Libanon: Brief eines aufgeklärten Pessimisten

18.08.2006   Lesezeit: 5 min

Wie sieht ein säkularer Intellektueller und Verleger, der inmitten des Schiitenviertels von Beirut lebt und dort eine Kulturinitiative betreibt den Kampf um die Karikaturen? Wir fragten den medico-Partner Lokman Slim nach seiner Sicht.

Seit Wochen erleben wir in der arabischen und islamischen Welt mitunter gewalttätige Proteste gegen Karikaturen, die, so der Vorwurf, das religiöse Empfinden der Muslime beleidigten. Viele von uns, unbedacht womöglich, verinnerlichten die verkürzte Fernsehberichterstattung und sehen in den Protesten der Muslime den Existenzbeweis einer generellen, ganze Kontinente und Kulturen umspannenden islamischen Bewegung. Vielleicht haben sich auch einige, ohne nachzudenken, die Doktrin von Osama Bin Laden zu eigen gemacht, nach der die Welt seit dem 11. September in zwei Lager geteilt wäre. Es gibt aber auch differenzierende Stimmen, die versuchen, die Proteste im politischen und sozialen Kontext des jeweiligen Landes zu begreifen. Aber natürlich ist es ganz und gar kein Zufall, dass die verallgemeinernde Betrachtungsweise den detaillierten Blick überlagert. Korrespondiert doch diese Reduzierung der islamischen Welt auf einen einzelnen Aspekt hervorragend mit den fundamentalistischen Bewegungen, die ihre Propaganda mit einer Feindschaft gegen den Westen begründen, die weder zwischen einzelnen europäischen Ländern, noch zwischen dem politischen Europa und den USA differenziert. Genügt es, diese Verallgemeinerungen abzustreiten, um sie zu widerlegen? Reicht es aus, die Demonstrationen in jedem einzelnen Land zu untersuchen, besonders diejenigen, die bewusst aus politischem Kalkül initiiert wurden, wie in Damaskus, in Beirut oder mehrfach in Teheran geschehen? Ich meine nicht, denn die vermeintliche Diffamierung des Propheten Muhammad droht einen unheilvollen Prozess in Gang zu setzen, der nicht allein dadurch abebben wird, dass man einfach die Affäre um die dänischen Karikaturen beendet.

Karikatur im Hier und Jetzt

Erster Aspekt: vom Protest zum Rassismus. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass die Hizbollah, deren Name in den vergangenen 20 Jahren für eine Vielzahl von Bombenanschlägen, Entführungen und für den "Widerstand" gegen die israelische Besetzung des Südlibanons stand, sowohl in den libanesischen Medien wie auch im Volksmund quasi das Monopol auf einen aktionistischen Islam im Libanon hatte. Nun benutzten am 5. Februar erstmals sunnitische Organisationen die "beleidigenden Karikaturen", um der Hizbollah ihr Monopol auf einen "lebendigen Islam" streitig zu machen. Bekanntlich liegt in Beirut das dänische Konsulat inmitten eines der christlichen Stadtviertel. Die überraschten Bewohner und mit ihnen die libanesische Öffentlichkeit erlebten live im Fernsehen, wie sich der Zorn auf die dänische Staatsmacht in einen Angriff auf das besagte christliche Viertel verwandelte. Kurzum, das Ausland wurde in die eigene Stadt geholt, und die Szenen der Verwüstung und Brandstiftung ließen den deutlichen Wunsch erkennen, mit den Anderen in der eigenen Umgebung abzurechnen - unter dem Vorwand, der Andere befände sich im entfernten Europa, und doch waren die christlichen Nachbarn gemeint. Seit der Ermordung von Rafiq al-Hariri im Februar 2005 versichern sich die Libanesen immer wieder selbst, sie seien ein friedlich zusammenlebendes Volk. Nun mussten sie an den Fernsehschirmen erschüttert mitverfolgen, dass diese deutlich rassistischen Ausschreitungen aus ihrer Mitte kamen. Dieser Einsicht konnten auch die wohlfeilen Regierungserklärungen, die Schuldigen seien ausländische Agenten und Verschwörer, nichts entgegensetzen.

