medico aktiv

05.10.2009   Lesezeit: 3 min

Gesundheit ist keine Ware

Was ein Weltgesundheitsgipfel ist – und was nicht

Vom 15. – 18. Oktober findet anlässlich des 300. Jubiläums der Berliner Charité und unter Schirmherrschaft von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy eine Gesundheitskonferenz statt. Ihr Programm liest sich wie das vieler anderer Kongresse im Umfeld von Medizin und Pharmaindustrie. Dennoch soll in der Charité nichts Geringeres als ein "World Health Summit" stattfinden, der nach dem Vorbild der anachronistisch gewordenen G8 jährlich wiederholt werden soll; eine "M8" ist geplant, eine Allianz der international führenden Forschungseinrichtungen. So wird der Anspruch der "Macher" der Welt kopiert, globale Probleme jenseits der formal dazu legitimierten Strukturen, dafür in enger Verbindung mit dem Weltmarkt zu lösen. In ihrer Berufung ausgerechnet auf das World Economic Forum entgeht den Veranstaltern, dass die illustren Treffen von Davos Anlass für die Gründung des World Social Forum waren. Und genau das könnte nun auch in Sachen Weltgesundheit geschehen. Zumindest ist das die weiteste Option einer medico-Initiative, die schnell bundesweite Unterstützung fand.

Public Eye on Berlin

"Public Eye on Berlin" folgt einer einfachen Idee: diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die in der Charité nicht dabei sind und das auch nicht wollen. Beteiligt sind andere Hilfsorganisationen, die BUKO-Pharmakampagne, die Studierendeninitiative GandHi, politische Medizinerverbände, Gewerkschaften, auch die "Medi-Büros", die von medizinischer Versorgung ausgeschlossene Migranten unterstützen. Doch geht es nicht nur um Kritik, sondern mehr noch um die Alternativen, die schon mit dieser Aufzählung benannt sind. Gemeinsamer symbolischer Nenner ist die Forderung eines "Krankenscheins für alle", mit der der freie und gleiche Zugang aller zu Gesundheit eingefordert wird.

Eine Initiative zur rechten Zeit

Gesundheit nicht wie viele Charité-Teilnehmer als Ware, sondern als öffentliches Gut zu verstehen, heißt zugleich, Gesundheit nicht als technisch anzugehendes, sondern als globales soziales Problem anzugehen. Public Eye on Berlin wird dies auf einer Gegenveranstaltung zum Kongress exemplarisch verdeutlichen: in einer Bestandsaufnahme der Weltgesundheit, in der Bestimmung der sozialen Determinanten von Gesundheit, in der Verknüpfung aller Gesundheitsfragen mit demokratischer Partizipation und der Verteidigung des ärztlichen Ethos gegen dessen Ökonomisierung. Sichtbar wird dies auch in zwei Live-Schaltungen: Der Kongress wird in seiner Eröffnungszeremonie in die Internationale Raumstation schalten, in der auch biomedizinische Forschungen durchgeführt werden. Public Eye on Berlin hingegen wird nach Bangalore schalten, ins Büro eines medico-Partners, der in den Slums der indischen Metropole arbeitet. Den Plan einer der G8 zu vergleichenden „M8“ beantwortet medico mit der Praxis einer weltweiten Gesundheitsbewegung. In Folge in Berlin, aber auch woanders. „Public Eye on Berlin“ wird am 16. Oktober in Berlin eröffnet, vis-a-vis dem "World Health Summit" der Charité. Weitere Informationen.

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Auf der Urlaubsinsel

Ein afrikanisch-europäischer Dialog von unten

"Frauen und Kinder in ein solches Gefängnis zu sperren, das wäre selbst bei uns unvorstellbar." Amadou Mbow vom medico-Partner AMDH in Mauretanien war sichtlich schockiert, als er Ende August auf der griechischen Urlaubsinsel Lesbos die unmenschlichen Zustände im Gefängnislager Pagani erleben musste. Ausnahmslos alle neuankommenden Flüchtlinge werden dort bisweilen monatelang interniert. Ousmane Diarra vom medico-Partner AME in Mali ging es kaum anders. "Für uns in Afrika ist es nicht nachvollziehbar, warum Flüchtlinge in Europa wie Vieh behandelt werden. Unter dem Deckmantel des Migrationsmanagements erleben wir eine Klassifizierung von Personen, die sich über Grenzen hinweg bewegen."

Beide afrikanischen Menschenrechtler nahmen durch finanzielle Unterstützung von medico an der Protestwoche des No-Border-Camps auf Lesbos teil. Ihr besonderes Interesse galt der transnationalen Kampagne gegen Frontex. Denn die europäische Grenzschutzagentur patrouilliert in der Ägäis gleichermaßen wie vor der westafrikanischen Küste und ist mitverantwortlich für die steigende Zahl ertrunkener Boatpeople. Das internationale Aktionstreffen diente aber nicht nur dazu, den begonnenen euro-afrikanischen Netzwerkprozess weiterzuentwickeln, sondern zeitigte auch handfeste Ergebnisse: Ein von Aktivisten verdeckt gedrehtes Video über die skandalösen Zustände im Lager Pagani wurde nicht nur im griechischen Fernsehen, sondern auch auf CNN ausgestrahlt. Das Internationale Rote Kreuz schaltete sich ein, Hunderte Flüchtlinge konnten so die langersehnte Fähre nach Athen besteigen.

Spendenstichwort: Migration / medico-Thema: Migration


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