iz3w: Nach dem 11.9. und verstärkt seit dem Irak-Krieg fordern vor allem europäische Staaten eine stärkere Verzahnung von Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik. Schon jetzt agieren Militärs und Entwicklungshelfer Seite an Seite – etwa in Afghanistan.
Gebauer: Die Strategien, die entwicklungspolitische NGOs verfolgen, sind grundsätzlich verschieden von denen der Streitkräfte. Militärs haben einen anderen Auftrag als Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Medico international hat daher eine geregelte Kooperation mit Militärs immer abgelehnt.
Die Befürworter betonen, dass Sicherheit erste Voraussetzung sei für jede weitere Entwicklung.
Das zentrale Problem in der Frage der Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in sicherheitspolitische Überlegungen ist die Frage nach dem Sicherheitsbegriff selbst: wer definiert wie Sicherheit und zu welchem Zweck? Verteidigungsminister Struck hat mit seinem oft geschmähten, aber doch wenigstens ehrlichen Satz von der Sicherheit Deutschlands, die am Hindukusch verteidigt werde, deutlich gemacht, dass es Militärs und Sicherheitspolitikern vor allem um nationale, um staatliche Sicherheitsinteressen geht. Dagegen kümmern sich Organisationen wie medico um das, was mit dem Konzept einer universellen "menschlichen Sicherheit" gemeint ist, so wie es vom UNDP (United Nations Development Programme) den jeweils partikularen Interessen von Staaten entgegen gestellt wurde. Dieser Unterschied wird sehr deutlich, wenn wir den Blick auf Afghanistan richten.
Schauen wir nach Afghanistan. Befürworter der militärisch-entwicklungspolitischen Kooperation weisen darauf hin, dass die Stabilisierung des Landes Voraussetzung für jegliche Entwicklung sei. Ist eine solche stabilisierende Wirkung durch die internationale militärische und zivile Präsenz auszumachen?
Tatsächlich waren und sind es gerade die entwicklungspolitischen Bemühungen, die in Afghanistan in den letzten Jahren eine stabilisierende Wirkung entfaltet haben. Daran hat auch die staatliche deutsche Entwicklungszusammenarbeit Anteil. Von großer Bedeutung für die soziale Stabilisierung sind beispielsweise Projekte, die die öffentliche Verfügbarkeit von Trinkwasser erhöhen oder auf andere Weise zur Lösung der vielen lokalen Konflikte beitragen. Dazu zählt auch das Aufstellung von Katastern, was vielleicht nach Bürokratie klingt, aber von großer Bedeutung ist. Es sind lokale Eigentumskonflikte oder der Streit zwischen Nachbarn über die Nutzung von Wasser, die sich die Warlords zu nutze machen, um ihre Macht darauf aufzubauen. Eine Klärung der Eigentumsverhältnissen ist deshalb so wichtig, weil sich die afghanische Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten, also in einer Zeit voller Kriege und Instabilität, nahezu verdoppelt hat.
Aber es gibt auch viele Projekte, die absolut sinnlos sind. Zum Beispiel bauen die USA seit zwei Jahren überall im Land Schulen und Krankenhäuser. Um sichtbare Erfolge vorweisen zu können, haben sie Afghanistan regelrecht mit Geld zugepflastert. Das Problem dabei ist, dass für die Betreuung dieser Einrichtungen keine lokalen Strukturen existieren und schlicht die Leute fehlen.
Gibt es keine abgestimmten Überlegungen für Afghanistan?
Nein, und das ist eines der größten Probleme. All die Länder, die als Interventionsmächte oder Anrainerstaaten in Afghanistan aktiv sind, verfolgen zuvorderst ihre jeweils partikularen Interessen. Darunter leiden auch die Pläne, die auf den UN-Konferenzen zu Afghanistan auf dem Petersberg diskutiert worden sind. Die USA zum Beispiel versuchen eine Zentralregierung zu stabilisieren, halten sich aber zugleich auch die Option einer Einflussnahme über die Warlords offen. In gewisser Weise ist der Kontakt mit den Kriegsherren auch notwendig, schließlich wurde der Krieg gegen die Taliban mit Hilfe der Warlords gewonnen und müssen diese nun mit Geld, Privilegien oder Posten ruhig gestellt werden.
Auf diese Weise entpuppt sich der sogenannte "Anti-Terror Krieg" als höchst paradox. Ihm geht es eher um Machterhalt, als um Terrorbekämpfung. Man bekämpft den Terror, indem man ihn gleichzeitig fördert. Um die afghanischen Warlords einzubinden, wurde ihnen die Wiederbelebung des Drogengeschäfts gestattet, obwohl es doch der Drogenhandel ist, der die ganze Region destabilisiert und die Konflikte schürt.
Nach welchen Kriterien sind angesichts der Zerstrittenheit der diversen Akteure in Afghanistan Partner für Entwicklungsprojekte zu finden?
