle von uns.
Wie geht es jetzt weiter?
Zunächst einmal wollen wir unseren Erfolg festhalten, unser Streik ist zum nationalen Ereignis geworden. Die Leute haben mit uns gelacht und mit uns geweint: Sie haben geweint über das, was man uns angetan hat, und sie haben mit uns gelacht über das, was wir zu tun in der Lage waren. In wenigen Minuten beginnt unsere Versammlung. Natürlich ist der Hungerstreik vorbei, wir sind alle noch sehr schwach auf den Beinen, aber viele uns werden weitermachen. Das Wichtigste wird jetzt sein, die Bewegung neu zu sammeln und auszuweiten, die Solidarität zu verstetigen, die wir erfahren haben: die Arbeiterinnen und Arbeiter vieler Betriebe und viele Studierenden waren mit uns, Hochschullehrer der Universität Dhaka, Ärzte und Journalisten. Wir werden versuchen, sie alle zusammenzubringen, wir wollen gemeinsam weitermachen. Halten wir zunächst fest, worum es uns im Kern ging: Wir haben gearbeitet, wir haben Tausenden von T-Shirts für die Fußballweltmeisterschaft genäht, Menschen überall auf der Welt haben in diesen T-Shirts gefeiert, und uns hat man die Löhne nicht ausgezahlt, das Überstundengeld nicht ausgezahlt und den Bonus zum Eid-Fest nicht: den verweigert man uns noch immer.
Die Konten der Tuba Group sind voll: die Verweigerung unseres Lohnes war ja nur eine Intrige, um den Besitzer der Tuba Group, Delwar Hossain, aus dem Gefängnis freizupressen. Wir fordern, das Hossain wieder festgenommen wird. Er trägt die Verantwortung für den Brand bei Tazreen Fashion, einer seiner Fabriken, er ist schuld am Tod von 112 Menschen, er ist schuld daran, dass viele der 200 Verletzten auf immer an ihren Verwundungen leiden werden. Wir fordern, dass er bestraft wird, wir werden in diesem Punkt nicht nachgeben und wir wissen, dass viele andere Menschen in unserem Land uns darin unterstützen. Und außerdem haben wir jetzt noch zwei neue Forderungen: Die Tuba Group hat die fünf von uns bestreikten Fabriken noch immer nicht wiedereröffnet. Der Zweck der fortgesetzten Schließung ist klar: Sie drohen den 1600 Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich am Streik beteiligt haben, mit dem Verlust ihres Jobs. Wir verstehen das als das, was es ist: ein Angriff auf unser Überleben. Deshalb verlangen wir erstens, dass alle fünf Fabriken – Tuba Garments Ltd, Taif Design Ltd, Mita Design Ltd, Tuba Fashion Ltd und Bugshan Garments Ltd – wieder eröffnet werden, dass der Betrieb wieder aufgenommen wird. Und: Wir fordern, dass der Betrieb endlich nach Maßgabe des geltenden Arbeitsrechts geführt wird.
Was macht euch so mutig?
Wir kämpfen schon sehr lange. Wir haben im Mai mit unserem Widerstand begonnen, als man uns die erste Lohnzahlung verweigert hat. Wir haben vier Mal das Büro des Unternehmerverbands belagert, wir haben zwei große schriftliche Einlassungen gemacht, mehrere Pressekonferenzen, mehrere friedliche Demonstrationen. Am 27. Juli haben wir mit dem Hungerstreik begonnen, haben das Fabrikgebäude besetzt, sind dort Tag und Nacht zusammen gewesen, haben mit vielen anderen Arbeiterinnen und Arbeitern, mit den Studierenden, den Journalisten, mit vielen sozialen und politischen Aktivisten gesprochen. Künstler waren mit uns, haben bei uns Gedichte vorgetragen, wir haben Theater gespielt, Lieder gesungen. Wir haben das Tuba Group Workers Action Committee gegründet, dem mehrere Gewerkschaften, Studierendenverbände, linke Gruppen angehören. Wir werden uns jetzt versammeln und diskutieren, was zu tun ist.
medico unterstützt Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen der Textilarbeiter in Bangladesch und in Pakistan, finanziert die medizinische Versorgung von Überlebenden der zusammengestürzten Fabrik Rana Plaza und ist in Deutschland Teil der Initiative #Untragbar