Nach der Flut: das medico-Projekt
Eine bekannte hessische Brauerei veranstaltet Ende März das 4. Licher Naturforum. Thema: »Naturkatastrophen – Was kommt auf uns zu?« – Allen Ernstes soll die Frage erörtert werden, was wir von den Erfahrungen aus anderen Katastrophengebieten lernen können. Mosambik schon morgen in Nordelbien? Erdbeben, wie kürzlich in der Türkei, demnächst im Ruhrgebiet? Der Marketing-Gag der Bierbrauer aus dem »Herzen der Natur« könnte aufgehen. Er zielt auf den öffentlichen Thrill, der offenbar bei jeder Katastrophen mitschwingt und die Grenze zwischen Traum und Trauma verschwimmen läßt.
Ohne Frage: Menschen, die in Not geraten sind, müssen jede mögliche Hilfe erhalten. Den Opfern Rettungsgerät und Hilfsgüter bereit zu stellen, ist oft bitter notwendig und ohne Alternative. Bedenklich aber stimmt, wenn solche Nothilfe in Kreisen der Hilfswerke unterdessen als spenden- und publicityträchtiges »sexy issue« angesehen wird. Derart droht Nothilfe sich selbst zum Ziel zu werden. Bedenklich auch, daß die große Hilfsbereitschaft, die es zum Glück noch immer gibt, längst von einem profitablen Hilfsbusiness ausgenutzt wird, das seit einigen Jahren mit großen Zuwachsraten boomt. Auch im Desaster-Geschäft herrschen Konkurrenz und die Gesetze des Marktes. Jenseits aller Ethik und Moral wird Hilfe als bloße Ware gehandelt und auf Messen wie der Genfer »world aid« zur Schau gestellt: Gasmasken neben Leichensäcken, Nahrungsmittel neben Minenräumgeräten, Schlauchbooten, Jeeps, satellitengestützter Kommunikation, survival kits, Transportkapazitäten – die psychologische Betreuung der Helfer nicht zu vergessen.
Für den Umschlag dieses Angebots bedarf es neben realen Notlagen, die überall auf der Welt alltäglich auszumachen wären, vor allem deren Entdeckung durch die Medien. So geschehen gerade in Mosambik, dessen Notlage allerdings nicht neu ist. Durch einen langjährigen Stellvertreterkrieg verwüstet, ist das Land im südlichen Afrika seit langem bettelarm. Nach Kräften haben sich Hilfsorganisationen in all den Jahren um den schwierigen Wiederaufbau gekümmert. Doch solange das Elend nur Nachkriegs-Alltag blieb und nichts Spektakuläres an sich hatte, schien es hierzulande nicht sonderlich zu beunruhigen. Erst die Toten, die in den Fluten umgekommen sind, haben aus der Not wieder eine Schlagzeile gemacht, die Kamerateams auf den Plan gerufen und schließlich die grenzenlosen Nothelfer wachgerüttelt, die nun darum konkurrieren, wer der erste vor Ort gewesen ist.
Wem, wann, welche Hilfe zuteil wird, darüber entscheiden heutzutage nicht zuletzt die Medien. Die Überflutungskatastrophe in Venezuela fiel durch, weil die Öffentlichkeit noch immer unter dem Eindruck des Erdbebens in der Türkei stand. Die Bilder aus Mosambik dagegen passen in die Zeit – auch politisch. Die Geburt eines Kindes auf einem wasserumfluteten Baum, die Hände, die sich hilfesuchend dem Hubschrauber entgegenstrecken: eindrücklicher läßt sich fremdes Leid und die vermeintliche Notwendigkeit militärischer Hilfseinsätze kaum noch darstellen. Und doch verlangt das Hilfsbusiness nach immer krasseren Zurschaustellungen. Die Bedrohung wird überzeichnet, Bilder und Zahlen manipuliert, Folgezyklone herbeigeredet, die Betroffenen nur in ihrer Hilfsbedürftigkeit und nicht mehr als Menschen gezeigt, die bereits mit eigenen Wiederaufbaubemühungen begonnen haben.