Mit den Partnern, mit denen medico in Afghanistan zusammenarbeitet, verbindet uns vor allem eine gemeinsame politische Agenda. Beispielsweise das Bemühen um Demilitarisierung, der Kampf gegen Minen und Streubomben, die integrierte Versorgung von Kriegsopfern, die Förderung von Demokratie von unten. Kabura, eine kleine afghanische NGO unterstützen wir bei der Produktion von Kurzfilmen, die – etwa im Stile des italienischen Neorealismus – die Probleme von Nachkriegsgesellschaften aufgreifen, Konfliktbewusstsein schaffen und Menschen in ihren alltäglichen Lebensumständen als handelnde Subjekte zeigen. Diese Filme werden in Schulen gezeigt – mit den Ziel, das Fundament einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu fördern.
Inwieweit ist auch medico international davon abhängig, dass es staatlich garantierte Strukturen gibt, die ein längerfristiges Arbeiten erst möglich macht?
Da wir nicht selbst mit einer eigenen Struktur vor Ort sind, sondern den Vorhaben von lokalen Initiativen solidarisch zur Seite stehen, sind es selbstverständlich die Partner selbst, die über eventuelle Sicherheitsrisiken entscheiden. Natürlich wünschen sie sich für ihre Arbeit ein möglichst sicheres Umfeld, doch können sie sich auch nicht einfach zurückziehen, wenn die Sicherheit gefährdet ist, so wie das ausländische Hilfsorganisationen in Afghanistan getan haben.
Dabei haben unsere Partner übrigens durchaus eigene Vorstellungen, wie die Sicherheit Afghanistans zu garantieren wäre. Sie sind mit vielem, was im Augenblick seitens der Interventionsmächte getan wird, nicht einverstanden. Sie wollen nicht unbedingt Provincial Reconstruction Teams (PRT), die ihrer Meinung nach mehr dem Versuch der Legitimation dienen, als dass sie wirklich für Sicherheit sorgen könnten. Auf eine bemerkenswerte Weise wirkt die Sicherheit, die von den PRTs erzeugt wird, nämlich eher inszeniert, als wirklich. Das hat an einzelnen Orten dazu geführt, dass sich die Sicherheitskräfte mit übertriebenen Maßnahmen regelrecht eingeigelt haben und auch der Bau von Brücken und Trinkwasseranlagen mehr dem Schutz der Sicherheitskräfte dient als der sozialen Entwicklung. Das, was sich unsere Partner wünschen, ist eine landesweit operierende und von der UN getragene Sicherheitsstruktur, die frei von Großmachtinteresse ist und über eine möglichst weitreichende Legitimation verfügt.
Unter solch anderen UN-Strukturen könnte auch medico eine Intervention unterstützen?
Wir können uns durchaus Umstände vorstellen, beispielsweise in Situationen massivster Menschenrechtsverletzungen oder bei Völkermord, in denen die Anwendung von Gewalt und militärischer Eingriffe notwendig sind. Die Frage aber ist: Wer legitimiert solche Eingriffe? Derzeit gibt es im globalen Kontext keine Struktur, die über Interventionen mit dem notwendigen Maß an demokratischer Legitimation beschließen könnte.
Wenn beispielsweise im Falle des Sudan die UNO-Vollversammlung eine Intervention beschließen würde, dann fände das unter Umständen also eure Zustimmung?
Nicht unbedingt: Die UNO ist bekanntlich ein Bündnis von Staaten und nicht eines von demokratisch verfassten Gesellschaften. Das zentrale Problem der gegenwärtigen globalen Verhältnisse ist ihre Legitimationskrise. Zwar sind im Zuge der Globalisierung die Weltregionen näher zusammengerückt, und es mag auch ein gewachsenes Bewusstsein für globale Verantwortung geben, doch fehlen die Strukturen, die einer solchen Verantwortung den institutionellen Rahmen geben könnten. Der UN-Sicherheitsrat, wie er derzeit verfasst ist, hat diese Legitimation nicht. China beispielsweise hat aufgrund eigenen geopolitischer Interessen im Falle des Sudan immer wieder verhindert, dass der Druck auf die sudanesische Regierung erhöht wurde. Die Legitimation des UN-Sicherheitsrates wäre übrigens nicht größer, wenn Deutschland darin einen permanenten Sitz bekäme.
*Viele europäische Staaten haben sich angesichts des Irak-Krieges als die besseren Konfliktlöser präsentiert. Sie fordern, dass Terrorbekämpfung mit Armutsbekämpfung anfangen müsse. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich diesbezüglich sehr weit aus dem Fenster gelehnt. *
Schon der flüchtige Blick auf die soziale Wirklichkeit eines Kontinents wie Afrika macht deutlich, dass eine Strategie, die alleine die Armut bekämpfen will, zwar das Gewissen beruhigen kann, aber letztlich zum Scheitern verurteilt ist. In Afrika kann man heute Armut ohne Ende bekämpfen, sie ist immer gleich wieder da. Angesichts des globalen Reichtums liegt das Problem in einer dramatischen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Deshalb müsste eine Strategie, die erfolgreich Armut bekämpfen will, zuallererst die herrschende Ungleichheit bekämpfen. Das freilich würde strukturelle Eingriffe in das herrschende Wirtschaftssystem erforderlich, und ich habe das meine Zweifel, ob die Europäer in dieser Hinsicht wirkliche eine andere Strategie verfolgen als die USA.
