Europa muss helfen!
Unterschriftenaktion von medico und Pro Asyl zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Libyen
"Sie sahen zu, wie sie im Meer ertranken". Der junge Mann erzählt in einem erschütternden Video, wie ein Flüchtlingsboot in Richtung Italien unterging und die Besatzung einer Küstenwache teilnahmslos das Sterben beobachtete. In dem Flüchtlingslager Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze sitzen rund 4.000 Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, der Elfenbeinküste, dem Sudan und anderen Ländern fest. Sie flohen vor dem Krieg um Tripolis, saßen in libyschen Gefängnissen, wurden misshandelt, gefoltert oder ausgeraubt; wieder andere waren bereits auf See, wurden abgefangen oder kenterten.
Die EU bezahlte Colonel Gaddafi, damit er uns alle jene vom Leib hält, die in Europa ein besseres Leben suchten. Im öffentlichen Streit über die Flüchtlinge wird oft verschwiegen, dass die vorwiegend jungen Leute, ob aus dem Maghreb oder dem subsaharischen Afrika, nicht nur vor Armut und Not geflohen sind, sondern auch vor einem Mangel an Freiheit. Für sie ist dieses Europa an der Grenze eine traumatische Erfahrung: Kontrolle, Lagerhaft und Abschiebung. Die EU ist in Nordafrika nicht bereit zu respektieren, dass neu errungene Freiheitsrechte auch die Freiheit der Mobilität mit einschließt. Alexis de Tocqueville notierte einmal den zynischen Satz: "Der gefährlichste Moment für eine schlechte Regierung kommt gewöhnlich, wenn sie sich zu reformieren beginnt." Das europäische Grenzregime ist eine solche "schlechte Regierung". Und sie beginnt nervös zu werden. In diesem Frühjahr starben bereits 1.600 Flüchtlinge beim Versuch das Meer zu überqueren. Die Politik reagiert zynisch wie kaltherzig. Berlusconi bezeichnete die Schutzsuchenden aus Nordafrika als "menschlichen Tsunami". Sarkozy lehnt jede Visaerteilung ab, Kanzlerin Merkel ebenso. Die Innenminister von Bayern und Hessen wollen wieder Grenzkontrollen einführen. Dabei geht es bislang um lediglich 25.000 Flüchtlinge - bei derzeit etwa 500 Millionen EU-Einwohnern. Es ist an der Zeit, dass sich dagegen eine durchsetzungsfähige demokratische Koalition bildet, die endlich eine sofortige humanitäre Hilfe im Mittelmeer umsetzt. Hier braucht es keine Interventionsarmee. Es reicht die helfende Hand. Die Aufnahme aller Flüchtlinge wäre das Gebot der Stunde. Darüber hinaus: ein Moratorium für alle Frontex-Einsätze, sowie die Untersuchung aller Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen. Dies wäre ein Anfang vom Ende der Unfreiheit an Europas Außengrenzen.
medico fordert gemeinsam mit Pro Asyl und aktivistischen Netzwerken wie "welcome to europe" die sofortige Hilfe für die Flüchtlinge in Choucha.
Martin Glasenapp
- Unterzeichnen Sie den Appell "Fluchtwege öffnen, Flüchtlinge aufnehmen!" online
- Sechs Minuten Wahrheit: Video "Voices Of Choucha"
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Lobbygespräche für gleiche Rechte
medico-Partner aus Israel/Palästina im politischen Berlin
Im Juni organisierte medico eine gemeinsame israelisch-palästinensische Delegation mit Vertretern der medico-Partner Al Mezan aus Gaza, Ärzte für Menschenrechte-Israel und Al Haq aus der Westbank ins politische Berlin. Gespräche wurden geführt im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt, bei den Fraktionen im Bundestag, im Auswärtigen und Menschenrechtsausschuss sowie mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Unsere Partner plädierten dafür, die aktuelle innerpalästinensische Versöhnung zu fördern, da die Konkurrenz zwischen Hamas und Fatah zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geführt hat. Die bestehende israelische Blockade von Gaza war stets Thema, nicht zuletzt, weil der Platz von Mahmoud Aburahma von Al Mezan leer bleiben musste: Es bedurfte acht langer Tage Bürokratie, um den Gazastreifen zu verlassen. Er kam deshalb verspätet in Berlin an. Bemerkbar war das Unbehagen der Gesprächspartner, unabhängig davon ob sie zur Regierung oder Opposition gehören, angesichts der aktuellen israelischen Regierungspolitik. Während bei unserer letzten Delegationsreise im Februar 2010 viele noch die Hoffnung äußerten, der ohnehin eher virtuelle Friedensprozess könne wiederbelebt werden, sehen heute viele den unerträglichen Status quo der Besatzung. Was zu tun sei? Während sich deutsche Politiker bekanntlich eher zurückhalten und Druck auf die Konfliktparteien ablehnen, forderten unsere Partner aus Israel und Palästina, dass sich deutsche Politik konsequent für die Menschenrechte im Lebensalltag von Palästinensern wie Israelis einsetzen sollte.
Tsafrir Cohen