Statt das Unglück zu dramatisieren müssen dessen Ursachen skandalisiert werden.
Naturkatastrophen gehen nicht schicksalsgleich über die Menschen nieder. Beunruhigend ist, daß schwere Unwetter, wie sie heute im südlichen Afrika wüten und mit Regelmäßigkeit Bangladesch oder Mittelamerika heimsuchen, nur deshalb so katastrophale Auswirkungen haben, weil ihnen die Menschen durch verfehlte Politik schutzlos ausgeliefert sind. Warum ist niemand auf solche Katastrophen vorbereitet? Wieso gibt es trotz aller Satellitenaufklärung keine Frühwarnung? Wieso wurden in Mosambik die Deiche und Drainagen, mit denen früher die Wasserläufe reguliert wurden, seit Jahren nicht mehr gewartet? Warum müssen überall auf der Welt immer mehr Menschen in Gebieten siedeln, die überflutungsgefährdet sind?
Mosambik ist hoch verschuldet. Selbst der Schuldenerlaß im letzten Jahr brachte dem Land keine Entlastung. Zu den Auflagen, die der IWF dem Land aufgenötigt hat, zählt die Rücknahme jeglicher Subvention, ob für kostenloses Trinkwasser oder für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Für einen vorbeugenden Katastrophenschutz fehlen, wenn nicht der politische Wille, so ganz sicher die Mittel. Zwar boomte die Wirtschaft mit zweistelligen Wachstumsraten, doch nur im lukrativen Korridor, der das südafrikanische Wirtschaftszentrum um Johannesburg mit dem Hafen von Maputo verbindet. Zwei Drittel des Landes sind faktisch abgeschrieben, ihre Bewohner für ausländische Investitionen ohne jedes Interesse – überflüssig.
Katastrophenschutz kann nur präventiv sinnvoll sein. Notwendig sind Veränderungen der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Statt nur die schlimmsten Auswüchse einzelner Katastrophen abzumildern und darüber den katastrophalen Zustand der Welt zu stabilisieren, müssen die Ursachen angegangen werden, die aus Stürmen, Erdbeben, Überschwemmungen immer wieder einen schier aussichtslosen Kampf um Leben und Tod machen. Auch Naturkatastrophen haben einen man-made Anteil, der über die humanitäre Reaktion hinaus eine politische Antwort verlangt.
Gefordert ist eine kritische Nothilfe, die sich nicht in Logistik und technischer Expertise erschöpft; eine Nothilfe, die sich auf Seiten der Geschädigten ins soziale Handgemenge begibt und mithilft, daß Opfer möglichst rasch wieder zu eigenständig Handelnden werden. Einer solchen partnerorientierten Nothilfe, die von Anfang an auf Nachhaltigkeit setzt, steht der in SPD-Kreisen favorisierte Vorschlag einer zivilen internationalen Katastrophenschutztruppe diametral entgegen. Er hat weniger die Opfer im Auge als die Menschen hierzulande. Sie sollen das Gefühl haben, es werde schon alles Notwendige getan. Eine schnelle Eingreiftruppe von Desaster-Experten aber ist nur das zivile Pendant zu militärischen Krisenreaktionskräften. Beide zielen auf die außen- und sicherheitspolitisch motivierte humanitäre Intervention überall dort, wo das alltägliche Elend außer Kontrolle zu geraten droht und lärmend überhandnimmt. Wenn es aber nur noch um die Abmilderung humanitärer Krisen geht und nicht mehr um deren Verhinderung, dann entpuppt sich die wohlklingende Rhetorik von Katastrophenvorbeugung, von nachhaltig wirksamer Strukturpolitik und sozialer Entwicklung als bloßes Gerede.
Wer die Forderungen nach Entschuldung und überfälliger Änderung der IWF-Politik gerade in Zeiten humanitärer Katastrophen nicht ernst nimmt, der nimmt auch die Opfer nicht ernst. Sie brauchen Hilfe, ohne Frage. Diese aber darf nicht aus dem eigennützigen Interesse gegeben werden, nur den gegenwärtigen Zustand abzusichern. Die Welt, wie sie ist, mag für einige Wohlstand bedeuten, für die vielen anderen ist sie die Katastrophe in Permanenz.