Zweiter Aspekt: Die Tötungsmaschinerie. Vier Tage nach den erwähnten Protesten, führte die Hizbollah an einem hohen schiitischen Gedenktag eine riesige Demonstration durch die südliche Vorstadt von Beirut durch und bewies, dass sie ihre Anhänger unter Kontrolle hat. Alle Teilnehmer dieses Aufzuges marschierten in Reih und Glied und skandierten aus tausenden Kehlen ihre Parolen. Kein einziger Stein flog, kein Reifen brannte, keine einzige Verwünschung wurde gebrüllt. Die Rede des Generalsekretärs der Hizbollah, Hasan Nasrallah, vor der friedlichen Menge war jedoch brandgefährlich. Er sagte: "Das Problem begann, als Salman Rushdie die Satanischen Verse schrieb… Hätte damals ein Muslim die Fatwa des Imam Khomeini an dem vom Glauben abgefallenen Rushdie vollstreckt, hätten die Niederträchtigen es nicht gewagt, das Ansehen des Gesandten Gottes zu beschädigen, weder in Dänemark, noch in Norwegen, noch in Frankreich."

Der Generalsekretär der Hizbollah ist ein folgsamer Sohn der noch immer fortschreitenden islamischen Revolution des Ayatollah Khomeini, die mittlerweile durch den allseits bekannten Präsidenten Ahmadinedschad weitergeführt wird. Ob sein Traum von der Atombombe und der Ausmerzung Israels mit Nasrallahs Fatwa-Phantasien gegen einen kritischen Intellektuellen korrespondiert, wage ich nicht weiterzudenken. So wie man bei uns sagt, dass Katzen ein bevorstehendes Erdbeben spüren würden, so habe ich eine Ahnung, welch ernste Gefahr in Nasrallahs Rede lag.

Die doppelte Krise

In diesem Jahr soll in meinem Verlag die arabische Übersetzung einer französischen Koranstudie erscheinen. Der Übersetzer, ein Freund von mir, sagte mir noch vor den gewalttätigen TV-Bildern und Nasrallahs "probaten Tips" gegen die Auswüchse der Meinungsfreiheit, dass er nach reiflicher Überlegung lieber anonym bleiben wolle: "Nach all den Reaktionen, die wir auf das Gerücht über die Beschmutzung des Korans in Guantanamo bis hin zu den Karikaturen erlebt haben, wäre diese Übersetzung wie das Geständnis, ein Verbrechen gegen Gott begehen zu wollen. Die Strafe, die darauf steht, kenne ich - nein danke!"

Ganz nebenbei warf mein Freund die schwierige Frage auf, ob der Vorwurf, die eigene Kultur werde nicht respektiert, nicht fragwürdig sei, wenn diese selbst die kulturellen Grundrechte von der Meinungsfreiheit bis zur Freiheit der Wissenschaft noch nicht akzeptiert habe. Ich weiß darauf keine abschließende Antwort, aber die Frage berührt den Kern des Problems: Wie steht die arabisch-islamische Welt zur Moderne, als einer Sammlung von zu respektierenden Werten, selbst wenn man sich auf die eigene kulturelle Identität beruft. Mahmud Darwisch bemerkte kürzlich gegenüber einer französischen Zeitung, dass sowohl der Karikaturenstreit wie die Ausbreitung des Islamismus das in der arabisch-islamischen Welt verbreitete Gefühl widerspiegeln würde, man sei "aus der Geschichte verbannt worden". Falls das richtig ist, dann haben die Karikaturen die Büchse der Pandora geöffnet.

Ich weiß nicht, ob meine Aspekte etwas Licht in unser gemeinsames Verständnis der Krise um die Karikaturen bringen. Ich setze auf die Hoffnung, obwohl ich ein aufgeklärter Pessimist bin!

Übersetzung aus dem Arabischen von Mona Naggar und Stefanie Gsell


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