Berlin (ots) Mit großer Skepsis begegnen haitianische Menschenrechtler der Forderung des UN-Generalsekretärs Guterres und anderen nach einer militärischen Intervention in Haiti. Die Vertreter der haitianischen Zivilgesellschaft halten sich derzeit auf Einladung der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international in Deutschland zu Gesprächen auf. Kritik gibt es auch an der Rolle der Core-Group Haiti, der die Bundesregierung angehört.
Zweifellos sei die Lage in Haiti dramatisch, so der Generaldirektor des Haitianischen Menschenrechtsnetzwerkes (RNDDH), Pierre Espérance heute bei einem Pressegespräch in Berlin. Bewaffnete Gruppen kontrollierten faktisch die gesamte Hauptstadt: "Sie können tun und lassen, was sie wollen". Trotzdem beharrte Espérance darauf, dass die Sicherheitskrise mit der politischen Krise Haitis verbunden sei und deshalb auch politisch gelöst werden müsse. Haiti benötige die Wiederherstellung unabhängiger Gerichtsbarkeit und das Ende der Straflosigkeit, jede Lösung müsse sich an der haitianischen Verfassung orientieren. Eine militärische Intervention sei "rein kosmetisch", wenn sie sich nur um ein Ende der Gang-Gewalt kümmere. Espérance kritisiert insbesondere die UN-Vertretung in Haiti, die die gegenwärtige Regierung unter Ariel Henry unterstütze. Diese sei zwei Jahre an der Macht und habe das Land ins Chaos gestürzt. "Ariel Henry regiert wie ein Alleinherrscher."
Rosy Auguste, Programmdirektorin des Menschenrechtsnetzwerkes, verwies darauf, dass der im Jahr 2017 offiziell beendete und 13 Jahre andauernde Militäreinsatz durch die UN-MINUSTAH-Truppen zur gegenwärtigen Krise Haitis beigetragen habe. Der UN sei es nicht gelungen, solche rechtsstaatlichen Institutionen zu stärken, die Straflosigkeit und Korruption einschränken könnten. Eine erneute Intervention drohe diese Fehler zu wiederholen.
Die beiden Menschenrechtler verlangten außerdem, dass der größte Korruptionsskandal Haitis endlich vor Gericht gebracht werden müsse. Dieser beschäftigt das Land seit Jahren. Mehrere Milliarden US-Dollar aus den venezolanischen Petrocaribe-Geldern, die zwischen 2008 und 2016 für soziale Projekte verwendet werden sollten, waren in private Taschen von Regierungspolitikern gelandet. Ein Bericht des mittlerweile aufgelösten Senats beweise die Vorgänge im Detail, so Katja Maurer von medico international. Maurer kritisierte, dass die UN und die westliche Gebergemeinschaft in der Core-Group, der auch die Bundesregierung angehört, zugelassen habe, dass die Regierung unter dem vor zwei Jahren ermordeten Jovenel Moise eine große zivilgesellschaftliche Bewegung mit Hilfe von Ganggewalt unterdrückt habe.
Die Core-Group behandle "Haiti wie ein Protektorat". Sie habe auch die Installation des jetzigen Ministerpräsidenten Ariel Henry entschieden, der keinerlei demokratische Legitimität besitze. Maurer begrüßt Ansätze wie die Sanktionierung haitianischer Politiker, deren Konten in den USA und Kanada eingefroren seien, und denen die Einreise verweigert werde. "Die gezielte Ausweitung der Sanktionen gegen Geschäftsleute und Politiker, denen Menschenrechtsverletzungen und Korruption nachgewiesen werden kann, ist der weniger spektakuläre, aber wirkungsvollere Weg, einer demokratischen Entwicklung Haitis zu helfen", so Maurer.
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