Thomas Gebauer
Nach der Flut
Nach der Flut erst wird die ganze Katastrophe sichtbar: 330 000 der siebzehn Millionen Mosambikaner sind obdachlos. 350 000 Rinder, Ziegen und Schafe ertranken. In einem Land, dessen Bevölkerung überwiegend von der Landwirtschaft lebt, wurden Straßen, Bewässerungssysteme und landwirtschaftliche Geräte von der weitaus schlimmsten Flut seit Beginn der Messung 1948 vernichtet, ebenso 140 000 Hektar Felder mit Mais, Bohnen und Erdnüssen. Fast die Hälfte der 6000 Fischer verloren ihre Boote, Netze und ihr Fischgerät.. Dazu die von Landminen bereits mühsam gesäuberten Terrains, wo nun die Fluten neue Minen hochschwemmten und verbreiteten. Mosambik, hatte seit mehreren Jahren Rekordernten erlebt. Sein wirtschaftlicher Wiederaufbau aus eigener Kraft galt als eine der großen »Erfolgsgeschichten« des Kontinents. Das nach Weltbankeinschätzung lange Zeit ärmste Land der Welt hatte 1999 mit 10% das höchste Wachstum aller Länder dieser Erde. Nun gibt es nur noch Ernährungsvorräte für wenige Wochen. „In einem Land wie Mosambik wollten die westlichen Länder eine dort absurde freie Marktwirtschaft erzwingen, bei der es keine Ausnahme geben soll: Nicht einmal, wenn es das Leben von Menschen kostet" (Henning Mankell).
MAIS UND BOHNEN FÜR DIE AUSSAAT
Die medico-Hilfe basiert stets auf unserem Kernprinzip: Den Menschen dabei zu helfen, möglichst rasch wieder unabhängig von äußerer Hilfe zu werden. Auf der Ilha Josina Machel, 150 km nördlich von der Hauptstadt Maputo, stand das Gebiet mit seinen 14 000 Menschen fast zu 70% unter Wasser. Hier arbeitet medico seit 1996 im Zeichen der psychosozialen Rehabilitation von Kindersoldaten. Als materielle Grundlage für die weitere Arbeit hat medico 20 Tonnen Mais und 15 Tonnen diverser Bohnensorten als erste Saatgutlieferung gekauft. Es mangelt an Pflügen und Traktoren für den brüchig-harten Boden nach der Flut.
MEDIZINISCHE VERSORGUNG
Cholera und Malaria waren hier auch vor der Flut verbreitet. Nun droht von jedem stehenden Gewässer die Gefahr. Die Brutherde müssen vernichtet werden. Aufgebaut werden müssen Cholera-Zentren, weil die Kranken nicht transportfähig sind. Vor allem muß schnell ein Basisgesundheitsprogramm für die Hygiene her. Zur Versorgung und vor allem Prävention.
SOZIAL-THERAPEUTISCHE MASSNAHMEN
Mosambik teilt das Schicksal des südlichen Afrika: Krieg, Bürgerkrieg, Vertreibung, Vergewaltigung und Not. Immerzu sind die Menschen ver-rückt worden, von einem Ort zum andern, von einer seelischen Lage in die nächstschrecklichere. Kraft und Stärke und Autonomiebewußtsein müssen gestärkt werden. Wie in Nicaragua stellt medico auch für Mosambik erprobte psychosoziale Erfahrungen zur Verfügung. Nicht vom Frankfurter Schreibtisch aus: die Teams aus Nicaragua werden die aus Mosambik selber treffen.
JENSEITS DER KATASTROPHENHILFSKONJUNKTUREN DAUERHAFT AN DER SEITE DER MENSCHEN STEHEN. MEDICO WIRD IN MOSAMBIK BESTÄNDIG BLEIBEN.
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