Das Pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) unterwirft die Patientenversorgung betriebswirtschaftlichen Kennziffern und geht an den Bedürfnissen psychisch kranker Menschen vorbei. Mit der verpflichtenden Einführung von PEPP würde Deutschland einem weltweiten Trend folgen: Die Ökonomisierung von Gesundheit ist auch in den Ländern des Südens in vollem Gange. Insbesondere in der psychosozialen Versorgung sind die Hilfsbedürftigen der Logik des Marktes und den Konjunkturen der privaten Hilfe ausgeliefert.
medico unterstützt die Kampagne gegen PEPP, weil für uns psychosoziale Arbeit auch eine Sache der Haltung ist: Sich in fachliche Auseinandersetzungen einzumischen bedeutet, die widerständigen Interessen zu kennen und beim Namen zu nennen, damit deutlich wird, was in Deutschland und global auf dem Spiel steht.
Ab 2015 soll PEPP in Deutschland in allen Psychiatrien eingeführt werden, aufgrund des großen Protestes wurden aber auch aus der Politik Zweifel an der Einführung von PEPP laut. Tatsächlich könnte die große Koalition das Vorhaben noch stoppen.
Kritik an PEPP
Trotz der versorgungspolitisch und volkswirtschaftlich negativen Erfahrungen mit dem System Diagnose bezogener Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) würde mit PEPP ein ähnliches System in allen psychiatrischen Krankenhäusern eingeführt werden. Die negativen Folgen dürften noch gravierender sein als bei den DRGs.
Es gibt viele Unzulänglichkeiten, deshalb hier die wichtigsten Kritikpunkte:
1) Ein diagnosebezogenes Entgeltsystem widerspricht der empirisch gesicherten Erfahrung, dass in der Psychiatrie mit der Diagnose nur ca. 20 Prozent des erforderlichen Behandlungsaufwands zusammenhängt. Es wird weder der Tatsache gerecht, dass jede psychische Erkrankung höchst individuell verläuft, noch dass die jeweils besonderen Lebensumstände von Patientinnen und Patienten, deren Familien sowie deren Arbeitsbedingungen mit einbezogen werden müssen. Bei psychischen Erkrankungen ist es nicht ausreichend, allein die Patientin oder den Patienten zu behandeln.
2) Ein gravierender Mangel bei der Zeiterfassung, die dem PEPP-System zu Grunde liegt, besteht darin, dass die Tätigkeiten unterschiedlicher Berufsgruppen nur in 25-Minuten-Einheiten erfasst werden. Dies bildet jedoch nur maximal 20 Prozent des Aufwandes ab. Das meiste spielt sich in der Psychiatrie gerade bei Schwerkranken in kürzeren Zeitintervallen ab, geht aber in das System nur als zu vernachlässigende "Restgröße" ein. Der größte Anteil des Personalaufwands für Patientinnen und Patienten mit schweren akuten Erkrankungen – die krankenpflegerische Behandlung rund um die Uhr – konnte nicht gemessen werden und ging damit nicht in die Berechnungen ein.
3) Außerdem wurde ein gestufter, sehr erheblicher Abbau der Tagesentgelte im Zeitablauf der Behandlung eingeführt (so genannte Degression). Dies steht im Widerspruch zum gesetzlichen Auftrag, individuelle, aufwandsbezogene Tagesentgelte zu ermitteln. Degression passt nicht zu den häufig fluktuierenden Verläufen einer schweren psychischen Erkrankung, da unter anderem am Ende einer stationären Behandlung oft ein größerer Aufwand dadurch entsteht, dass die Entlassung vorbereitet und die ambulante Betreuung sichergestellt werden muss.
