Neben der Intervention in Syrien ist der Iran in einer Vielzahl von (Stellvertreter-)Konflikten um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten engagiert: Jemen, Irak, Bahrain, Libanon, aber auch Katar und Afghanistan.
Am 29. September 2011 starb der Revolutionsgardist Moharram Turk bei Kämpfen nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus. Er war Irans erster offiziell gefallener Soldat im Syrienkrieg. Seit dem Ausbruch des Konfliktes ist der Iran zentraler Akteur und zusammen mit Russland die wichtigste Stütze des Assad-Regimes. Schätzungen zufolge sind seit 2011 über 2.000 Iraner in Syrien gefallen, hinzu kommt die breite finanzielle und militärische Unterstützung der Hisbollah.
Seit letztem Donnerstag kommt es zu immer größeren Protesten in mittlerweile 62 Städten im ganzen Land. Die Demonstrationen begannen in den Provinzen, sowie der zweitgrößten Stadt des Landes Maschdad und schwappten dann über in die Hauptstadt. Die offizielle Bilanz bis heute: über 800 Festnahmen und allein in Teheran 21 Tote.
Die Protestbewegung ist breit und diffus. So unterschiedlich sind denn auch die Forderungen. In den ersten Tagen ging es vorwiegend gegen die hohe Arbeitslosigkeit und Armut, die steigenden Ölpreise sowie die drohende Kürzung von Sozialleistungen für 10 Millionen Iraner*innen. Mittlerweile drängen immer mehr politische Forderungen in den Vordergrund. Forderungen nach dem Sturz des Revolutionsführers Chamenei und damit letztlich dem Ende des Regimes. Die politische Führung in Teheran reagiert bislang nach bekannten autoritären Mustern: Sie unterstellte den USA und Israel, die Proteste im Land zu organisieren, sperrte eine ganze Reihe an Messenger-Diensten und drosselte das Internet, über das sich die Demonstrierenden immer wieder spontan organisierten.
Noch bleibt unklar, wie sich die Dinge weiter entwickeln werden. Gestern wurde angekündigt, dass die gefürchteten Revolutionsgarden zur Unterstützung der Polizei gegen Demonstranten eingesetzt werden sollen. Kommt es dazu, ist zu befürchten, dass es mehr Tote geben wird. Der Vorsitzende des Revolutionsgerichtes Mouusa Ghazanfarabadi erklärte, eine Teilnahme an den Protesten könnte der „Feindschaft gegen Gott“ gleichgesetzt werden, worauf im Iran die Todesstrafe steht.
Klar hingegen ist, dass sich immer mehr eine kritische Gemengelage im Iran verbreitet, gespeist aus der immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Situation der jüngeren Bevölkerung in den Provinzen, der weit verbreitenden Korruption und Vetternwirtschaft sowie den kostspieligen Interventionen des Iran im Ausland.
Wie auch immer sich die Dinge im Iran weiter entwickeln werden, wieder einmal wird deutlich, wie fragil der Nahen Osten insgesamt ist. Die Forderungen der Demonstrant*innen in der iranisch-kurdischen Stadt Kermanschah nach „Brot, Freiheit, Arbeit“ ähneln denen des arabischen Frühlings in Tunesien oder Syrien in den Jahren 2011.
Kommt es zu einer gewaltsamen Unterdrückung der Proteste im Iran steht das syrische Szenario im Raum: Ein ziviler Aufstand der, unter dem Druck der Militarisierung, in einem Bürgerkrieg mündete.
Durch die Vielzahl der involvierten Regional- und Weltmächte ist genauso ist mit einer weiteren Destabilisierung der bereits ausgebrochenen Konflikte im Jemen und Syrien zu rechnen, in denen seit Jahren die regionalen Konkurrenten Saudi-Arabien und der Iran Stellvertreterkriege führen. Die jüngste politische Krise im Libanon und die vor kurzem aufgeflammten Proteste im Nordirak haben ebenfalls verdeutlicht, dass eine innenpolitische Krise im Iran Konsequenzen in anderen Staaten nach sich ziehen würde.
Die Erfahrung aus Syrien zeigt, dass durch die Vielzahl externer Interventionen und militärischer Eskalation, den handelnden Subjekten des revolutionären Frühlings ihr Recht auf Aufstand mehr und mehr aus den Händen genommen wurde. So schrumpfen die Räume der Emanzipation und die Möglichkeiten die eigene Geschichte selbst zu schreiben.
Noch falscher jedoch wäre die bequeme Variante der Ignoranz gegenüber den Menschenrechtsverletzungen der iranischen Repressionsapparate. Deeskalation heißt nicht wegschauen! Natürlich sollte Außenminister Sigmar Gabriel den iranischen Botschafter einbestellen und nicht auf die Exporte schielen. Denn mit der Aufhebung der Sanktionen infolge des Atomdeals wittert die deutsche Wirtschaft Riesengeschäfte. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes stammen rund 30 Prozent der iranischen Infrastruktur aus deutscher Produktion. 2016 stieg der bilaterale Warenaustausch gegenüber dem Jahr zuvor um 22 Prozent.
Die Konstituierung einer kritischen Öffentlichkeit ist deshalb in dieser Situation ein wichtiger und notwendiger Ausdruck solidarischen Denken und Handelns. Jetzt gilt es Haltung zu zeigen - als klares Symbol der Solidarität mit den Menschen im Iran und ihren Forderungen nach Freiheit, Rechten und ökonomischer Teilhabe.