Einerseits redet die Bundesregierung viel von ziviler Konfliktlösung und hat z.B. den Zivilen Friedensdienst eingeführt. Andererseits ist die Bundeswehr im Kosovo, in Afghanistan und im Rahmen der Tsunami-Nothilfe auch in Indonesien im Einsatz.
Die Politik der Bundesregierung ist nicht kohärent. Im Bereich der Entwicklungspolitik wird sie fraglos von guten Ansätzen geleitet, wobei vor allem die Erkenntnis zu nennen ist, dass soziale Entwicklung einer entsprechenden globalen Strukturpolitik bedarf. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist es ja so schade, dass nun die Entwicklungspolitik wieder unter sicherheits- und wirtschaftspolitisches Kuratel fällt. Die Gefahr besteht, dass Entwicklungspolitik nur noch der Abfederung der negativen Auswirkungen der Globalisierung dient.
Manche NGOs sehen das anders, sie beobachten einen Bedeutungszuwachs der Entwicklungspolitik. Daher fordern sie, dass Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik stärker ineinander greifen sollten. Wie wird innerhalb der NGO-Szene um diese Fragen debattiert?
Einen Bedeutungszuwachs der Entwicklungspolitik kann ich beim besten Willen nirgendwo erkennen. Allerdings scheint es Organisationen zu geben, die sich in ihrer Bedeutung gestärkt sehen, wenn sie gemeinsam mit der Bundeswehr agieren. So hat die Arbeiterwohlfahrt in ihren Publikationen einmal stolz darauf verwiesen, dass sie im Kosovo der Bundeswehr im Rahmen des CIMIC-Programmes Spendengelder für den Bau von winterfesten Häuser bereitgestellt hat. Hier waren unserer Meinung nach die Grenzen überschritten. Die CIMIC-Strukturen – ("civil-military cooperation") – der NATO Streitkräfte dienen explizit dem Ziel, den Schutz der eigenen Truppen zu erhöhen. Sie führen humanitäre Aufgaben nicht aus altruistischen oder entwicklungspolitischen Motiven durch, sondern aus militärstrategischen Überlegungen. Das Gros der entwicklungspolitischen Organisationen, die bei VENRO zusammengeschlossen sind, lehnt eine solche Kooperation ab.
Entwicklungspolitische Think Tanks wie z.B. das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) wollen das offenbar ändern. Sie sehen die Bundeswehr in Krisenregionen Seite an Seite mit Entwicklungshelfern im Einsatz. Humanitäre Sicherheit, so argumentieren sie, sei nur möglich, wenn Gewaltexzesse unterbunden würden. Umgekehrt verhindere Entwicklungshilfe das Aufkommen von Gewalt.
Auch bei dem sogenannten "erweiterten Sicherheitsbegriff", der durch viele der neueren Konzepte geistert, geht es um einen von staatlichen Interessen geleiteten Sicherheitsbegriff. Deutlich wird das beispielsweise in den sicherheitspolitischen Überlegungen des Entwicklungstheoretiker Ulrich Menzel, der sämtliche akuten Bedrohungsszenarien nur als Probleme des Südens auszumachen versteht. Wie selbstverständlich gelten dem Experten der Terrorismus, der Waffenhandel, der Giftmüllexport oder gar der Sextourismus ausnahmslos als Probleme des Südens, die konsequent auch nur dort zu bekämpfen sind. Der prekäre Zustand der Welt wird nicht als ein Problem gesehen, mit dem man selbst verschränkt ist und an dem man selbst mitwirkt.
Der Berliner Politik-Professor Herfried Münkler sagt, zum weltweiten "Stabilitätsexport" gehörte auch die "Übernahme imperialer Aufgaben". Auch in SPD- und Grünen-Kreisen wird vom Marshallplan für Afrika oder von neu-alten kolonialen Protektoratsideen geredet. Wird Entwicklungspolitik künftig mehr noch als bisher von geopolitischen Interessen geleitet werden?
Es geistern tatsächlich die irrwitzigsten Vorschläge herum. Unabhängig davon, dass solche Ideen – wie ein Marshallplan für Afrika – kaum durchdacht sind, entbehren sie auch jeglicher materieller Grundlage. Wer sollte denn das dafür nötige Geld geben wollen und können. Bill Gates etwa, dem es die globale Entfesselung des Kapitalismus inzwischen ermöglicht hat, zu einem der größten Finanziers von wohltätigen Regulierungsmaßnahmen zu werden? Man kann diese Ideen und Vorschläge nur als eine hilflos suchende Bewegung in einer Welt interpretieren, die in Irrationalitäten zu versinken droht.
Thomas Gebauer ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international. Das Interview führten Stephan Günther und Christian Stock (beide iz3w). Erschienen in iz3w-Ausgabe Nr. 285, Juni 2005