4) Insgesamt setzt das PEPP-System Anreize in die falsche Richtung. Dass Wiederaufnahmen vor Ablauf eines Vierteljahres mit einer Absenkung der Pauschale gleichsam "bestraft" werden sollen, folgt ebenfalls einer fiskalischen Logik, die den Besonderheiten psychiatrischer Krankheitsverläufe nicht gerecht wird und mit einer angemessenen Patientenversorgung nicht zu vereinbaren ist. Wenn noch behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten zu früh entlassen werden und bald darauf (oftmals dann als Notfall) wieder aufgenommen werden müssen, entsteht ein erheblicher Drehtüreffekt.
Wenn es schon zu einer Verkürzung der Krankenhausaufenthalte kommen soll, sind Anreize für eine intensive Behandlung außerhalb des stationären Bereichs zu fordern. So werden durch das PEPP-System ökonomische Anreize geschaffen, schwer psychisch kranke Menschen schneller zu entlassen und Patientinnen und Patienten mit geringeren psychosozialen Beeinträchtigungen länger stationär zu behalten.
5) Darüber hinaus können durch zu frühe Entlassungen die ambulanten gemeindepsychiatrischen Dienste den Ansprüchen der Menschen mit den jetzigen getrennten Systemen nicht gerecht werden. Der Ruf nach stationären Angeboten und geschlossenen Heimen wird noch größer werden als bisher. Ein Entgeltsystem, das den besonderen Bedürfnissen psychisch erkrankter Menschen gerecht werden soll, muss ambulante Angebote flexibel ermöglichen. Beispielsweise ist die vom Krankenhausbett entkoppelte Behandlung im alltäglichen Umfeld (Home-treatment) oder eine intensiv ambulante Behandlung im PEPP-System nicht vorgesehen, obwohl sie nach aktuellen fachlichen Erkenntnissen am wirkungsvollsten für die Genesung psychisch erkrankter Menschen ist. Die stationäre Behandlung ist mit den ambulanten Angeboten zu verknüpfen.
6) Befürchtet werden muss auch, dass es zu einer vermehrten Medikalisierung, insbesondere in Form medikamentöser Ruhigstellung der Patientinnen und Patienten, und häufigeren Aufenthalten in geschlossenen Stationen kommt, wenn aufwändige Therapiemöglichkeiten und personalintensive Begleitungen und Gespräche immer weniger angeboten werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Zeit für Gespräche mit den Patientinnen und Patienten haben.
7) Außerdem besteht die Gefahr, dass insbesondere profitorientierte Krankenhäuser versuchen werden, wenig lukrative, vor allem schwer psychisch Kranke, für die die Finanzierung über das PEPP-System nicht ausreicht, in öffentliche und gemeinnützige psychiatrische Krankenhäuser mit Versorgungsverpflichtung abzuschieben und sich vor allem auf erlösrelevante, gewinnträchtige Behandlungen zu konzentrieren. Eine Versorgungsverpflichtung auch für schwer kranke Menschen muss in allen Krankenhäusern bestehen.
8) Die Anfang der Neunzigerjahre erstrittene Personalverordnung Psychiatrie (Psych-PV) war neben dem Ausbau ambulanter Netzwerke ein entscheidender Schritt für die Weiterentwicklung der Sozialpsychiatrie. Sie hat vor weiterem Personalabbau geschützt. Die Psych-PV soll bis 2016 abgeschafft werden. Wie in den somatischen
Allgemeinkrankenhausabteilungen wird bei Einführung des PEPP und Abschaffung der Psych-PV der Kostenwettbewerb über Personalabbau vor allem in der Pflege, bei Therapeutinnen und Therapeuten sowie im Sozial- und Erziehungsdienst ausgetragen werden. Gleichzeitig wird der Verwaltungsaufwand (Dokumentation und Kodierung) erheblich zunehmen und damit Zeit für die eigentliche Arbeit mit den Patientinnen und Patienten fehlen. Der Druck auf die Stundenlöhne von Pflegekräften und hauswirtschaftlich Beschäftigten wie Reinigungs- oder Küchenkräfte wird sich weiter verschärfen. Die Mindeststandards der Psychiatrie-Personalverordnung müssen erhalten bleiben.